Ehrenamt: Bildung macht den Unterschied

Fast die Hälfte der Jugendlichen in Deutschland hat sich im vergangenen Jahr ehrenamtlich engagiert. Dabei zeigen sich allerdings gravierende Unterschiede zwischen den Bildungsschichten mit zum Teil problematischen Folgen.
Epoch Times19. Juli 2011

Sie organisieren Kindergottesdienste, gehen zur Jugendfeuerwehr oder leiten Pfadfindergruppen: 44,9 Prozent aller 14- bis 15-Jährigen in Deutschland haben sich im vergangenen Jahr ehrenamtlich engagiert. Das sind deutlich mehr, als bislang angenommen wurde. Im Durchschnitt war jeder von ihnen 22 Stunden im Monat aktiv – und das in der Regel über einen längeren Zeitraum hinweg. Die Hälfte der Jugendlichen ist länger als ein Jahr dabei. Allerdings ist ehrenamtliches Engagement nicht gleichmäßig verteilt: Während sich bei Gymnasiasten jeder Zweite engagiert (50,5 Prozent), ist unter Hauptschülern nur jeder dritte Befragte sozial aktiv. Dieses zwiespältige Bild zeichnen die Ergebnisse der aktuellen Studie zu „Jugend. Engagement. Politische Sozialisation.“ der Universität Würzburg.

Soziales Engagement fördert demokratisches Bewusstsein

„Der Unterschied zwischen Gymnasiasten und Hauptschülern lässt sich in erster Linie mit einer größeren Nähe zum Ehrenamt bei bildungsnahen Familien erklären“, erläutert der Leiter der Studie, Professor Heinz Reinders, den Befund. Problematisch findet Reinders dieses Ergebnis vor allem aus zwei Gründen. Zum einen: „Wir können zeigen, dass mit sozialem Engagement das Selbstwertgefühl steigt“, so der Bildungsforscher. Und somit seien Hauptschüler auch in diesem Punkt wieder einmal hinten dran.

Zum anderen: „Wer sich ehrenamtlich engagiert, ist auch zu demokratischem Handeln bereit“, so Reinders. Im Vergleich zu Jugendlichen, die keinem Ehrenamt nachgehen, berichten ehrenamtlich Engagierte sehr viel häufiger, dass sie als Erwachsene bei Landtags- oder Bundestagswahlen ihre Stimme abgeben werden. 63,1 Prozent wollen sich an Landtagswahlen beteiligen, nicht ehrenamtlich Aktive hingegen nur zu 51 Prozent. Bei Bundestagswahlen beträgt diese Differenz zwischen Engagierten und Nicht-Engagierten immerhin noch zehn Prozentpunkte (69,4 im Vergleich zu 59,4 Prozent).

Dazu passt, dass Jugendliche, die sich in ihrer Freizeit für soziale Belange betätigen, sich eher als „gesellschaftliche Gestalter“ erleben. Drei Viertel von ihnen haben das Gefühl, durch ihre Freizeitbeschäftigung etwas Sinnvolles zu machen, wohingegen nur etwa ein Viertel der Nicht-Engagierten ihrer Freizeit sinnvolle Seiten abgewinnen können. Knapp ein Viertel der Engagierten ist überdies der Ansicht, in der Freizeit die Gesellschaft im Kleinen verändern zu können. Nur sechs Prozent der Nicht-Engagierten teilen diese Ansicht.

Ehrenamt ist der Türöffner zur Gesellschaft – vor allem für Gymnasiasten

„Ehrenamt ist bereits bei Jugendlichen ein zentraler Zugang zur Gesellschaft“, resümiert Reinders die Ergebnisse und ergänzt: „Da werden die Hauptschuljugendlichen auch bei diesem Zugang ein weiteres Mal abgehängt.“ Eine Entwicklung, die er bedauert, schließlich fördere ein Ehrenamt die positive Entwicklung im Jugendalter.

