„Drohende Überforderung des Gemeinwesens“: Faeser richtet Brandbrief an EU-Kommission
Die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland ist in den ersten acht Monaten des Jahres auf 160.140 Erstanträge gesunken. Von diesen waren 14.432 in Deutschland geborene Kinder bestehender Antragsteller. Insgesamt ist die Zahl der Anträge damit gegenüber dem Vorjahr um 21,7 Prozent gesunken. Dennoch klagen Kommunen über anhaltende Überforderung und Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat sich mit einem Brandbrief an die EU-Kommission gewandt.
Faeser sieht Länder und Kommunen nach wie vor unter Druck
In dem Brief, über den der „Spiegel“ zuerst berichtet hat, spricht die Innenministerin trotz des Rückgangs der Asylzahlen von einer „unverändert besorgniserregenden Entwicklung des irregulären Migrationsgeschehens“. Faeser bezieht sich auf eine bereits zuvor bestehende „äußerst angespannte Unterbringungssituation“ in Ländern und Kommunen. Diese werde durch weiteren Zuzug zusätzlich verschärft.
In ihrem Schreiben begründet Faeser vor allem die zusätzlichen Grenzkontrollen, die sie jüngst für die Dauer von vorerst sechs Monaten veranlasst hat. Die Bundespolizei ist fortan dazu ermächtigt, an allen deutschen Außengrenzen stationäre und mobile Kontrollen einzurichten.
Bereits dieses Vorgehen setzt die Schengen-Regeln de facto außer Kraft – ungeachtet der Maßgabe, die Belastungen für Wirtschaft oder Pendler möglichst gering zu halten. Der Tenor ihres Brandbriefes an die EU-Kommission nährt jedoch auch Spekulationen, wonach sich die Ministerin noch weitergehende Optionen offenhalten wolle.
Ministerin rechnet nicht mit kurzfristigem Rückgang der Asylzahlen
Faeser schreibt, die Bundespolizei habe bis Juli 2024 bereits 50.000 irreguläre Übertritte festgestellt. Dies lasse keine Alternative zur Ausweitung der Grenzkontrollen. Die Ressourcen in Bund und Ländern seien bereits jetzt „nahezu erschöpft“. Die Migrationsbehörden gerieten an „die Grenzen des Leistbaren bei Aufnahme, Unterbringung und Versorgung“.
Die Ministerin erwartet zudem keine kurzfristige Verringerung des Migrationsdrucks. Dieser werde – zumindest bis zur Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) – vor allem an den EU-Außengrenzen „unvermindert hoch bleiben“. Das GEAS wurde im Dezember des Vorjahres beschlossen. Um Wirksamkeit zu erlangen, müssen es die Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren ratifizieren.
Faeser gibt in ihrem Brandbrief zu bedenken, dass „kein Staat der Welt unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen“ könne. Sie warnt vor einer „drohenden Überforderung des solidarischen Gemeinwesens“ und daraus resultierenden „Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Außerdem beklagt Faeser im Brief an die EU-Kommission eine „zunehmende Dysfunktionalität des Dublin-Systems“. Deutschland sei mit immer mehr Asylsuchenden konfrontiert, für deren Verfahren eigentlich andere Mitgliedstaaten zuständig wären.
Sicherheitspaket für Grenzen scheint GEAS nachempfunden
Das Schreiben, das Faeser an die EU-Kommission gerichtet hat, dient primär der Erklärung der zusätzlichen Grenzkontrollen, die ab Montag, 16. September, durchgeführt werden sollen. Der Inhalt und der Tonfall des Briefes legen jedoch nahe, dass die Ministerin damit auch noch andere Anliegen verfolgen könne.
Ende August hatte die Ampel bereits ein sogenanntes Sicherheitspaket vorgelegt. Dieses beinhaltete Verschärfungen des Waffenrechts, aber auch eine Streichung von Versorgungsleistungen für Asylsuchende, für deren Verfahren de facto andere Staaten zuständig wären.
Irregulär eingereiste Geflüchtete und solche, für deren Asylantrag Deutschland nicht zuständig wäre, sollen einer Art Schnellverfahren unterzogen werden. Dazu soll es möglich sein, sie bei Fluchtgefahr beziehungsweise zu Zwecken der Sicherstellung grenznah in Haft zu nehmen. Wo dies nicht als statthaft erscheine, solle es feste Zuweisungen oder Wohnsitzauflagen geben. Der „Tagesspiegel“ bezeichnete das geplante Vorgehen als „GEAS in klein“.
Debatte um Zurückweisungen beunruhigt Nachbarstaaten
Der Union ging dieses Konzept nicht weit genug. Sie fordert eine Zurückweisung aus anderen EU-Staaten einreisender Asylsuchender bereits an den Grenzen. Dem Umstand, dass ein solches Vorgehen der geltenden EU-Rückführungsrichtlinie zuwiderläuft, möchten CDU/CSU die Konstruktion eines „nationalen Notstands“ entgegenhalten.
Ein solcher kann demnach einen nationalen Alleingang Deutschlands auf der Grundlage von Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) rechtfertigen. Juristen halten diese Einschätzung für gewagt.
Die Debatte über solche Zurückweisungen reichte jedoch aus, um in Nachbarstaaten wie Österreich oder Polen Proteste auszulösen. Österreichs Innenminister Gerhard Karner wies bereits jetzt die Bundespolizeidirektion an, keine von Deutschland zurückgewiesenen Asylsuchenden anzunehmen. Polens Ministerpräsident Donald Tusk nannte die Vorschläge „inakzeptabel“ und forderte umgehende Gespräche auf EU-Ebene ein.
Böhmermann übt scharfe Kritik an Faeser – Orbán heißt Ampel „willkommen im Klub“
In einem Kommentar für den „Focus“ mutmaßt „BurdaForward“-Chefredakteur Carsten Fiedler, Faeser wolle sich eine Notstandsoption selbst offenhalten:
„Fast könnte man meinen, sie liefere dabei sogar Argumente, mit denen die Notlagenklausel in der EU eingefordert werden könnte, um Zurückweisungen von Geflüchteten an der Grenze zu legitimieren.“
ZDF-Moderator Jan Böhmermann übt bereits an der Anordnung der neuen Grenzkontrollen auf X scharfe Kritik. Die Ampel sperre „für ein paar billige politische Punkte uns ein und Europa und die Welt aus“. Grenzkontrollen, so Böhmermann, verhinderten keine Terroranschläge. Darüber hinaus zeige die Mordstatistik, dass Deutschland und Europa „so sicher wie noch nie“ seien.
Ekelhaft, ekelhaft, ekelhaft!
Man kann sich nur entschuldigen … pic.twitter.com/Je53P6JwTz
— Jan Böhmermann 💩 (@janboehm) September 11, 2024
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán beglückwünscht die deutsche Bundesregierung hingegen zu den bevorstehenden Grenzkontrollen und heißt diese auf X „willkommen im Klub“.
#Germany has decided to impose strict border controls to stop illegal migration. @Bundeskanzler Scholz, welcome to the club! #StopMigration
— Orbán Viktor (@PM_ViktorOrban) September 10, 2024
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