„Erosion des Rechtsstaats“: Berlin auf dem Weg zur rechtsfreien Zone
In einem Interview mit der „Welt“ warnt Mirko Prinz, der Vorsitzende der Personalvertretung Unabhängige in der Polizei, vor einer „Erosion des Rechtsstaats“. In Teilen der Stadt sei der Respekt vor dem Staat verlorengegangen.
Prinz macht vor allem einen Sparkurs des SPD-geführten Senats für die Entwicklung verantwortlich, der am falschen Ende ansetze. Innensenator Andreas Geisel sei die Tragweite der unbefriedigenden Situation durchaus bewusst. Dies führe zu kuriosen Situationen wie jüngst im Fall eines Betrugs an einer 90-jährigen Nachbarin Geisels. Nachdem Unbekannte dort 94 000 Euro erbeutet hätten, habe der Innensenator persönlich interveniert, um Beamte der Kriminalpolizei zum Tatort zu schicken.
Personalvertreter Prinz wertet dies als eine Manifestation eines gut gemeinten, aber im Kern hilflosen und rechtsstaatlich zudem pikanten Aktionismus:
„Geisel wollte, dass die Kriminalpolizei zum Tatort kommt. Es kann nicht sein, dass er als Innensenator die Weisungskette der Polizei unterbricht. Der Trickbetrug wie im Fall der 90-Jährigen ist per Definition ein Vergehen und kein Verbrechen. Bei Vergehen können wir aus Personalgründen nicht jedes Mal rausfahren. Das war paradoxerweise die Anweisung des Senators selbst an die Polizei.“
Bei schlechter Spurenlage kommt die Kripo gar nicht mehr
Die schlechte Personalausstattung habe zur Folge, dass selbst Delikte mit hoher Schadenssumme nicht mehr durch Kripo-Beamte vor Ort aufgenommen werden könnten. Dies gelte insbesondere bei schlechter Spurenlage:
„Mittlerweile ist das traurigerweise der Regelfall, dass nicht wie früher alle geeigneten Delikte durch die örtliche Kriminalpolizei bearbeitet werden können. Vorrang haben ungeklärte Todesursachen, Raubtaten und Wohnungs- und Einfamilienhauseinbrüche. In der Polizeidirektion 6 sind in der Regel drei Kripo-Teams rund um die Uhr für mehr als 800 000 Einwohner zuständig.“
Der derzeitige Personalbestand von knapp 17 000 Polizisten in der Bundeshauptstadt entspreche dem Gesamtbestand von West-Berlin allein in der Zeit vor dem Mauerfall. Um ordentlich arbeiten zu können, bräuchte man mindestens 24 000 Polizeivollzugsbeamte.
Prinz sieht die seit Jahr und Tag in unterschiedlichen Konstellationen an der Regierungsspitze stehende SPD als Hauptverantwortliche für die Entwicklung an:
„Das liegt größtenteils an der SPD, die schon Anfang der 2000er Jahre zum Schuldenabbau die Senkung der Personalkosten entdeckt hat. Dazu gehört zum Beispiel die unterschiedliche Länderbesoldung, die 2006 zur schlechtesten Bezahlung von Polizeibeamten deutschlandweit geführt hat. Die Liegenschaften wurden vernachlässigt, die Wochenarbeitszeit erhöht, Arbeitszeitmodelle zum Nachteil der Mitarbeitenden angepasst. In den letzten 15 Jahren wurde die Polizei Berlin regelrecht kaputtgespart. Leidtragende waren die Beschäftigten, die häufig aufgrund der Arbeitslast erkrankten und frühpensioniert wurden.“
Auch wenn bei Senator Geisel Problembewusstsein und ein Wille festzustellen seien, gegenzusteuern, ließen sich die Wirkungen des jahrelangen Sparkurses nicht zeitnah umkehren. Dies beginne bereits bei der Anzahl sanierungsbedürftiger Gebäude der Berliner Polizei. Bei etwa 500 Liegenschaften sei ein Sanierungs-Rückstau von circa einer Milliarde Euro zu beklagen.
