DRK-Krisenexperte: Es fehlt ein gesamtheitliches Bevölkerungsschutzkonzept

Als zuständiger Experte für den gesundheitlichen Bevölkerungsschutz macht sich der DRK-Generalsekretär Andreas Wehnert mit seinem Team Gedanken darüber, wie man einen zukünftigen widerstandsfähigen Bevölkerungsschutz in Deutschland besser gestalten und strukturieren kann. Im Interview mit Epoch Times spricht er über die größten Defizite, die er sieht.
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Altenahr am 7. Juli 2022.Foto: Thomas Lohnes/Getty Images
Von 30. Mai 2023

Das Deutsche Rote Kreuz ist durchgängig seit der Flutkatastrophe im Juli 2021 im Ahrtal. Was macht sie dort überhaupt und warum fing die professionelle Hilfe so schleppend nach der Flut statt? Wie gut ist der Bevölkerungsschutz aus seiner Sicht in Deutschland eigentlich aufgestellt? Darüber sprachen wir mit Andreas Wehnert, am Rande eines Expertengesprächs zum Thema „Zivil- und Bevölkerungsschutz im Rahmen der Zeitenwende“ im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. Er ist beim Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes und zuständig für den gesundheitlichen Bevölkerungsschutz, das Krisenmanagement und die zivil-militärische Zusammenarbeit.

Herr Wehnert, was macht das DRK nach so langer Zeit im Ahrtal?

Wir stellen dort die Kommunikation für die Bevölkerung, aber auch teilweise die Behörden und Institutionen sicher. Das tun wir seit Beginn der Krise, nachdem wir dort ein Richtfunknetz für die Nutzung von Telefon und Internet aufgebaut haben. Zudem haben wir mehrere 100 Bautrockner an die Bevölkerung verliehen, die tatsächlich auch bis heute im Einsatz sind.

Denn durch Fachkräftemangel oder fehlende Zahlungen von Versicherungen sind Häuser jetzt schon das zweite oder dritte Mal wieder vollgelaufen – durch Regen oder weil sie noch nicht wirklich dicht waren. Und es gibt im ganzen Tal beispielsweise auch Beratungsstationen von unterschiedlichen Institutionen, die in Containern untergebracht sind. Wir haben ihnen diese Container geliehen. Ansonsten sind wir mit unseren DRK-Ortsverbänden natürlich überall da, wo Hilfe gebraucht wird und das eben auch im Ahrtal.

Leider waren von der Flutkatastrophe auch drei DRK-Rettungswachen betroffen, die mehr oder weniger vollständig zerstört wurden. Wir sind dabei, sie wieder aufzubauen und die öffentliche Hand dazu zu bewegen, hier angemessen zu unterstützen.

Was waren die großen Schwierigkeiten im Ahrtal? Es hat lange gedauert, bis professionelle Hilfskräfte eingetroffen waren. Am Anfang waren es hauptsächlich Landwirte und andere freiwillige Helfer, die vor Ort anpackten.

Ich denke, es war die massive Zerstörung der Infrastruktur vor Ort – ob es jetzt Wasserleitungen, Abwasserleitungen, Klärwerke, Telefon, Internet oder auch fehlende Straßen und Brücken waren. Bis zu 99 Prozent, in einigen Orten waren es sogar 100 Prozent der Infrastruktur, die zerstört war. Das heißt, die Rettungskräfte, die dort hingekommen sind, konnten sich nicht auf ersten ortskundigen Einsatzkräfte vor Ort stützen, weil die eben selbst betroffen waren.

Daher musste zunächst eine komplett eigene neue Lagebeurteilung erstellt, eine eigene Infrastruktur, um überhaupt Hilfe leisten zu können und die eigene Kommunikation aufgebaut werden. Dazu kam das schwierige Gelände in einem so unzugänglichen Tal wie dem Ahrtal. Dadurch konnte man sich oftmals nur an wenigen Punkten Zugang verschaffen.

Dann waren es viele Menschen, die dringend – am besten gleichzeitig – Hilfe benötigten. Daher musste zunächst geklärt werden, wer wo welche Hilfe benötigt – also es musste eine Priorisierung stattfinden. Und das war am Anfang für die Hilfskräfte in dieser Gesamtsituation die größte Herausforderung.

Was sehen Sie als größte Aufgabe, was den Bevölkerungsschutz in unserem Land angeht?

Tatsächlich einen gesamtheitlichen Bevölkerungsschutz zu schaffen, der ja mit dem Zivilschutz in der Verantwortlichkeit des Bundes liegt und dem Katastrophenschutz in der Verantwortlichkeit der Länder liegt. Das sollte ein Bevölkerungsschutz sein, bei dem Bund und Länder gemeinschaftlich ihre jeweiligen Aufgaben wahrnehmen, ohne darüber zu streiten, dass der jeweils andere Gelder zuschießen soll.

Dazu brauchen wir aber vor allem auch erst mal gesamtheitliche Konzepte, wie wir sie bis zum Ende des Kalten Krieges oftmals hatten, die von der Kommunikation bis zur Versorgung der Bevölkerung alles umfassen. In den vergangenen 30 Jahren wurden viele Konzepte außer Kraft gesetzt. Die Behörden müssen jetzt in die Keller gehen und die Pläne und Akten wieder hochholen und auf die heutige Zeit anpassen. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht, aber vor allem auch finanzielle Mittel, insbesondere da, wo jetzt 30 Jahre lang kein Material wie Fahrzeuge oder Kommunikationstechnik beschafft wurden. Da ist jetzt ein gewisser Investitionsstau, der erst einmal wieder aufgeholt werden muss.

