Gysi sieht existenzielle Krise – Wissler als Linken-Chefin bestätigt

Der ehemalige Linke-Bundestagsfraktionschef Gysi geht mit seiner Partei hart ins Gericht. Aber auch für die Regierung gab es Kritik aus den Reihen der Partei.
«Hört auf mit dem ganzen kleinkarierten Mist in unserer Partei»: Gregor Gysi.
«Hört auf mit dem ganzen kleinkarierten Mist in unserer Partei»: Gregor Gysi.Foto: Martin Schutt/dpa
Epoch Times25. Juni 2022

Der frühere Linke-Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi hat seiner Partei 15 Jahre nach ihrer Umbenennung von PDS (ehemals SED) und Linkspartei Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit WASG eine existenzielle Krise bescheinigt. Entweder die Linke werde jetzt gerettet, „oder wir sinken in die Bedeutungslosigkeit“, sagte Gysi auf dem Bundesparteitag in Erfurt.

Er vertrat die Ansicht, die Linke habe in der Gesellschaft einen Platz, der von keiner anderen Partei ersetzt werden können. „Das Land braucht demokratische Sozialistinnen und Sozialisten.“ Gysi ging mit seiner Partei, für die er über Jahrzehnte das Gesicht war, hart ins Gericht. Die Krise resultiere auch daraus, dass nicht mehr erkennbar sei, was Mehrheits- und was Minderheitsmeinung in der Linken sei. Er sprach von Denunziationen von Parteimitgliedern untereinander. „Das ist unerträglich.“ Der 74-jährige appellierte an die Delegierten: „Hört auf mit dem ganzen kleinkarierten Mist in unserer Partei.“

Wichtig sei, dass sich die Linke auf Friedenspolitik und gegen Aufrüstung, für soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen, für Klimaschutz, Arbeitnehmerinteressen sowie die Gleichstellung von Frauen und Männern einsetzt. Das sollte auch die Arbeit der Bundestagsfraktion bestimmen. Das sei wichtiger als Anträge zu Gendersternen oder der Schreibweise von Anreden mit dem Großbuchstaben „I“ zu stellen, sagte Gysi, der dafür auch Buh-Rufe erntete. „Es geht nicht darum, Schreibweisen zu verändern, sondern die Verhältnisse.“

„Grüne haben ein politisches Rückgrat, das so biegsam ist wie ein Plastikstrohhalm“

Auf ihrem Parteitag in Erfurt hat die Linke auch über ihre Haltung zum Krieg in der Ukraine beraten und dabei nicht mit Kritik an der Bundesregierung gespart.

Vor den Antragsberatungen warf Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali der Bundesregierung vor, nicht genug für ein Ende des Krieges in der Ukraine zu tun. Es müsse das Ziel alles Handelns sein, dass der Krieg sich nicht ausweite und so schnell wie möglich beendet werde. „Aber so handelt die Bundesregierung nicht“, sagte die Fraktionschefin der Linken.

Die Bundesregierung liefere schwere Waffen an die Ukraine und riskiere damit, dass Deutschland von Russland als Kriegspartei angesehen werde, kritisierte Mohamed Ali. Sie kritisierte dabei die Grünen und insbesondere Außenministerin Annalena Baerbock. Diese sei nicht Verteidigungsministerin, sondern „Chefdiplomatin“.

Und wenn Baerbock sage, Deutschland dürfe nicht „kriegsmüde“ werden, sei das eine „Unverschämtheit“. „Es ist doch richtig, kriegsmüde zu sein“, sagte Mohamed Ali. „Die Grünen haben ein politisches Rückgrat, das so biegsam ist wie ein Plastikstrohhalm.“

Keine Waffen an die Ukraine

In einem Leitantrag des Vorstandes, über den die Delegierten entscheiden sollen, wird der russische Angriffskrieg verurteilt, allerdings stellt sich die Partei gegen Waffenlieferungen an Kiew. „Unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine, die leiden, Widerstand leisten oder flüchten müssen.“

Anstelle von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete müssten „nichtmilitärische Möglichkeiten“ erweitert werden, heißt es in dem Leitantrag. „Sanktionen müssen sich gegen die ökonomische Machtbasis des Systems Putin, die Konzentration von Reichtum in den Händen weniger, richten“, heißt es in dem Beschluss weiter. In der Vorlage wird Russland wegen des Ukraine-Kriegs zugleich eine „imperialistische Politik“ vorgeworfen.

