Drosten: Schulschließung war „reine Politik“ – Chronologie zur Uneinigkeit der politischen Akteure

Die Aufarbeitung der Corona-Politik gerät zunehmend in die Öffentlichkeit. Eine Äußerung des Virologen Christian Drosten, der eine beratende Rolle einnahm, bringt einen Stein ins Rollen.
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Der Virologe Christian Drosten (Archivbild).Foto: Kay Nietfeld/dpa/dpa
Von 2. Juli 2024

Die Aufarbeitung der Corona-Politik schreitet voran. Epoch Times nimmt eine Aussage des Chefvirologen der Berliner Charité, Christian Drosten, zum Anlass, die Chronologie der Schulschließungen unter die Lupe zu nehmen. Drosten hat bestritten, dass die wissenschaftlichen Berater den Bundes- und Landesregierungen während der Corona-Pandemie die bundesweite Schließung von Schulen empfohlen hätten. „Wir haben uns explizit nicht für flächendeckende Schulschließungen ausgesprochen“, sagte Drosten dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Samstagausgaben des 29. Juni).

„Wir hatten in Deutschland ganz früh die Testung; wir konnten unsere Ausbrüche also genau lokalisieren. Ich riet daher nur zu örtlich und zeitlich beschränkten Schulschließungen nach Ausbruchslage“, so Drosten weiter.

So stehe es auch im Beschlusspapier der entsprechenden Ministerpräsidentenkonferenz, erklärte der Virologe. „Dass dann ein Bundesland nach dem anderen am nächsten Tag doch die Schulen geschlossen hat, das ist reine Politik gewesen.“

„Schulschließungen waren wirksam, aber andere Maßnahmen auch“, sagte Drosten. „Das war jeweils eine Frage der politischen Gewichtung.“

Damals habe es drei wissenschaftliche Berater gegeben: Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Institutes (RKI) als oberste staatliche Gesundheitsbehörde, den Charité-Chef Heyo Krömer und ihn, so Drosten. „Politische Maßnahmen habe ich nie gefordert“, betont der Virologe.

Einblicke in RKI-Protokolle

Schaut man in die bislang veröffentlichten, teilweise noch geschwärzten RKI-Protokolle, so spricht einiges dafür, dass die Schulschließung, wie von Drosten erklärt, eine politisch motivierte Entscheidung war.

Am 11. März 2020 – dem Tag, an dem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Corona-Pandemie ausrief – stand das Thema Schulschließung als Maßnahme zum Infektionsschutz auf der Tagesordnung der RKI-Krisenstabssitzung. Eine flächendeckende Schulschließung wurde „nicht empfohlen“.

Am 12. März bekräftigte die oberste staatliche Gesundheitsbehörde bei der RKI-Krisenstabssitzung: „Das RKI hält Schulschließungen nur in besonders betroffenen Gebieten für sinnvoll.“ Gleichzeitig wurde notiert, dass in Bayern bereits erste Universitäten geschlossen haben und Bayern und Sachsen über Schulschließungen nachdenken.

Druck aus dem Ausland

Während das RKI nur regionale Schulschließungen für sinnvoll erachtete, wuchs der Druck aus dem Ausland auf die Verantwortlichen. Zu jener Zeit waren alle Schulen und Universitäten in Italien geschlossen. Auch Dänemark, Polen, Tschechien und Griechenland machen ihre Einrichtungen inklusive Kitas dicht. In Österreich wurde eine Schulschließung angekündigt.

In Spanien und Frankreich schlossen Schulen und Kitas, in denen besonders viele Fälle gemeldet wurden; während in der Schweiz Grund- und Mittelschulen bewusst nicht geschlossen, um eine Betreuung jüngerer Schulkinder durch Großeltern zu verhindern. In Belgien riet die Föderalregierung von flächendeckenden Schulschließungen ab, die gab es nur vereinzelt.

Kultusministerkonferenz: „Schulschließung fällt in Verantwortung der Gesundheitsbehörden“

Ebenfalls am 12. März fand eine Kultusministerkonferenz statt. Im Ergebnis wurde ein einheitliches Vorgehen beschlossen. Zum Thema Schulschließung hieß es:

„Die Gesundheitsbehörden bewerten im Einzelfall das gegebene Gesundheitsrisiko und veranlassen die notwendigen Maßnahmen, wie beispielsweise den Ausschluss einzelner Schülerinnen und Schüler vom Unterricht, Beschäftigungsverbote oder die temporäre Schließung (und Wiedereröffnung) von Schulen. Auch die Anordnung flächendeckender Schulschließungen fällt in die Verantwortung der Gesundheitsbehörden.“

Mit anderen Worten: Wenn die Infektionslage es vor Ort hergibt, können Gesundheitsämter die Schulschließung anordnen.