Sie sprachen in der Podiumsdiskussion den Schutz vor ABC-Waffen an. Was macht Sie so sorgenvoll?

Diesem Thema gab man im Kalten Krieg natürlich eine besondere Priorität. Denn es bestand die ständige Sorge, dass Deutschland im Kalten Krieg – also die DDR beziehungsweise die Bundesrepublik Deutschland – zunächst einmal ein Schlachtfeld sein wird, auf der beide Seiten mindestens den Einsatz von taktischen oder auch strategischen Atomwaffen geplant hatten. Daher bestand eine ganz besondere Priorität darin, die Bevölkerung auf solch eine Situation vorzubereiten, damit sie sich selbst schützen, aber auch anderen Hilfeleistung geben konnte. Zudem achtete man damals darauf, dass auch die Einsatzkräfte geschützt waren.

In den vergangenen Jahrzehnten ist das Thema atomarer, biologischer und chemischer Bedrohungen meistens nur dort relevant gewesen, wo sie tatsächlich akut waren. Also zum Beispiel bei großen Chemiewerken. Dort sind die Feuerwehren immer auf chemische Bedrohungen ausgelegt. Aber oftmals sind eben Feuerwehren dann eher zum Eigenschutz ausgelegt. Das heißt, sie waren darauf vorbereitet, ihre eigenen Kräfte zu dekontaminieren, nachdem sie einer bestimmten Bedrohung ausgesetzt waren. Es ging weniger darum, die breite Masse der Bevölkerung vor Einflüssen zu schützen.

Aber auch da gibt es nach wie vor alte Konzepte, die man nur wiederbeleben und mit der aktuellen technischen und infrastrukturellen Entwicklung überein bringen muss. Das ist alles zu schaffen. Man muss es nur angehen und man muss es priorisieren und strukturieren. Und da sehe ich momentan die meisten Defizite, weil Bund und Länder sich regelmäßig die Verantwortung zuschieben, anstatt gemeinschaftlich anzupacken.

Heißt das, die Politik ist in dem Bereich gar nicht willens dort aufzuholen oder sich besser aufzustellen?

Der Wille ist definitiv da. Aber ich verstehe auch jeden Bürgermeister, der vor die Wahl gestellt wird, ob er jetzt das Rathaus mit einem Notstromaggregat ausstattet oder als Alternative, um das zu tun, dann das Freibad schließt. Der wird sich im Zweifelsfall erst einmal fürs Freibad entscheiden. Das kann ich vollkommen nachvollziehen, weil die Bürger natürlich ins Freibad gehen wollen. Wir müssen also viel weiterdenken und uns die Frage stellen: „Was soll uns als Gesellschaft diese Vorbereitung kosten? Was sind wir bereit zu geben und was erwarten wir vom Staat und auch einer widerstandsfähigen Gesellschaft?“

Klar ist, dass bei großen Katastrophen der Krankenwagen nicht nach zehn Minuten da sein kann. Und daher sollte man sich bereits im Vorfeld die Frage stellen: „Was kann ich denn eventuell machen, um mich oder meine Familie dann in so einer Situation zu schützen?“ Der Erste-Hilfe-Kurs oder das Programm des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, also die erweiterte Erste-Hilfe-Ausbildung mit Selbstschutzausbildung, können genau für solche Themen sensibilisieren: „Wie kann ich helfen, wenn organisatorische Hilfe des Staates erst einmal ausbleibt oder nicht zur Verfügung steht?“ Das sind einfache Mittel, mit denen der Bürger Vorsorge treffen kann. Über die Angebote im Internet kann sich jeder eine Hilfsorganisation in der Nähe suchen, um sich für einen Lehrgang anzumelden.

Sie äußerten auf dem Podium, dass die Bevölkerung das größte Potenzial darstellt, um eine Krise zu widerstehen. Was meinten Sie damit?

Ja, absolut. Also in dem Moment, wo ich ein Haus habe, in dem 50 Wohnparteien wohnen und 50 Wohnparteien der Meinung sind, sie brauchen jetzt Hilfe, habe ich als Helfer ein Problem, weil ich gar nicht priorisieren kann, wem ich zuerst helfe. In dem Moment, wo aber beispielsweise 49 dieser Parteien im Haus Lebensmittel und Wasser für den Fall eines längerfristigen Blackouts eingelagert haben, muss ich mich plötzlich nur noch um eine Wohnpartei als Helfer prioritär kümmern. Wenn dann noch Familien, die einen Pflegebedürftigen in ihrer Mitte haben, sich darauf eingestellt haben, in einer Krise einen gewissen Zeitraum auch die Pflege autark zu übernehmen, dann entlastet das viele Helfer.

In diesem Fall hätte ich dann als Helfer natürlich den Vorteil, dass ich mich erst mal nur um eine Wohnpartei kümmern muss. Und die anderen 49 Wohnparteien kann ich dann am Tag danach unterstützen oder durch das Zuführen von Nahrungsmitteln und Wasser weiter widerstandsfähig halten. Es geht also um eine gute Planung und Vorsorge und um das Thema Unabhängigkeit.

Vielen Dank für das Gespräch!



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