Drosten schiebt Debatte um Corona-Aufarbeitung an
Der Virologe Christian Drosten zeigt sich offen für Forderungen aus der Politik, das Regierungshandeln während der Corona-Pandemie in einem Untersuchungsausschuss beziehungsweise einer Enquetekommission aufzuarbeiten.
Zwar sei er sich nicht sicher, ob eine parlamentarische Kommission das in der ganzen Breite erfassen könne und ob alle relevanten Personen zu Wort kämen, aber er wäre für einen Versuch, sagte er dem „Spiegel“. „Parallel sehe ich das auf jeden Fall als Auftrag bei den Medien und auch der Wissenschaft.“
Rückblickend erklärte er: „Wir hatten ein objektives naturwissenschaftliches Problem, das eine unbequeme Wahrheit in unser aller Leben setzte. Aber plötzlich wird das relativiert, plötzlich gibt es eine Menge Meinungen zu einem Naturphänomen, das doch unverrückbar ist.“
Schon die Grundidee, zu einem naturwissenschaftlichen Phänomen eine Meinung zu haben, sei „irreführend“. Insoweit gebe es Unsicherheiten, aber keine Meinungsverschiedenheiten. Statt sich zu positionieren, müsse man sich umfassend orientieren. Selbstverständlich müssten auch Personen aus anderen Bereichen wie Wirtschaft, Gesellschaft und Recht gehört werden.
Drosten: Gewichtung politisch, nicht unbedingt wissenschaftlich
„Die Politik sollte es unterlassen, uns Wissenschaftler für politische Maßnahmen in Anspruch zu nehmen“, so Drosten.
Was er damit meint, erklärt er anhand des Themas Schulschließung. Manche Staaten haben während der Corona-Krise die Schulen fast nicht geschlossen und stärker auf verbindlich reglementierte Maßnahmen am Arbeitsplatz gesetzt. In Deutschland hingegen standen nicht die Arbeitsplätze im Fokus.
„All das sind keine wissenschaftlichen Entscheidungen“, schildert der Virologe. „Es war aber eine politische Balancierung, welchen Bereich man stärker gewichtet.“
Als Wissenschaftler solle man einfach sagen, was die Daten hergeben – mehr nicht. „Wir sind nicht als Parteipolitiker in der Öffentlichkeit, sondern eben als Wissenschaftler“, sagt Drosten.
Das Präventionsparadox
Gleichzeitig wies der Virologe auf das sogenannte „Präventionsparadox“ hin. Das Präventionsparadox ist ein psychologisches Phänomen, das Anfang der 1980er-Jahre von dem britischen Epidemiologen Geoffrey Rose am Beispiel der koronaren Herzkrankheiten beschrieben wurde.
Dabei geht es um ein grundlegendes Dilemma der bevölkerungs- und risikogruppenbezogenen Prävention und Krankheitsprävention. Demnach bringt eine präventive Maßnahme, die für die gesamte Bevölkerung oder Gemeinschaft einen hohen Nutzen bringt, dem einzelnen Menschen in seiner individuellen Einschätzung oft nur wenig. Andererseits können präventive Maßnahmen, die bei Hochrisikogruppen Wirkung zeigen, von der Allgemeinbevölkerung als ungerechtfertigt oder überflüssig eingeschätzt werden.
„Das, was die Politik erfolgreich verhindert, wird nicht als Leistung anerkannt, weil nichts Schlimmes passiert ist“, so Drosten.
Jahrelange Untersuchungen in Brandenburg
Einen wie von Drosten geforderten Untersuchungsausschuss zur Corona-Politik gibt es bislang lediglich in einem Bundesland. Damit nimmt Brandenburg eine Vorreiterrolle ein. Der Ausschuss untersucht zwei unterschiedliche Zeitabschnitte der Corona-Politik, vom 20. November 2019 bis 23. September 2020 und darüber hinaus.
Zahlreiche Zeugen wie Drosten selbst, aber auch Minister, Vertreter des Robert Koch-Instituts (RKI) sowie des Paul-Ehrlich-Instituts, Polizisten und andere Akteure wurden beauftragt.
Die Koalitionsfraktion, die Brandenburg seit 2019 regiert, erklärte, dass die Landesregierung stets bestrebt gewesen sei, Leib und Leben der Bevölkerung zu schützen. Die Einschränkungen der Grundrechte seien der Regierung bewusst gewesen und im Rahmen einer Abwägung von Grundrechten diskutiert worden.
Angesichts der unvorhersehbaren Bedrohung durch das Virus sei es zu dem Zeitpunkt eine Herausforderung gewesen, die „richtigen“ Entscheidungen zu treffen. Die Landesregierung sowie die ihr unterstellten Behörden „durften und mussten“ sich auf die „gesetzlich festgelegte Fachkompetenz“ des RKI stützen und hätten den von ihr erhobenen und bewerteten Daten vertrauen können.
Der Abschlussbericht des ersten Corona-Ausschusses vom 9. Oktober 2023 umfasst über 2.000 Seiten. Am 12. Juni 2024 legte der zweite Corona-Ausschuss einen Zwischenbericht vor. Daraus geht unter anderem hervor, dass die Regierungskoalition in der Aussetzung der Schulpflicht oder der Schließungen keine unverhältnismäßige Entscheidung sieht.
Zwar hätten Lockdowns oder Schulschließungen negative Auswirkungen auf bestimmte gesundheitliche Aspekte von Kindern und Jugendlichen gehabt und seien als belastend empfunden worden, aber es gebe keine Gegenbeweise, dass die Maßnahmen überflüssig waren. Demnach könne man sie auch nicht verurteilen.
(Mit Material der Agenturen)
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