Die täglichen Auswüchse deutscher Bürokratie – immer mehr Handwerker geben auf

Weiten sich die Proteste der Bauern und Spediteure zu breiten Mittelstandsprotesten aus? Der Chef des Normenkontrollrats, Lutz Goebel, rät der Ampel jedenfalls, ihre Ankündigungen bezüglich eines tiefgreifenden Abbaus von Bürokratie ernst zu nehmen.
Verbände fordern mehr Anstrengungen zum Abbau von Bürokratie.
Die Wirtschaft fordert mehr Anstrengungen zum Abbau von Bürokratie.Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa
Von 17. Januar 2024

Am Montag, 15. Januar, hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner den protestierenden Bauern in Berlin Solidarität gegenüber Bürokratie und ideologischer Bevormundung versprochen. Es war nicht das erste Mal, dass die Ampel diesbezüglich Problembewusstsein zum Ausdruck gebracht hat. Der Chef des Nationalen Normenkontrollrats (NKR), Lutz Goebel, mahnt die Bundesregierung nun, den Worten Taten folgen zu lassen. Die Bauern seien bei Weitem nicht die Einzigen, die unter Gängelungen und Vorschriften litten.

Ampel kündigte bereits in Meseberg weitreichende Entlastungsschritte an

Bereits im August des Vorjahres hatte die Ampel im Anschluss an ihre Regierungsklausur das sogenannte Bürokratieentlastungsgesetz angekündigt. Dieses sollte laut Bundesjustizminister Marco Buschmann „Bürokratie-Ballast“ für etwa 2,3 Milliarden Euro von der Wirtschaft nehmen.

Verkürzte Aufbewahrungsfristen, verpflichtende elektronische Schriftform, weniger Genehmigungsvorbehalte, beschleunigte Baumaßnahmen, weniger Dokumentationen oder Auszeichnungsvorgaben – all das sollte Betrieben das Leben erleichtern.

Man wollte Informationspflichten auf ihre Aktualität überprüfen. Die Maßnahmen sollten die Küstenschifffahrt ebenso betreffen wie Energierecht, Außenwirtschaftsrecht, Mess- und Eichwesen sowie die Wirtschaftsstatistik. Auch Gewerbe- und Handwerksordnungen und berufsspezifische Verordnungen sollten auf den Prüfstand.

Buschmann weist auf EU als Quelle von Bürokratie hin

Wie „Bild“ berichtet, hat Buschmann am Donnerstag, 11. Januar, einen Referentenentwurf dazu vorgestellt. Diesen nannte er „einen wichtigen, aber nicht letzten Schritt hin zu weniger Bürokratie und mehr Freiräumen“. Am selben Tag kündigte der Minister auf dem Neujahrsempfang der Handwerkskammer Düsseldorf an, wirksame Maßnahmen gegen die Belastung zu setzen.

So solle sich der Aufwand für Bilanzierungspflichten bei kleineren und mittleren Betrieben um insgesamt 640 Millionen Euro verringern. Ein kleiner Betrieb werde im Durchschnitt um 12.500 Euro entlastet.

Buschmann hatte bereits in Meseberg die EU als wesentlichen Treiber von Bürokratie angesprochen. Ihm zufolge kommen nicht weniger als 57 Prozent der bürokratischen Belastungen für Unternehmen aus dem Europarecht. Man wolle deshalb insbesondere mit Frankreich mögliche Wege erörtern, um hier Erleichterungen zu schaffen.

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck äußerte im Rahmen der damaligen Pressekonferenz seine Entschlossenheit, die „Regelungsdichte zu lichten“. Dies gelte nicht zuletzt auch auf europäischer Ebene.

Goebel von der Fähigkeit der Politik zur Kehrtwende nicht überzeugt

NKR-Chef Goebel hat die Ankündigungen der Ampel begrüßt – mahnt jedoch mittlerweile dringend zu Taten. Gegenüber „Bild“ bestätigte er das Potenzial des „Bürokratieentlastungsgesetzes (BEG)“, in Kombination mit anderen eine jährliche Entlastung von drei Milliarden Euro zu bewirken. Dies könnte tatsächlich ein Allzeit-Tief bedeuten, wie Minister Buschmann es als Ziel in Aussicht gestellt hatte.

Ein erhebliches Maß an Restskepsis bleibt bei Goebel jedoch aufrecht:

„Voraussetzung ist allerdings, dass keine teuren Gesetze mehr dazukommen. Das scheint mir allerdings unwahrscheinlich.“

Vor allem sei es unabdingbar für ein neues Gesetz, das die Wirtschaft betreffe, ein bestehendes abzuschaffen.

Betroffene schildern tagtägliche Auswüchse von Bürokratie

Unterdessen schildern Praktiker aus unterschiedlichsten Berufsgruppen in derselben Publikation, welche zum Teil schikanös anmutenden Vorschriften Unternehmen in Deutschland belasten. Ein Krabbenfischer berichtet von 4.000 Euro, die er zur Anschaffung einer Satelliten-Anlage ausgeben musste. Dazu kämen jährlich 800 Euro für eine Satelliten-SIM-Karte.

Das Gerät diene der Überwachung der quotierten Fischerei. Die EU schreibe die Installation vor. Gleichzeitig müssten Stellen zum Krabbenpulen gefliest sein, sie dürften keine Gardinen enthalten und Haustiere seien im gesamten Gebäude verboten.

Ein Bäckermeister aus Bayern schreibt von etwa 25 Statistiken, die jährlich auszufüllen seien. So wolle das Statistische Landesamt wissen, welche Dauerbackwaren er in welcher Menge produziere. Er klagt auch über das Ausmaß an zusätzlichem Aufwand und Bürokratie, das die EU-Verpackungsverordnung vorschreibe.

Ähnliche Erfahrungen schildern Schornsteinfeger, Bauunternehmer, Maler oder Brauer. All diese Faktoren leisteten einen Beitrag dazu, dass der Wut-Funke der Bauern auch auf andere Unternehmer überspringe.

Immer mehr Handwerker schließen ihre Betriebe oder machen sich gar nicht erst selbstständig

Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks warnt vor den Folgen immer weiterer Bürokratie. Immer mehr Handwerker zögen den Schluss, „sich erst gar nicht selbstständig machen zu wollen, oder aber ihren teils jahrzehntelang geführten Betrieb aufzugeben und zu schließen“.

Lutz Goebel erklärt gegenüber dem Portal „handwerk.com“, man sei an „einem Punkt angekommen, an dem der Erfüllungsaufwand eine nie da gewesene Höhe erreicht“ habe. Dies zeige „den wachsenden Anspruch der Politik, gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse regulatorisch zu verändern“.

Nach einem möglichen Nutzen werde dabei nicht gefragt. Mittlerweile sähen viele Betroffene „eine Belastungsgrenze überschritten“.



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