Die Wilden der Elbmetropole

Von Schweinen, Schmarotzern und seltenen Stadtbewohnern
Titelbild
(Mestel/Bildagentur F. Hecker)
Von 7. August 2008

Richtig wild geht es in Hamburg zu. Zum Beispiel richten sich unkultivierte „Hamburger“ ungefragt auf Dachböden häuslich ein: Marder und Waschbären. Es gibt sogar „Hamburgerinnen“, die es erotisch finden, wenn ein Platzhirsch ihnen mit Rülpsen den Hof macht. – Aber nur in der Brunftzeit. Und ob Sie es glauben oder nicht: Hamburg ist eine Stadt, in der harmlosen Joggern von wilden Säuen das Sprinten gelehrt wird. – Verträumt auf Frischlinge zu zulaufen, kann zu enormen Trainingsergebnissen führen.

Uwe Westphal schreibt in seinem Buch „Wilde Hamburger“, dass es sich laut empirischen Studien günstig auf Körper und Seele auswirke, sich in einem Umfeld aufzuhalten, wo man unversehens auf diese Wilden treffen kann.

Tierische Stadtbewohner

Uwe Westphal ist Diplom-Biologe. Er berichtet in seinem Buch nicht von der Verrohung der Stadtbewohner, sondern von der Verstädterung der Natur. Wenn er also von Jugendlichen erzählt, die auf dem Ohlsdorfer Friedhof grundlos Grabgestecke zerfleddern oder frisch gepflanzte Begonien aus der Erde ziehen, dann meint er keine zerstörungswütige No-Future-Generation, sondern intelligente, neugierige junge Rabenkrähen. Habichte, Falken und Uhus gründen Familien auf den Familiengrüften der Menschen. Auch Füchse, Feldhasen, Marder und Rehe haben entdeckt, dass es sich auf dem Friedhof gut leben lässt – auch weil die Grabbepflanzung für manchen Pflanzenfresser wie ein lecker gedeckter Tisch erscheinen mag. Die Hinterbliebenen freuen sich nicht immer über diesen munteren Besuch bei ihren verstorbenen Angehörigen, insbesondere dann nicht, wenn die tierischen Gäste sich nach dem Fressen bei ihrem Gastgeber obendrein noch zum Schlafen aufs Grab legen. Doch umgekehrt ist auch der Mensch ein Ruhestörer, und so suchen die Gänse mit ihren Gösseln (Küken) tagsüber am Öjendorfer Friedhof dort ihre Ruhe, wo Menschen ihre letzte Ruhe finden, und watscheln erst nachts in ihr Revier an den Öjendorfer See zurück, wenn die menschlichen Spaziergänger und deren Hunde das Feld wieder geräumt haben.

Schöner Wohnen

Im Wohldorfer Wald steckt der Tod voller Leben – weil die Bäume hier in Würde leben und sterben dürfen. Wenn die Giganten am Boden liegen – und liegen bleiben – sind die Schleimer, Kriecher und Schmarotzer zur Stelle, um sie zu besiedeln: tausende Insektenarten, dazu Pilze und Moose und Orchideen. Für Vögel und andere insektenfressende Tiere sind solche Totholzsiedlungen wie reich gefüllte Buffets. In morschen Baumstämmen zimmern sich die Spechte außerdem ihre Bruthöhlen. Und da sowohl Weibchen als auch Männchen Baumhöhlen bauen und dann die schönere von beiden beziehen, finden auch andere Vögel und in großen Höhlen sogar Baummarder und Waschbären eine freie Wohnung.

Wild und angepasst

Wo die Natur weichen musste, kehrt sie – teilweise – zurück. Die Individualisten der Tierwelt finden Mauervorprünge, wo sie keine Baumhöhlen und Kirchtürme, wo sie keine Felshöhlen mehr fanden: Wie der Wanderfalke, der am Turm der St. Nikolai-Kirche brütet. Mit der schnörkellosen, modernen Bauweise der glatten Hausfassaden gehen vielen Tieren aber leider auch diese Alternativen aus.

Zum Schmunzlen ist die Intelligenz der Tiere, mit der sie sich nicht nur an die Bedingungen in der Stadt anpassen, sondern sie sich auch komfortabel zunutze machen: Wie die Krähen, die Walnüsse von Straßenlaternen aus vor herannahende Autos fallen lassen, um die Schale von den Reifen knacken zu lassen. Die im Park lebende Stockente hingegen lebt beim Menschen so satt und gefahrlos, dass sich ihr Hirnvolumen sogar verringert hat.

Andere Wasservögel fühlen sich dort wohl, wo das Gebiet gerade vor Menschen sicher ist: große Industriegelände, die für Unbefugte unzugänglich sind. Glücklich, aber im wahrsten Sinne des Wortes beschissen, fühlt sich ein Ornithologe, wenn er auf einem Öl-Raffineriegelände tausende Möwenpaare zählt.

Spannend beschreibt Westphal die Jagdstrategien, die sich die Überlebenskünstler in der Stadt angeeignet haben – aber auch, wie manch vermeintliches Opfer ebenfalls geschickt seinem Jäger entkommt.

„Wilde Hamburger“ ist ein Buch, aus dem man einem anderen vorlesen möchte, um den faszinierenden und vergnüglichen Inhalt mit jemandem zu teilen. Nach der Lektüre weiß man sicher weit mehr über Hamburgs Natur, und man bekommt Lust, die freie und wilde Stadt noch einmal neu zu entdecken. Welche U-Bahn Sie nehmen müssen, um in Hamburgs Ur-Wald zu kommen, steht hinten im Buch.

Wilde Hamburger
Text: Uwe Westphal
Fotos; Günther Helm
Murmann-Verlag
285 Seiten
ISBN-10:3-938017-78-3
ISBN-13: 978-3-938017-78-4
Preis: 19,50 Euro

Text erschienen in Epoch Times Deutschland Nr. 32/08

(Mestel/Bildagentur F. Hecker)
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