„Echter Fortschritt“: Finanzminister glaubt an dauerhaft gemeinsame EU-Schuldenaufnahme
Die gemeinsame Schuldenaufnahme in Europa mit dem Corona-Wiederaufbaufonds ist nach Ansicht von Bundesfinanzminister Olaf Scholz keine krisenbedingte Eintagsfliege. „Der Wiederaufbaufonds ist ein echter Fortschritt für Deutschland und Europa, der sich nicht mehr zurückdrehen lässt“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat der Funke-Mediengruppe.
Die EU nehme erstmals gemeinsame Schulden auf, setze diese gezielt gegen die Krise ein und verpflichte sich zugleich, bald mit der Rückzahlung zu beginnen. „All das sind tiefgreifende Veränderungen, vielleicht die größten Veränderungen seit Einführung des Euro.“
Um bei künftigen Krisen und Herausforderungen schneller handlungsfähig zu sein, forderte Scholz eine Reform der Abstimmungsregeln in den EU-Räten. Der „Zwang zur Einstimmigkeit“ müsse abgeschafft werden.
Deutschland übernimmt 27 Prozent des europäischen Wiederaufbaufonds
Vor einem Monat hatten sich die EU-Staaten nach einem Gipfelmarathon darauf geeinigt, dass für den EU-Wiederaufbaufonds nach der Pandemie insgesamt 750 Milliarden Euro bereitstehen. Davon fließen 390 Milliarden Euro als direkte Zuschüsse und 360 Milliarden Euro als Kredite. Außerdem nimmt die EU-Kommission erstmals europäische Schulden an den Finanzmärkten auf. Diese seien bis 2058 zurückzuzahlen.
Deutschland war jahrelang gegen eine gemeinsame Schuldenaufnahme. Auch Finanzspritzen an überschuldete und von den Folgen der Pandemie besonders getroffene Südländer wie Italien und Spanien galten als ungünstig.
Die Pandemie vor Augen vollzogen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Scholz dann in enger Abstimmung mit Frankreich einen einmaligen Kursschwenk. Beim Corona-Wiederaufbaufonds trägt Deutschland einen Anteil der Lasten von rund 27 Prozent, erhält aber auch selbst europäische Fördergelder.
Über Einnahmen der EU sprechen
Scholz betonte, nun müsse zwangsläufig auch über gemeinsame Einnahmen der EU zu sprechen sein, was die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union verbessern könnte. „Das kann schnell relevant werden. Wenn der Rettungsfonds zurückgezahlt werden muss, sollte das nicht zu Lasten des normalen EU-Haushalts gehen.“
Deshalb seien eigene EU-Einnahmen sinnvoll. In Frage kämen der Emissionshandel im Schiffs- und Luftverkehr oder auch die Besteuerung von Finanztransaktionen oder digitalen Plattformen.
Um bei künftigen Krisen und Herausforderungen schneller handlungsfähig zu sein, forderte der deutsche Finanzminister eine Reform der Abstimmungsregeln in den EU-Räten. „Die EU braucht die Möglichkeit, gemeinsam zu handeln. Dafür braucht es aber qualifizierte Mehrheitsentscheidungen bei der Außen-, Fiskal- oder Steuerpolitik statt dem Zwang zur Einstimmigkeit in den EU-Räten.“
Deutschland zahlt immer mehr in die EU – größter Nettozahler
Die Bundesregierung steuerte im vergangenen Jahr 14,3 Milliarden Euro mehr zum europäischen Haushalt bei als sie etwa über Agrarhilfen oder Wirtschaftsförderung zurückbekam, wie die Nachrichtenagentur AFP am Freitag unter Berufung auf eine Aufstellung der EU-Kommission berichtete.
Damit erhöhte sich der Saldo zu Lasten Deutschlands im Vergleich zu 2018 um gut 800 Millionen Euro.
Von den im vergangenen Jahr noch 28 EU-Staaten waren elf wie Deutschland Nettozahler. Das inzwischen aus der EU ausgetretene Großbritannien stand dabei mit einem Beitragssaldo von 6,82 Milliarden Euro an zweiter Stelle der wichtigsten EU-Finanziers.Größte Profiteure des EU-Budgets waren 2019 Polen und Ungarn. Warschau bekam laut Kommission gut zwölf Milliarden Euro mehr aus Brüssel als es in die EU-Kasse einzahlte. Bei Budapest stand unter dem Strich ein Plus von fünf Milliarden Euro.
Das EU-Budget wird überwiegend durch Beitragszahlungen der Mitgliedstaaten finanziert, die sich an der Wirtschaftskraft orientieren. Hinzu kommen Einnahmen aus Zöllen und ein kleiner Anteil an der Mehrwertsteuer. 2019 deckte die EU damit Gesamtausgaben von rund 159 Milliarden Euro – das Spektrum reicht von Mitteln für Landwirte und Umwelt über Infrastrukturprojekte und Unternehmensförderung bis zu Entwicklungshilfe und Grenzschutz.
In der nächsten EU-Finanzperiode wird Deutschland noch mehr zur Kasse gebeten
Deutschland überwies 2019 brutto 29,9 Milliarden Euro nach Brüssel. In der nächsten siebenjährigen EU-Finanzperiode von 2021 bis 2027 dürften die deutschen Beiträge durch den Wegfall des Nettozahlers Großbritannien und Preissteigerungen um mehrere Milliarden pro Jahr wachsen.
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten sich für den nächsten Sieben-Jahres-Zeitraum bis 2027 im Juli auf ein Haushaltsvolumen von 1074,3 Milliarden Euro verständigt.
Gleichzeitig vereinbarten sie den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. (dts/afp/nh/ks)
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