Dunkles Kapitel DDR-Geschichte noch lange nicht aufgearbeitet

Stasiunterlagen müssen weiter erschlossen werden
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Das Stasi-Archiv enthält 180 Kilometer Akten, 39 Millionen Karteikarten, Hundertausende Bilder und Mitschnitte von Telefonaten, 15.600 Säcke gefüllt mit zerstörten Dokumenten. (Foto: Nina Ruecker/Getty Images)
Epoch Times15. Januar 2006

Leipzig – Auch 15 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit ist eines der dunkelsten Kapitel der DDR-Geschichte noch längst nicht aufgearbeitet. „Bei uns sind erst 86 Prozent der Aktenbestände erschlossen“, sagte Regina Schild, Leiterin der Außenstelle Leipzig der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen. Und noch immer gehen Monat für Monat etwa 500 Anträge auf Akteneinsicht bei der Leipziger Behörde ein.

„Freiheit für meine Akte“ – so lautete eine der zentralen Forderungen der Bürgerrechtler, nachdem sie das SED-Regime in die Knie gezwungen und auch die Dienststellen des besonders verhassten Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) besetzt hatten. „Wobei der Begriff ‚meine Akte’ so kaum zutrifft“, berichtet Schild aus der Arbeit der Archivare. Diese stellen nämlich immer wieder fest, dass personenbezogene Daten in unterschiedlichen Akten auftauchen, wenn etwa in Berichten der Stasi über Ausreisewillige auch deren Freunde oder Kollegen namentlich genannt werden.

Die Unterlagen, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Leipziger Außenstelle zu bearbeiten haben, füllen rund zehn Kilometer an laufenden Akten. Und die Sichtung ist nach Schilds Angaben noch lange nicht abgeschlossen. Mit Bildung der Behörde stand nach Schilds Worten die Erschließung von Personenakten im Vordergrund. „Ganz wichtig waren zum Beispiel die Unterlagen, die wir für Rehabilitierungsverfahren zur Verfügung stellen konnten“, berichtet sie.

So war zum Beispiel in der Strafprozessordnung der DDR das MfS als Ermittlungsbehörde vorgesehen. „Politische Gefangene haben damals weder die Anklageschrift noch das Urteil ausgehändigt bekommen“, erzählt die Außenstellenleiterin. Gerichtsakten über diese Personen wurden nach dem Verfahren wieder an die Staatssicherheit zurückgegeben und kamen dort unter Verschluss – bis zur Wende.

Es waren die Mitglieder von Bürgerkomitees, die 1989 dafür sorgten, dass die Unterlagen bei der Stasi nicht einfach vernichtet wurden. Die Einrichtung einer Behörde für die Unterlagen der Staatssicherheit wurde auf Drängen der Bürgerrechtler in den Einigungsvertrag aufgenommen. Immer wieder gab es aber auch Bestrebungen, die Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheit der Obhut der Bürgerkomitees zu entreißen. So gab es den Plan, die Akten dem damaligen Staatsarchiv der DDR oder später dem Bundesarchiv einzuverleiben. „Dagegen haben sich die Bürgerkomitees aber gewehrt, in Berlin, aber auch in Leipzig gab es Hungerstreiks“, sagt Schild.

Später wurde per Gesetz geregelt, wer Einsicht in die Akten nehmen durfte. Am 2. Januar 1992 konnten Betroffene erstmals einen entsprechenden Antrag stellen. «Es war extrem, die Menschen standen in langen Schlangen an, um ein Antragsformular auszufüllen», erinnert sich die Behördenleiterin. Der Andrang sei so groß gewesen, dass die Formulare ausgegangen seien. 1992 wurden allein bei der Leipziger Stasiunterlagenbehörde insgesamt rund 45.000 Anträge eingereicht.

Von Anfang an stand die Behörde im Diskurs und wurde begleitet von der Frage, ob man nicht einen Schlussstrich unter dieses Kapitel ziehen solle. „Ich bin absolut dagegen, denn wir geben den Menschen ihre Identität zurück“, unterstreicht Schild.

„Vergangenheit nicht zudeckeln“

Auch Besucher aus anderen Ländern bestärken sie in ihrer Haltung. In keinem anderen Land wurden in gleicher Weise Geheimdienstakten den Menschen zugänglich gemacht. „So zeigen sich nach Führungen durch unser Haus die Leute immer wieder erstaunt, wie wir Deutschen mit unserer jüngsten Geschichte umgehen, haben sie Respekt davor“, sagt Schild. „Wenn man die Vergangenheit zudeckelt, holt sie einen meist ein“, ist sie sich sicher. Man müsse darüber nachdenken, um die Fehler, die früher einmal gemacht wurden, nicht zu wiederholen.

Um die Erinnerung wach zu halten, ist für die Mitarbeiter der Stasiunterlagenbehörden die Arbeit mit Schülern besonders wichtig. So können Schulklassen sich in den Archiven umschauen, bekommen anonymisierte Musterakten in die Hände. «Die jungen Leute sind dann häufig erstaunt, über was für scheinbare Banalitäten da Unterlagen angelegt wurden», erzählt Schild. Häufig gingen die Schüler aber im Anschluss an einen Besuch bei der Unterlagenbehörde auf ihre Eltern zu und fragten, wie sie die DDR erlebt hätten.

Aber nicht nur Schüler sind in Leipzig gern gesehene Gäste. Die Stasiunterlagenbehörde bietet an jedem letzten Mittwoch im Monat um 17.00 Uhr kostenlose Führungen durch das Archiv an.

Jörg Aberger/AP

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