Erfurter Staatsanwaltschaft geht gegen Weimarer Corona-Urteil vor

Mit einer Beschwerde, die auf die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung zielt, will die Staatsanwaltschaft Erfurt (Thüringen) gegen das vielbeachtete jüngste Corona-Urteil des Amtsgerichts Weimar vorgehen. Dieses hatte Kontaktverbote als Verstoß gegen die Menschenwürde bezeichnet.
Von 24. Januar 2021

Die Staatsanwaltschaft Erfurt will das Urteil des Amtsgerichts Weimar zur Aufhebung eines Bußgeldbescheides nicht akzeptieren, der gegen einen Bürger wegen des Verstoßes gegen Corona-bedingte Kontaktbeschränkungen im April 2020 ergangen war. Der Richterspruch zu Az. 6 OWi – 523 Js 202518/20 hatte zuletzt für Aufsehen gesorgt, weil der zuständige Richter in der Begründung heftige Kritik an der Corona-Politik der Regierung insgesamt artikuliert und Kontaktverbote als Verstoß gegen die Menschenwürde gewertet hatte.

Im Übrigen befand das Gericht den Lockdown bei Abwägung der Vor- und Nachteile wirtschaftlicher wie sozialer Art (Depressionen, wirtschaftliche Existenzen etc.) für unverhältnismäßig.

Es geht um Bußgeld von 200 Euro

Wie der MDR berichtet, hat die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Zulassung einer Rechtsbeschwerde eingebracht. Sprecher Hannes Grünseisen zufolge will man das Urteil „mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen“ aufheben lassen und zur Neuverhandlung an einen anderen Richter verweisen.

Dass der Kläger das gegen ihn verhängte Bußgeld nicht bezahlen muss, nachdem er Ende April entgegen geltenden Kontaktverboten in einen Hof mit Angehörigen anderer Haushalte seinen Geburtstag gefeiert hatte, dürfte nicht der primäre Grund für die Staatsanwaltschaft sein, gegen das Urteil vorzugehen. In der Sache selbst geht es lediglich um einen Betrag von 200 Euro.

Büchse der Pandora geöffnet?

Die Staatsanwaltschaft geht aber davon aus, dass die sehr grundsätzliche Infragestellung der Rechtmäßigkeit von Corona-Maßnahmen, wie sie in der Urteilsbegründung angeklungen war, auch in Verfahren wegen weiterer Verstöße gegen Kontaktbeschränkungen von Klägern aufgegriffen werden würde. Möglicherweise würden einige Empfänger von Bußgeldbescheiden sogar versuchen, die Aussagen des Richters zur Verfassungsmäßigkeit der Kontaktbeschränkungen zur Begründung für Wiederaufnahmeverfahren bereits beendeter Bußgeldverfahren nutzbar zu machen.

Im Urteil des Amtsgerichts vom 11. Januar hatte es geheißen, die damalige Anordnung eines Bußgeldes sei verfassungswidrig gewesen, weil das Infektionsschutzgesetz damals keine ausreichende Rechtsgrundlage für einen so weitreichenden Eingriff in Individualrechte der Bürger abgegeben habe. Im November 2020 hatte der Bundestag das Gesetz novelliert, sodass es mittlerweile zumindest eine explizite formalgesetzliche Grundlage für Maßnahmen dieser Art gibt.

Amtsgericht Erfurt bestreitet „epidemische Lage von nationaler Tragweite“

Allerdings hieß es in dem Urteil, dass außerdem noch von einer materiellen Verfassungswidrigkeit von Kontaktverboten auszugehen sei, weil diese gegen die Menschenwürde verstießen und mit Blick auf das Gefahrenpotenzial von Corona auch unverhältnismäßig wären. Das Amtsgericht bezweifelte, dass es zulässig sei, weitreichende Einschränkungen von Grundrechten auf eine unübersichtliche Faktenlage oder gar nicht vorhersehbare Entwicklungen zu stützen.

Da die Reproduktionszahl R zum Zeitpunkt des Verstoßes bereits seit längerer Zeit den Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) zufolge unter 1 gelegen habe, sei nicht mehr von einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ auszugehen gewesen.

Zudem gehöre es „zu den grundlegenden Freiheiten des Menschen in einer freien Gesellschaft, dass er selbst bestimmen kann, mit welchen Menschen (deren Bereitschaft vorausgesetzt) und unter welchen Umständen er in Kontakt tritt“. Weitreichende Kontaktverbote, wie sie im Zuge von Corona in Kraft gesetzt wurden, seien nicht einmal in der Pandemie-Risikoanalyse des Bundes aus dem Jahr 2012 als potenzielle Optionen genannt worden.

Bestimmte Verfahrensregeln bei Anfechtung von Urteilen zu beachten

Nun will die Staatsanwaltschaft das Urteil „zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ überprüfen lassen. Dies sei umso mehr geboten, als die Kontaktbeschränkungen weiter gelten. Es sei eine einheitliche Rechtsprechung zu deren Verfassungsmäßigkeit vonnöten. Während die Frage nach der formalen Befugnis der Exekutive, Kontaktverbote anzuordnen, durch die Novelle zum Infektionsschutzgesetz beigelegt ist, müssen Maßnahmen dieser Art auch inhaltlich den Vorgaben der Verfassung genügen.

Die Staatsanwaltschaft muss grundsätzlich, um ein Rechtsmittel mit Aussicht auf Erfolg einbringen zu können, einen formalen Verfahrensfehler, eine fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung oder einen Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts in einem Urteil beanstanden. Eine isolierte Anfechtung von bloßen Erwägungen, die ein Gericht in einer Urteilsbegründung anstellt, ist in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen.

Gericht steht Normenkontrollverfahren in Karlsruhe offen

Ob der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung bereits in einem Verfahren dieser Art als Anlass für die Überprüfung herangezogen werden kann, ist fraglich. Artikel 95 Absatz 3 GG nennt diesen im Zusammenhang mit der Gerichtsbarkeit von Höchstgerichten, nicht auf der Ebene von Amtsgerichten.

Allerdings steht es Gerichten, die Rechtsvorschriften anzuwenden haben, deren Verfassungsmäßigkeit bezweifelt wird, zu, diese Frage nach Art. 100 GG in einem konkreten Normenkontrollverfahren durch das Bundesverfassungsgericht klären zu lassen.

Das Weimarer Gericht entschied selbst über die Verfassungsmäßigkeit der Normen, weil die Vorlagepflicht gem. Art. 100 Abs. 1 GG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur für förmliche Gesetze des Bundes und der Länder, aber nicht für Rechtsverordnungen gilt. Im Ergebnis sprach das Gericht den Betroffenen frei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.



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