Zu Beginn der Beratungen scheiterte ein Änderungsantrag der Gruppe um Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Sie sieht eine Mitschuld des Westens am Krieg. Der gescheiterte Änderungsantrag sah unter anderem die Streichung der Passage aus dem Leitantrag vor, in der Russland eine „imperialistische Politik“ vorgeworfen wird.

Wissler als Vorsitzende im Amt bestätigt

Janine Wissler ist als Vorsitzende der Linken im Amt bestätigt worden. Sie erhielt am Samstag auf dem Parteitag in Erfurt 57,5 Prozent der Stimmen. Bei der Wahl für den für Frauen reservierten Platz in der Doppelspitze der Partei setzte sich Wissler gegen die Konkurrentinnen Heidi Reichinnek und Julia Bonk durch. Auf Reichinnek entfielen 35,9 Prozent, auf Bonk 2,5 Prozent der Stimmen.

Die 41-jährige Wissler führt die Linke seit dem vergangenen Jahr, sie ist allerdings durch die jüngsten Niederlagen bei den Bundestags- und Landtagswahlen sowie Sexismus-Vorwürfe unter Druck geraten. Auch wegen dieser Vorgänge hatte Wisslers einstige Ko-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow ihren Rücktritt eingereicht.

Aussichtsreiche Kandidaten für den zweiten Posten in der Linke-Doppelspitze sind der Europaabgeordnete Martin Schirdewan und der Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann.

Debatte zu Sexismus-Fällen

Am Freitagabend hatte der Jugendverband Solid in einer offenen Debatte Fälle von Sexismus und sexualisierten Übergriffen in der Partei geschildert und Gegenmaßnahmen gefordert. Viele Delegierte zeigten sich erschüttert von den Schilderungen, die die jungen Leute anstelle der Betroffenen wiedergaben.

Zum Beispiel habe die Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten, die im Aufzug mit ihrem Chef fuhr, von einem anderen Genossen den Kommentar anhören müssen: „Die ist ja hübsch, bisschen groß vielleicht, aber im Liegen ist das ja auch egal.“ Auch von einer Vergewaltigung berichteten die jungen Leute, ohne Namen zu nennen.

Sie forderten auf einem Transparent: „Stoppt diesen Täterschutz“. In den vergangenen Monaten hätten sich unzählige Personen, sagte Jan Schiffer von der Parteijugend. Parteivertreter hätten jedoch nicht adäquat reagiert, sondern bisweilen Verschwörungstheorien hinter der MeToo-Debatte bei der Linken vermutet.

Wissler entschuldigt sich

Die Debatte hatte vor Wochen mit einem Artikel des „Spiegel“ über Sexismusvorwürfe im Landesverband Hessen begonnen, aus dem auch die Bundesvorsitzende Janine Wissler stammt. Wissler sagte bei ihrer Rede zum Auftakt des Parteitags: „Bei allen Frauen, denen wir bisher nichts oder wenig anbieten konnten, wenn ihnen Unrecht widerfahren ist, möchte ich mich aufrichtig entschuldigen.“ Sie kündigte am Rande des Parteitags neue Sanktionsmöglichkeiten gegen Mitglieder der Partei an, die sich durch Übergriffe schuldig machen.

Die Bundessprecherin der Linksjugend Sarah Dubiel kritisierte im Sender Phoenix Wisslers Aussagen als „zu wenig und das ist zu spät“ und legte ihr nahe, nicht erneut für den Vorsitz zu kandidieren.

Wissler bewirbt sich dennoch bei der Vorstandswahl erneut um eine Position in der Doppelspitze. Als weitere aussichtsreiche Kandidaten gelten der Europapolitiker Martin Schirdewan sowie die Bundestagsabgeordneten Heidi Reichinnek und Sören Pellmann. Wissler sagte, sie sehe in der ungewöhnlich großen Zahl an Bewerbungen keinen Ausdruck von Zerstrittenheit. Die Neuwahl der Führungsmannschaft ist notwendig, weil Wisslers Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow vor einigen Wochen zurückgetreten ist. (dpa/red/afp/sua)



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