Die Tücken der vierten Klärstufe: Pharmaunternehmen laufen gegen EU-Abwasserrichtlinie Sturm

Anfang des Monats setzte Brüssel die Neufassung der EU-Abwasserrichtlinie von 1991 in Kraft. Kern der Norm, die auf nationaler Ebene noch umgesetzt werden muss, ist die Einführung einer vierten Klärstufe. Den größten Teil der Kosten dafür sollen Pharma- und Kosmetikindustrie tragen. Diese schlagen Alarm.
In Deutschlands Kläranlagen werden bestimmte Chemikalien zur Reinigung des Abwassers knapp - was ein Problem für die Umwelt werden könnte.
Symbolbild: Kläranlage.Foto: Jan Woitas/dpa
Von 20. November 2024

Seit 1991 gibt es eine EU-Abwasserrichtlinie, und seit Anfang des Monats gibt es dazu eine erneuerte Fassung. Zu den Zielen der Novelle, die noch von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss, gehören ein effektiverer Gewässerschutz und eine stärkere Entlastung von Schadstoffen. Dafür soll es unter anderem eine vierte Klärstufe geben. Für deren Kosten sollen vor allem Pharmaunternehmen und Kosmetikhersteller aufkommen.

Nicht nur Großstädte von EU-Abwasserrichtlinie betroffen

Der Neufassung der EU-Abwasserrichtlinie zufolge sollen bis 2035 alle Kläranlagen, die mindestens 100.000 Einwohner versorgen, mit der vierten Reinigungsstufe ausgestattet sein. Auf diese Weise sollen Mikroschadstoffe wie Mikroplastik so vollständig wie möglich aus dem Abwasser gefiltert werden.

Dort, wo das Risiko höherer Konzentrationen von Mikroschadstoffen aufgrund der wirtschaftlichen Strukturen zu befürchten ist, soll dies auch in Siedlungsgebieten ab 10.000 Einwohner geschehen. Die vierte Klärstufe soll in den entsprechenden Kommunen bis zum 31.12.2040 geschaffen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt soll auch die Deckung des Energiebedarfs von Klärwerken vollständig aus erneuerbaren Quellen erfolgen.

Die EU-Abwasserrichtlinie soll dem Schutz von etwa 100.000 Oberflächengewässern und 12.000 Grundwasserkörpern in Europa dienen. Sie soll zudem die Anpassung an den Klimawandel durch bessere Berücksichtigung von Starkregenereignissen und Trockenperioden erleichtern. Ein weiteres Anliegen ist das verbesserte Monitoring von Krankheitserregern, wie es beispielsweise schon während der Corona-Pandemie eine wichtige Rolle spielte.

Kommission sieht Pharma und Kosmetik hinter 92 Prozent der Mikroschadstoffe

Brüssel macht die Pharma- und Kosmetik verantwortlich für vorhandene Belastungen von Gewässern mit Mikroschadstoffen. Der EU-Kommission zufolge seien die Arzneimittel und Kosmetika für nicht weniger als 92 Prozent dafür verantwortlich. Allein der Anteil der Pharmaindustrie daran liege bei etwa 66 Prozent. Entsprechend sollen diese Industrien zu mindestens 80 Prozent für die Kosten der Schaffung und des Betriebs der vierten Klärstufe aufkommen.

Was die übrigen 20 Prozent anbelangt, sollen nach der Neufassung der EU-Abwasserrichtlinie die EU-Mitgliedstaaten selbst entscheiden, wer dafür aufkommen soll. Drei Jahre sollen sie Zeit haben, um die EU-Norm in nationales Recht umzusetzen.

Allein in Deutschland müssten nach dem Willen der EU hunderte bestehende Kläranlagen aufgerüstet werden, um die Vorgaben der Richtlinie zu erfüllen. Die Unternehmen dafür in die Pflicht zu nehmen, solle diese stärker in die Verantwortung einbinden und sie motivieren, ökologisch abbaubare Produkte zu entwickeln.

Verbände halten Kostenschätzung für zu optimistisch

Vertreter der betroffenen Branchen reagieren auf die Richtlinie mit Kopfschütteln. Zum einen sei der tatsächliche Anteil der Pharmaindustrie an den Mikroschadstoffen deutlich geringer als von Brüssel behauptet. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) verweist dazu auf unabhängige Studien.

Zum anderen sei noch gar nicht absehbar, wie hoch die Kosten für die geforderten Maßnahmen tatsächlich sein würden. Derzeit schätzt der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) die zu erwartenden Kosten für den stufenweisen Umbau der Anlagen bis 2045 auf 8,7 Milliarden Euro. Die reinen Baukosten setzt der Verband mit etwa vier Milliarden Euro an. Die Betriebskosten würden zudem auf rund 860 Millionen Euro pro Jahr steigen, hieß es gegenüber der „Welt“.

Unter Bezugnahme auf unvorhergesehene Kostenentwicklungen, die beim Umbau von 25 kommunalen Klärwerken in den Jahren 2018 bis 2024 zu beobachten gewesen seien, hält der Verband Pharma Deutschland dies nicht für ausreichend. Der VKU setze die Kosten bei seiner Kalkulation zu niedrig an.

Tatsächlich sei bei den 570 zu erneuernden oder zu erweiternden Klärwerken Baukosten von rund 10,5 Milliarden Euro zu erwarten. Der kommunale Unternehmerverband beharrt hingegen auf seiner Schätzung und erklärt, die Kalkulationsgrundlagen für die höheren Zahlen seien nicht nachvollziehbar.

Kann die EU-Abwasserrichtlinie zu einem breiten Exodus der Pharmaindustrie führen?

Die EU-Abwasserrichtlinie könnte in letzter Konsequenz auch eine Abwanderung von Pharmaproduzenten aus Deutschland zur Folge haben. Der Verband ProGenerika rechnet mit einem „Tsunami an Engpässen“, sollte die Richtlinie wie vorgesehen umgesetzt werden. Grund dafür sei, dass die Produktion von Mitteln gegen Diabetes, Krebsmedikamenten oder Antibiotika in der EU zum Verlustgeschäft werden könnte.

Pharma Deutschland rechnet im günstigsten Fall mit einer zusätzlichen jährlichen Belastung von 180 Millionen Euro. Das hätte umgerechnet einen Preisaufschlag von etwa 13 Cent pro Packung zur Konsequenz. Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass sich die Kosten am Ende auch auf das Doppelte beliefen.

Pharmaverbände wollen zudem auch vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die EU-Abwasserrichtlinie vorgehen. Unter Berufung auf ein Gutachten des früheren Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio wittern sie eine unfaire Kostenverteilung sowie eine einseitige Umweltabgabe. Dies sei verfassungsrechtlich bedenklich, weil es dem Grundsatz einer gerechten Lastenverteilung widerspreche.

 



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