Einsturz der Carolabrücke: Mängel waren bekannt – „Blaues Wunder“ schnitt beim Brücken-TÜV noch schlechter ab

In Dresden beginnen nach dem teilweisen Einsturz der Carolabrücke am Mittwochmorgen die Schuldzuweisungen. Der Zustand des betroffenen Bauteils war bekannt. Allerdings kam der Zeitpunkt der geplanten Sanierung zu spät.
Eine Straßenbahn war glücklicherweise gerade nicht auf der Brücke.
Eine Straßenbahn war glücklicherweise gerade nicht auf der Brücke.Foto: Robert Michael/dpa
Von 11. September 2024

Der Einsturz eines Teils der Ende der 1960er-Jahre wiederaufgebauten Carolabrücke in Dresden am Mittwochmorgen, 11. September, hat weit über die Stadt hinaus Debatten über den Zustand der Infrastruktur in Deutschland ausgelöst. Verletzt wurde bei dem Zusammenbruch, der sich bisherigen Erkenntnissen zufolge gegen 3 Uhr morgens ereignet hatte, wie durch ein Wunder niemand.

Betroffen war jener Teil des Bauwerks, der bisher nicht Gegenstand der 2019 begonnenen Sanierungsarbeiten war. Die Sanierung des ersten Brückenzuges war bis 2021 abgeschlossen, seit November 2023 ist auch der mittlere wieder in einwandfreiem Zustand. Der letzte Teil, der für Straßenbahn und Fußgänger ausgelegt war, sollte im April 2026 fertiggestellt sein. Die Stadt wollte dafür etwa 5,8 Millionen Euro investieren.

Korrosion könnte Ursache für Teileinsturz der Carolabrücke sein

Eine letztgültige Aussage über die Ursache des Einsturzes lässt sich noch nicht treffen. Als wahrscheinlicher Auslöser gilt Korrosion, die bei Spannbetonbrücken wie der Carolabrücke besonders schwerwiegende Auswirkungen haben kann. Chloride, die bereits in der Frühphase des Wiederaufbaus vor mehr als 50 Jahren in die Substanz eingedrungen seien, könnten diese begünstigt haben.

Brückenbauexperte Steffen Marx vom Institut für Massivbau an der TU Dresden äußerte gegenüber der „Sächsischen Zeitung“:

„Ein besonders tragisches Defizit ist, dass die Brücke keinen Redundanzen hat, das heißt: Wenn irgendwas ist, folgt der Einsturz.“

Erst anlässlich des sogenannten Brücken-TÜV, dessen Ergebnisse im April 2024 veröffentlicht wurden, wurde der nunmehr eingestürzte Teil mit „nicht ausreichend“ bewertet. Die übrigen Teile erhielten die Noten „befriedigend“ beziehungsweise „ausreichend“. Die alle sechs Jahre durchgeführte Prüfung von Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit hatte an Teilen des Bauwerks freiliegende korrodierende Bewehrung ausgemacht.

Was Dresdnern nun vor dem Hintergrund des Einsturzes eines Zugs der Carolabrücke besondere Kopfschmerzen bereitet: Diese war bei der Überprüfung nicht einmal die im schlechtesten Zustand befindliche Brücke der Stadt.

„Blaues Wunder“ beim Brücken-TÜV für Dresden als „ungenügend“ bewertet

In noch schlechterem Zustand ist den Prüfern zufolge die Elbbrücke „Blaues Wunder“, offiziell als Loschwitzer Brücke bezeichnet, dessen geplante Sanierung sich aufgrund von Streitigkeiten durch die Auftragsvergabe verzögert. Bereits 2018 hatte die Brücke die Bewertung „nicht ausreichend“ erhalten. In diesem Jahr war es ein „ungenügend“ und damit die schlechteste mögliche Einstufung.

Für eine umfassende Sanierung stehen Fördermittel in Höhe von 13 Millionen Euro zur Verfügung. Vor Frühsommer 2025 wird jedoch innerhalb der Verwaltung nicht mit einem Beginn der Sanierungsarbeiten gerechnet. So lange könnte es auch dauern, bis die Carolabrücke zumindest eingeschränkt wieder genutzt werden kann.

Lokale Medien schreiben unter Berufung auf Quellen aus der Verwaltung von etwa sechs Monaten, die für entsprechende Instandsetzungsarbeiten zu veranschlagen seien. Je nach Länge und Härte des Winters könnte dieser Zeitraum sich noch verlängern.

Audretsch (Grüne): Bundesweit 16.000 Brücken sanierungsbedürftig

Ein weiterer Umstand, der nun Anlass zur Sorge gibt, ist jener, dass gemessen an der gesamten Brückenfläche deutschlandweit der Anteil der Spannbetonbrücken am Bestand rund 70 Prozent beträgt. Das war zumindest die Situation im Jahr 2019, wie aus einem Beitrag auf der Seite des Bundesverkehrsministeriums hervorgeht.

Das bedeutet zwar nicht, dass diese ebenfalls einsturzgefährdet sind. Dennoch gehen Beobachter davon aus, dass sich unter den täglich genutzten Brücken auch potenziell anfällige Bauwerke dieser Art befinden. Im Jahr 2018 war die Rede von Baumängeln an etwa 50 Berliner Brücken. Der Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, Andreas Audretsch, spricht von bundesweit 16.000 sanierungsbedürftigen Brücken.

In sozialen Medien haben unterdessen die Schuldzuweisungen begonnen. Vor allem auf der Linken wird der teilweise Einsturz der Carolabrücke zum Anlass genommen, eine Aufweichung der Schuldenbremse zu fordern. Vereinzelt wird damit auch die Forderung nach einer Verkehrsreduktion begründet, obwohl seit der Fertigstellung der A17 die tägliche Nutzung der Carolabrücke durch Pkws um etwa 38 Prozent gesunken ist.

Hätte man die Carolabrücke vorsorglich sperren sollen?

Andere werfen der Stadt vor, falsche politische Schwerpunkte zuungunsten der Infrastruktur gesetzt zu haben. Die Fraktion der Freien Wähler/Freien Bürger im Stadtrat von Dresden hatte am 21.9. des Vorjahres einen Antrag eingebracht, spätestens bis zum 30. Juni 2024 einen Bericht über den Zustand sämtlicher Brückenbauwerke im Stadtgebiet vorzulegen.

Unter Berufung auf Anliegen der Bürgerinitiative „Automobil in Dresden“ forderte man, der „Pflege und da, wo es notwendig ist, der Sanierung von Brücken“ eine „Priorität für den Haushalt“ einzuräumen. Angesichts aktueller Berichte über verschiedene Brücken im Stadtgebiet äußerte man Zweifel, „ob diese Priorität im zuständigen Geschäftsbereich so gesehen wird“.

Mit knapper Mehrheit wurde das Ansinnen im Verkehrsausschuss am 6. März und im Stadtrat am 14. Juni 2024 abgelehnt. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt längst auch schon das Ergebnis des fälligen Brücken-TÜV bekannt. Eine frühzeitige Sperre wäre politisch aufgrund des zu erwartenden Verkehrschaos im ohnehin staugeplagten Stadtzentrum allerdings heikel gewesen.



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