Spahn: Schulschließungen nicht nötig

Am selben Tag wurde bekannt, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn präventiven Schulschließungen skeptisch gegenübersteht. In seinem später erschienenen Buch „Wir werden einander viel verzeihen müssen“ macht er den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder für die ersten bundesweiten Schulschließungen verantwortlich. Spahn sagt, dass diese nicht nötig gewesen wären.

Nach Spahns Aussage wurde beim ersten Corona-Gipfel von Bund und Ländern am 12. März 2020 einstimmig beschlossen, dass es je nach Lage lediglich regionale Schulschließungen geben sollte.

Söder kündigt Schulschließungen an

Am Abend des 12. März gegen 21 Uhr sprach Söder auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel von einem notwendigen „entschlossenem Handeln mit klarer Zielführung“. Mit Blick auf das Corona-Geschehen äußerte er: „Was vorgestern kaum möglich schien, wird wahrscheinlich und ist morgen dann Realität.“ So würde man im Freistaat Bayern beispielsweise „morgen [den 13. März] endgültig entscheiden, dass wir die Schulen und wann wir die Schulen schließen, jetzt vor Ostern, und auch die Kitas“. Viele Bundesländer würden ebenfalls dazu Überlegungen anstellen, so Söder.

Dem voraus ging der erste in Bayern gemeldete Corona-Todesfall, ein pflegebedürftiger 80-Jähriger aus Würzburg mit Vorerkrankungen. Bis dahin waren bereits vier Todesfälle in Nordrhein-Westfalen (89, 78,73 Jahre) und Baden-Württemberg (67 Jahre) registriert.

RKI diskutiert über die Rolle der Kinder

Die Rolle der Kinder als Virusüberträger stand am 13. März um 13:00 Uhr auf der Tagesordnung der RKI-Krisenstabssitzung (S. 352 der RKI-Protokolle). Zu dieser Zeit hatte das Saarland bereits als erstes Bundesland verkündet, dass ab der kommenden Woche bis zum Ende der Osterferien Kitas und Schulen schließen sollten. Im Saarland gab es zu dieser Zeit 14 bestätigte Corona-Fälle, also positiv auf SARS-CoV2 getestete Personen. Bundesweit waren es bis dato 2.369 Fälle. Während des Vormittags kündigten Bayern, Niedersachsen, Berlin und Bremen Schulschließungen an, weitere Länder folgten. Man sprach auch von „vorgezogenen Osterferien“.

Aus dem RKI-Protokoll vom 13. März wird deutlich, dass zu diesem Zeitpunkt weder klar war, welche Rolle Kinder und Jugendliche bei der Übertragung spielten, noch welche Konsequenzen Schulschließungen nach sich ziehen. Gegebenenfalls könne es nach einer Wiedereröffnung nach vier Wochen zu einer verstärkten Aktivität von Influenza und auch COVID-19 kommen, hieß es. Aus einer Publikation ging laut RKI hervor, dass Kinder und Jugendliche häufig infiziert werden, aber ohne Symptome bleiben.

Am Abend des 13. März lag die Zahl der in Deutschland positiv getesteten Personen bei 3.628 (Stand 18 Uhr). Eine 78-Jährige aus dem Kreis Heinsberg, ein 80-Jähriger aus Kirchheim sowie ein 85-Jähriger wurden als sechster bis achter Corona-Todesfall registriert.

Als letztes Bundesland erklärte Mecklenburg-Vorpommern am 14. März, dass Schulen und Kitas bis zum 20. April geschlossen bleiben, wobei die Osterferien regulär vom 6. bis 15. April gingen.

Es kann festgehalten werden, dass nach den vorliegenden Dokumenten das RKI als oberste deutsche Gesundheitsbehörde bei der flächendeckenden Schulschließung keine tragende Rolle gespielt hat. Es bestand Uneinigkeit zwischen den politisch Verantwortlichen. Eine Schulschließung wurde nicht von allen Akteuren befürwortet. Es mangelte auch an einer Evidenz oder Anzeichen, dass Kinder besonders gefährdet sind. Die Todesfälle, die bis zum Tag der Schulschließung registriert wurden, betrafen ausschließlich ältere Menschen, wobei die jüngste Person 67 Jahre alt war.

Die Schulschließungen hatten „gravierende Nebenwirkungen“, wie Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger im Juni 2022 rückblickend äußerte. „Im Ergebnis waren die flächendeckenden Schulschließungen ein Fehler, den wir nicht wiederholen dürfen.“

(Mit Material der Agenturen)



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