Abweichler in der SPD: Droht Merz das Scheitern an der Kanzlermehrheit?

Die ersten Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD haben begonnen, doch die Regierungsbildung steht auf wackeligen Beinen. Neben inhaltlichen Differenzen gefährden auch parteiinterne Abweichler die Kanzlermehrheit für Friedrich Merz. Mehrere Sozialdemokraten haben erklärt, zum CDU-Chef kein Vertrauen zu haben.
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Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der CDU/CSU-Union, spricht am Tag nach den Bundestagswahlen am 24. Februar 2025 in Berlin zu den Medien.Foto: Maja Hitij/Getty Images
Von 1. März 2025

Am Freitag, 28.02. hat die erste Runde der Sondierungsgespräche zwischen Vertretern von Union und SPD zur Bildung einer möglichen Regierungskoalition stattgefunden. Im Jakob-Kaiser-nionskHaus des Bundestages sei es darum gegangen, „atmosphärische Unstimmigkeiten“ aus dem Wahlkampf und den vergangenen Tagen auszuräumen. Dennoch gibt es Anzeichen dafür, dass Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz Probleme hinsichtlich der Kanzlermehrheit bekommen könnte.

Merz hat nur eine realistische Option zur Mehrheitsbildung

Nach der Bundestagswahl gibt es jenseits eines Bündnisses zwischen den Traditionsparteien CDU, CSU und SPD keine realistischen Koalitionsoptionen. Vereinbarungen mit der AfD haben alle übrigen Parteien ausgeschlossen, für ein – innerhalb der Union umstrittenes – Bündnis mit den Grünen fehlt es an einer parlamentarischen Mehrheit. Dem rechnerisch noch möglichen Modell einer Regierung aus CDU/CSU, Grünen und Linkspartei steht allein schon ein Unvereinbarkeitsbeschluss der Union entgegen.

Das Verhältnis zwischen Union und SPD ist jedoch belastet. Schon im Wahlkampf haben die Sozialdemokraten Merz sein Agieren im Zusammenhang mit dem Messerangriff von Aschaffenburg zum Vorwurf gemacht. Bei zwei Entschließungsanträgen und einem Gesetzesentwurf zur Verschärfung des Asylrechts hatte er Mehrheiten aufgrund von AfD-Stimmen in Kauf genommen. Im Fall eines der Anträge sicherten die Stimmen aktueller und früherer Politiker dieser Partei Merz ein knappes Ja.

Zudem hatten mehrere Politiker der Sozialdemokraten, aber auch von Grünen und Linkspartei Anstoß an einer Kleinen Anfrage der Unionsfraktion genommen. Diese hatte 551 Fragen über Finanzierung und Gebaren sogenannter Nichtregierungsorganisationen gestellt, die im Rahmen von Programmen wie „Demokratie leben!“ gefördert werden.

Klingbeil wirft Union „Foulspiel“ vor

Die Union machte in ihrer Anfrage deutlich, dass sie diese auch vor dem Hintergrund der von NGOs im Wahlkampf organisierten Massendemonstrationen stellte. Die Proteste richteten sich gegen CDU und CSU und deren Taktik zur Asylpolitik im Bundestag. Die Unionsfraktion warf Fragen darüber auf, ob die Organisationen damit nicht die gesetzlichen Bedingungen zur Förderung ihrer gemeinnützigen Aktivitäten überschritten hätten.

SPD-Chef Lars Klingbeil sprach von einem „Foulspiel“ der Union und beschuldigte sie, „Organisationen, die unsere Demokratie schützen, an den Pranger“ zu stellen. Er äußerte, er könne sich nicht vorstellen, mit der Union morgens in Arbeitsgruppen über Sachfragen zu diskutieren, wenn diese nachmittags solche Anfragen rausschicke. Ein Hindernis für weitere Gespräche mit der Union zur Regierungsbildung stellt dies jedoch nicht.

CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder machen sich auf zum Sondierungstreffen mit der SPD zur Regierungsbildung in Berlin am 28. Februar 2025. Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images

SPD-Abgeordnete befürchten „erpresserische Taktik“ von Merz auch in der Regierung

Denn trotz aller Vorbehalte haben die drei Generalsekretäre Carsten Linnemann (CDU), Martin Huber (CSU) und Matthias Miersch (SPD) am Freitag nach den ersten Gesprächen eine positive Bilanz gezogen. Die Sondierungsgespräche, so hieß es einhellig, seien von einer „offenen und konstruktiven Atmosphäre“ geprägt gewesen. Bundesfinanzminister Jörg Kukies habe einen Überblick über die Haushaltslage gegeben. Nächste Woche soll es mit den Gesprächen weitergehen.

Neben inhaltlichen Hürden, die zur Bildung einer Regierung überwunden werden müssen, wird es möglicherweise aber auch noch weitere Hindernisse für ein Kabinett Merz geben. Wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ berichtet, wollen nach derzeitigem Stand mindestens acht SPD-Abgeordnete dem Unionskanzlerkandidaten bei der Kanzlerwahl die Stimme verweigern.

Die Abgeordneten Jan Dieren (NRW), Annika Klose (Berlin), Angelika Glöckner (Rheinland-Pfalz) und Rasha Nasr (Sachsen) gaben demnach an, mit heutigem Stand nicht für Merz stimmen zu wollen. Dieren erklärte, es fehle ihm an Vertrauen gegenüber Merz. Seine „erpresserische Taktik“ von der Asyldebatte könne dieser jederzeit auch in einer Regierung anwenden. Er warf mit Blick auf diesen und CDU-Fraktionschef Carsten Linnemann die Frage auf:

„Wenn man mit denen einen Koalitionsvertrag aushandelt, wie viel ist der ein paar Wochen später noch wert?“

Wahl mit einfacher Mehrheit nach 14 Tagen möglich – Bundespräsident hat letztes Wort

Auch Bettina Hagedorn (Schleswig-Holstein), Sebastian Roloff (Bayern), Daniela Rump (Niedersachsen) und der frühere Vizechef Ralf Stegner (Schleswig-Holstein) sollen grundsätzliche Bedenken gegen Merz haben. Union und SPD kommen zusammen auf 328 Stimmen im Bundestag. Roloff erklärte, er sei bei der Kanzlerwahl „nur meinem Gewissen verpflichtet“. Klose spricht von „sehr tiefen“ politischen Gräben. Merz und Linnemann seien „sehr weit rechts, sehr konservativ, sehr neoliberal“.

Die Kanzlermehrheit steht damit, solange es nicht mehr als 12 Abweichler gibt. Allerdings haben bereits 13 Abgeordnete der 120-köpfigen SPD-Fraktion gegen Lars Klingbeil als SPD-Fraktionsvorsitzenden gestimmt. Dazu kamen drei Enthaltungen und zwei ungültige Stimmzettel.

Wird die Kanzlermehrheit im ersten Wahlgang verfehlt, hat der Bundestag 14 Tage lang Zeit, mit absoluter Mehrheit einen Bundeskanzler zu wählen. Mehrere Wahlgänge können stattfinden, der Bundespräsident hat in dieser Zeit kein Vorschlagsrecht. Kandidaten können aus der Mitte des Parlaments nominiert werden und müssen nicht selbst Abgeordnete sein.

Erreicht innerhalb der Frist kein Kandidat eine absolute Mehrheit, gibt es einen letzten Wahlgang, bei dem eine einfache Mehrheit ausreicht. Das letzte Wort darüber, ob der dann gewählte Kandidat auch Bundeskanzler wird, hat jedoch der Bundespräsident. Er kann den Gewählten innerhalb von sieben Tagen mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte betrauen. Er kann jedoch auch den Bundestag auflösen – was innerhalb von 60 Tagen zu Neuwahlen führt.



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