Dieselskandal: Musterklage-Verfahren gegen VW hat begonnen
Vier Jahre nach Bekanntwerden des Abgasskandals bei Volkswagen hat das bislang größte Gerichtsverfahren für betroffene Dieselkäufer begonnen. Zum Auftakt der Verhandlung über die Musterfeststellungsklage von Verbraucherschützern gegen den Autobauer machte das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig dabei am Montag deutlich, dass es sehr sorgfältig prüfen will, inwiefern den Autokäufern ein möglicher Schaden entstanden ist. Einen Vergleich, der das komplexe Verfahren abkürzen könnte, hält das Gericht für erstrebenswert – doch dafür sind noch einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
Das OLG muss sich mit dem im vergangenen November eingeführten Instrument der Musterfeststellungsklage befassen. Stellvertretend für hunderttausende Verbraucher wollen der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und der ADAC feststellen lassen, dass VW seine Kunden mit den vom Dieselskandal betroffenen Motoren „vorsätzlich und sittenwidrig“ geschädigt hat. Vor Inkrafttreten dieser neuen Klageform musste jeder Verbraucher bei einem Schaden einzeln gegen ein Unternehmen klagen, auch wenn viele Kunden in vergleichbarer Weise betroffen waren.
Wie vergleichbar die individuellen Fälle bei den VW-Kunden aber tatsächlich sind, und inwiefern die Käufer durch den Abgasskandal überhaupt einen Schaden erlitten haben, ist im Musterverfahren allerdings eine der schwierigen Fragen, die der Senat um den Vorsitzenden Richter Michael Neef klären muss.
Dabei machte das Gericht vor allem deutlich, dass es sorgfältig abwägen will. So soll einerseits der Vorwurf einer sittenwidrigen und vorsätzlichen Schädigung von Dieselkäufern „sehr ernsthaft in Betracht“ gezogen werden, kündigte Neef unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte an. Dabei war unter anderem argumentiert worden, sittenwidriges Verhalten sei bereits durch das bewusste Verschweigen der Steuerungssoftware gegeben.
Andererseits will das Braunschweiger OLG unter die Lupe nehmen, ob ein Schaden für die Kunden tatsächlich offenkundig ist. Geklärt werden soll etwa, ob bereits das Bekanntwerden des Abgasskandals im September 2015 zu einem Wertverlust führte oder erst die wesentlich später einsetzende Debatte über Fahrverbote in deutschen Städten. VW hatte vor vier Jahren eingeräumt, weltweit in Millionen Fahrzeugen seiner Marken eine illegale Software eingebaut zu haben. Diese ließ den Ausstoß von Stickoxiden nur auf dem Prüfstand sinken, nicht aber im täglichen Straßenverkehr.
Volkswagen argumentiert, dass die Kunden keinen Schaden erlitten hätten, da alle Fahrzeuge im Verkehr genutzt werden könnten und sicher seien. Mehrere Gutachten bestätigten zudem, dass die Fahrzeuge „keinen Wertverlust aufgrund der Dieselthematik“ erlitten hätten.
Für Volkswagen sei es zudem „eine sehr wichtige Aussage“ des Senats gewesen, dass wenn es denn zu Schadenersatz käme, dass dann die Nutzung der Fahrzeuge abgezogen werden solle, sagte Volkswagen-Anwältin Martina de Lind van Wijngaarden.
Vzbv-Anwalt Ralf Stoll begrüßte es, dass die meisten Anträge der Klägerseite als zulässig erachtet wurden. „Und im Kern, da wo es um die Ansprüche der Leute geht, da hat das Gericht uns auch einige Hinweise gegeben, die uns sehr hoffnungsfroh stimmen“, sagte er. „Wir sind natürlich immer offen für einen Vergleich“, fügte er hinzu. „Es geht ja darum, dass die Leute relativ schnell zu einem Ergebnis kommen.“
Vergleichsverhandlungen hält das Gericht zum jetzigen Zeitpunkt indes für schwierig. Zwar sei das Gericht in jeder Phase des Verfahrens auf eine „gütliche Streitbeilegung bedacht“, sagte Richter Neef. Ein Vergleich könne Verbrauchern je nach Ausgang des Musterfeststellungsverfahrens eine individuelle Klage im Anschluss ersparen und sei sicherlich in deren Sinne.
Da die Ansprüche der Verbraucher, die sich der Klage angeschlossen haben, jedoch sehr unterschiedlich seien, sei eine gerechte und vernünftige Verteilung schwierig. Entscheidend ist etwa, wann die betroffenen Dieselautos gekauft und wie stark sie genutzt wurden. Neef schlug deshalb vor, beim Bundesamt für Justiz, bei dem sich bis einschließlich Sonntag Verbraucher in das entsprechende Klageregister eintragen konnten, genaue Angaben über das Register anzufordern. (afp)
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