Kein Respekt mehr vor staatlicher Exekutive
Die Probleme erschöpften sich jedoch nicht im Personellen und Finanziellen. Dass die Exekutive in Berlin in vielen Bereichen nicht mehr handlungsfähig ist, hat sich offenbar nicht zuletzt in die Reihen potenzieller Straftäter herumgesprochen. Prinz dazu:
„Polizei und Justiz haben in Berlin keine abschreckende Wirkung mehr. Teilweise stehen die Täter – wenn überhaupt – erst nach mehreren Jahren vor Gericht, weil der Justiz, genauso wie uns, das Personal fehlt. Da haben die Ermittler meist selbst schon Probleme, sich an die relevanten Sachverhalte zu erinnern. Die Strafe folgt nicht auf dem Fuße, und ich denke, dass viele Täter dadurch den Respekt vor dem Staat verlieren. Dies begünstigt die Erosion des Rechtsstaates und führt zu einem Normen- und Werteverfall.“
Prinz erklärt, dass das Problem nicht in unzureichenden Gesetzen zu suchen sei, die man verschärfen müsse, sondern dass es an den erforderlichen Kräften fehle, diesen Geltung zu verschaffen. Dass bis 2025 auch ein knappes Drittel der derzeit noch amtierenden Beamten in den Ruhestand treten wird, während potenzieller Nachwuchs sich der besseren Arbeitsbedingungen wegen lieber in Richtung Privatwirtschaft oder Verwaltung orientiere, werde die Lage nicht beruhigen.
Zudem zeige sich eine Art Hydra-Phänomen: Werden vorhandene Beamte – wie es derzeit geschieht – schwerpunktmäßig im Bereich der Clankriminalität eingesetzt, tun sich Lücken in anderen Bereichen auf, in welche kriminelle Strukturen eindringen.
„Dann bleibt der Fall der Rentnerin liegen, die um ihr Geld betrogen wurde“, beschreibt Prinz die Lage. „Wir versuchen Löcher zu stopfen und reißen bei anderen Deliktfeldern neue Löcher auf. Beim Bekämpfen der Drogenszene am Görlitzer Bahnhof hat nach dem Abzug des Personals alles wieder von vorne angefangen.“
Linke will „soziale Ursachen“ der Kriminalität erforschen
Einzuräumen, dass auch Zuwanderung einen Faktor darstellt, der nicht unbedingt zur Entschärfung der Situation beiträgt, ist unterdessen nicht ungefährlich, wie sich an der Aussage von Prinz über deren Rolle zeigt:
„Wir haben eine wachsende Stadt, jedes Jahr kommen 40.000 Einwohner mehr. Schwarze Schafe gibt es unter Deutschen wie unter Ausländern. Allerdings werden bestimmte Delikte wie Enkeltrickbetrug vorwiegend von Tätergruppen aus Osteuropa begangen. Das muss man in Worte fassen können, ohne in die rechte Ecke gestellt zu werden.“
Zu Themenbereichen wie politisch motivierter Kriminalität in einer Stadt mit einer starken linksextremen Szene oder zu milieubedingten Straftaten abseits von Clanstrukturen hat Prinz sich im Interview erst gar nicht geäußert. Seine Forderung nach einer konsequenten Null-Toleranz-Politik in der Bundeshauptstadt, wie sie etwa geholfen hatte in New York City während der 1980er Jahre, die explodierende Kriminalität in den Griff zu bekommen, dürfte auch politisch auf wenig Gegenliebe im Senat stoßen.
Dort gibt es bereits Widerstände gegen die mittlerweile von 25 000 Bürger mittels Unterschrift unterstützte Forderung, an rund 50 Straßen und Plätzen Berlins bis zu 1000 Videokameras aufstellen zu lassen. Dies soll nach dem Willen der SPD vor allem an jenen Orten geschehen, die von der Polizei als „besonders kriminalitätsbelastete Orte“ eingeordnet werden.
Während selbst die Grünen grundsätzliche Gesprächsbereitschaft in diese Richtung erkennen lassen, setzt die ebenfalls in der Regierung vertretene SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ auf Fundamentalopposition. Möglicherweise getreu der offiziellen DDR-Doktrin von der Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als Conditio sine qua non für die Beseitigung von Kriminalität – was die DDR-Regierung auch stets anhand kreativer Kriminalstatistiken nachwies – will sie lieber die „sozialen Ursachen“ für die Kriminalität erforschen.
Zudem soll es nach ihrer Auffassung eine Kategorie wie „kriminalitätsbelastete Orte“ gar nicht mehr geben, weil dort „Racial Profiling“ betrieben werde, also eine Kontrolle von Verdächtigen auf Grund ihres Aussehens und ihrer Sprache erfolge.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion