Einheit und Verfassung: Soll Artikel 146 gestrichen werden? Buschmann sagt Nein
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hält nichts davon, nach fast 35 Jahren Einheit den Artikel 146 zu streichen und damit das Grundgesetz als endgültige Verfassung anzuerkennen.
„Wir sollten mit dem Grundgesetz weiterarbeiten“, sagte Buschmann der „Rheinischen Post“. Artikel 146 sieht vor, dass das Grundgesetz seine Gültigkeit verliert, wenn eine Verfassung in Kraft tritt, „die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“.
Faktisch „gelebte Verfassung“
„Es ist faktisch seit der Wiedervereinigung unsere gemeinsame und gelebte Verfassung. Die Debatte über den Artikel 146 finde ich daher ein wenig theoretisch.“ Buschmann ergänzte, der Name „Grundgesetz“ habe den historischen Hintergrund, dass es ursprünglich nur als Provisorium gedacht gewesen sei.
„Wollte man noch einmal darüber nachdenken, wie man einen Staat nach 75 Jahren Erfolgsgeschichte gestaltet, würde sich die ganz breite Mehrheit genau die Strukturen wieder wünschen, die wir heute haben.“
Mit Blick auf die Debatte, den Tag des Grundgesetzes am 23. Mai zum Feiertag zu machen, sagte Buschmann: „Zwar finde ich den Vorschlag grundsätzlich sympathisch. Aber mehr Feiertage passen wirtschaftlich nicht in die Zeit. Man müsste dann also auch die Frage beantworten, welchen anderen Feiertag man dafür abschaffen wollte.“
Befürworter: Neue Identität
Einige Stimmen argumentieren, dass das Grundgesetz ursprünglich nur als vorläufige Lösung für die Bundesrepublik gedacht war. Mit der Wiedervereinigung 1990 sei die Schaffung einer gesamtdeutschen Verfassung durch das „gesamte deutsche Volk“ gemäß Artikel 146 überfällig. Eine neue Verfassung könne die Identität eines vereinten Deutschlands besser widerspiegeln.
Gegner: GG hat sich bewährt
Andere betonen, dass das Grundgesetz sich seit über 70 Jahren bewährt und einen hohen Akzeptanzgrad in der Bevölkerung hat. Eine neue Verfassung würde Unsicherheiten mit sich bringen und die im Grundgesetz verankerten Grund- und Freiheitsrechte gefährden. Zudem sei das Grundgesetz durch die Vereinigung 1990 bereits zur gesamtdeutschen Verfassung geworden.
Letzter DDR-Außenminister bedauert Verzicht auf neue Verfassung 1990
Der Stiftungsratsvorsitzende der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und letzte DDR-Außenminister Markus Meckel (SPD) hält es für einen Fehler, dass im Zuge der deutschen Vereinigung 1990 nicht auch Korrekturen am Grundgesetz vorgenommen wurden. „Die Vereinigung fand über Artikel 23 des Grundgesetzes statt, der den Beitritt regelt. Dafür gab es auch Gründe“, sagte er dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“.
„Es wäre aber richtig gewesen, dem Grundgesetz im Zuge der Vereinigung etwas Substanzielles hinzuzufügen, damit die Ostdeutschen nicht nur die Hinzugekommenen sind. Solche Vorschläge gab es ja, etwa in Form der Verankerung von Minderheitsrechten oder dem Recht auf Wohnen und Arbeit als Staatszielbestimmung. Damit hätte man eine Identifizierung geschaffen, die für Ostdeutsche wichtig gewesen wäre. Ost- und Westdeutsche hätten sich eine gemeinsame Basis gegeben. Doch hierfür hat es an Achtung und Respekt gefehlt.“
Meckel fügte hinzu: „Das ist aber vergossene Milch. Auch wir Ostdeutschen haben jetzt 34 Jahre mit dem Grundgesetz gut gelebt. Das sollten wir ernst nehmen. Deshalb trete ich dafür ein, Artikel 146 des Grundgesetzes zu streichen und damit die Vorläufigkeit zu beenden.“
Justizminister fordert mehr Wertschätzung für Demokratie
Justizminister Marco Buschmann hat zudem die Bürger zu mehr Wertschätzung der Verfassung und der Demokratie aufgerufen. „Es muss einem nicht alles gefallen, was in unserem Land geschieht. Kritik an der Politik gehört zur Demokratie“, sagte er der „Rheinischen Post“. „Aber unsere Verfassung als Rahmen der Politik hat für den freiheitlichsten und wohlhabendsten Staat gesorgt, den wir je hatten.“
Menschen in Deutschland, welche die Demokrate in Frage stellen, empfehle er einen Blick in die Welt, sagte Buschmann. „In keinem autoritären Staat würden sie besser leben können.“
Politiker von SPD und CDU lehnen Volksabstimmung über GG ab
Die Ministerpräsidenten von Brandenburg und Sachsen-Anhalt, Dietmar Woidke (SPD) und Reiner Haseloff (CDU), lehnten derweil eine Volksabstimmung über das Grundgesetz ab. „Es gibt weiterhin bestehende Ungerechtigkeiten zwischen Ost und West, die endlich abgebaut werden müssen. Von Volksabstimmungen zum Artikel 146 Grundgesetz hat kein einziger Ostdeutscher etwas“, sagte Woidke dem „stern“.
„75 Jahre nach seiner Verkündung sollte es nicht darum gehen, über das Grundgesetz abzustimmen, sondern vielmehr es weiter mit Leben zu füllen, es zu achten und zu bewahren“, sagte Haseloff. Das Grundgesetz habe sich nun über Jahrzehnte auch im Osten bewährt.
Der „Bild“-Zeitung (Donnerstagsausgabe) zufolge hält die Mehrheit der Deutschen das Grundgesetz für zeitgemäß. 53,6 Prozent der Befragten hätten in einer INSA-Umfrage für die „Bild“ der Aussage zugestimmt, das Grundgesetz sei alles in allem auch nach 75 Jahren zeitgemäß. 38,7 Prozent finden die Aussage demnach nicht zutreffend, der Rest habe keine Angabe gemacht.
Anlässlich des 75. Jahrestages der Verkündung des Grundgesetzes findet am Donnerstag im Berliner Regierungsviertel ein Staatsakt statt. Von Freitag bis Sonntag soll dann das Doppeljubiläum 75 Jahre Grundgesetz und 35 Jahre Friedliche Revolution mit einem dreitägigen Demokratiefest gefeiert werden.
(dts/afp/red)
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