Reinders fordert daher, Programme für soziales Engagement viel stärker auf diese Zielgruppe auszurichten. Denn wie die Studie zeige, suchen Hauptschüler deutlich seltener eigenständig ein Engagement als Gymnasiasten. Sie lassen sich eher über Freunde motivieren.

Was sie dann noch benötigen, ist ein möglichst konkretes Projekt. Und interessant muss es sein – das zumindest wünschen sich 45,4 Prozent der Jugendlichen aus Hauptschulen. Anders die Gymnasiasten: Von denen legt nur jeder Dritte Wert darauf, sich für ein „interessantes Projekt“ zu engagieren.

Bei Gymnasiasten steht hingegen der Spaß ganz oben; den wünschen sich immerhin 43,6 Prozent für ihr Engagement. Im Unterschied zu Hauptschülern, unter denen nur 38 Prozent Wert auf diesen Aspekt legen.

Hauptschüler wollen – wenn sie sich schon ehrenamtlich engagieren – gerne etwas für das Leben lernen (36,5 Prozent); Gymnasiasten ist dieser Punkt nicht so wichtig – er spielt nur für 24,9 Prozent von ihnen eine Rolle.

Schulen und Verbände besser miteinander vernetzen

Bleibt noch die Frage, was Organisationen tun müssen, die Jugendliche als ehrenamtliche Helfer gewinnen wollen. Über ihre Werbung schaffen es karitative Organisationen jedenfalls so gut wie gar nicht. Gerade einmal jeder zehnte Befragte gab an, sein Engagement wegen einer solchen Werbung begonnen zu haben.

Eine Schlüsselstellung nehmen hingegen Schulen ein. Neben den Freunden (15,5 Prozent) und den Eltern (13,1 Prozent) bahnen sie den meisten Jugendlichen (21,8 Prozent) den Eintritt in die Welt des Ehrenamtes, sei es durch die schulische Mitbestimmung oder durch in der Schule durchgeführte soziale Projekte. Deshalb mache es Sinn, Schulen und benachbarte Vereine oder Verbände auch in Fragen des sozialen Engagements sehr viel enger zu vernetzen, glaubt Reinders. „Idealerweise sind der Klassenlehrer und der Leiter der Jugendfeuerwehr ein und dieselbe Person, und falls nicht, sollten sie schnellstens miteinander reden“, so Reinders.

Ehrenamt in Zeiten der Berufsarmee

Über die konkreten Befunde der Studie hinaus rechnet der Würzburger Bildungsforscher mit einem weiteren Effekt, der sich in den Daten andeute. Durch den Wegfall der Wehrpflicht würden vermutlich vor allem höher gebildete Jugendliche sich nach der Schule für ein Freiwilligenjahr entscheiden, wohingegen die finanziellen Anreize der Bundeswehr eher Jugendliche mit geringer Bildung locken werden. „Die sozial Schwachen werden dann häufiger ihr Leben in Kriegsgebieten riskieren, eine Situation, die aus anderen Ländern wie den USA bereits bekannt ist.“

Umso wichtiger sei es, Hauptschuljugendliche für soziales Engagement zu begeistern. Denn internationale Studien zeigen laut Reinders, dass soziales Engagement im Jugendalter in hohem Maße auch ehrenamtliche Tätigkeiten Erwachsener vorhersagt.

Die Studie

2.408 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 15 Jahren haben die Bildungsforscher im Zeitraum von Oktober 2010 bis Januar 2011 für ihre Studie befragt. 84,6 Prozent von ihnen sind deutscher Herkunft. Die Stichprobe umfasst jeweils zur Hälfte Mädchen (46,9 Prozent) und Jungen (53,1 Prozent). Ein Großteil der Befragten sind Schüler an Gymnasien (48,1 Prozent); die Realschule besuchen 26,3 Prozent; Hauptschüler stellen einen Anteil von 20,4 Prozent. Die meisten Jugendlichen besuchten zum Befragungszeitpunkt die 8. bis 10. Klasse (96 Prozent). (sfr / idw)

 

 



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