Die „schönen“ und „weniger schönen“ Zahlen des Lehrermangels
Zwei Drittel der Schulleiter in Deutschland halten den Personalmangel für die größte Herausforderung an ihrer Schule. Doch wie viele Lehrer fehlen nun bundesweit? 12.000 oder doch 50.000? Die Zahlen sind umstritten.
Die 16 Kultusministerien (KMK) meldeten Anfang des Jahres, auf Nachfrage des „RedaktionsNetzwerk Deutschlands“, genau 12.341 unbesetzte Lehrerstellen. Im Jahr 2035 sollte es 25.000 offene Stellen geben. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) hält diese Schätzungen für realitätsfern und will es der Politik einmal vorrechnen.
So viele Lehrer fehlen
Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage, die der VBE in Auftrag gab, seien zu Beginn des laufenden Schuljahres durchschnittlich 1,6 Lehrerstellen pro Schule unbesetzt geblieben. In Deutschland gibt es etwa 32.000 allgemeinbildende Schulen. Bringt man die beiden Größen nun zusammen, ergeben sich daraus 51.200 fehlende Lehrkräfte im Schuljahr 2022/2023 – viermal so viel wie von der KMK gemeldet.
Zahlen gegen Zahlen. Wie ist diese Diskrepanz zu erklären? Die Epoch Times hat die KMK um eine Stellungnahme gebeten. Eine Antwort bleibt bislang aus.
Der ehemalige britische Premierminister, Benjamin Disraeli, fasste dieses mathematische Phänomen bereits im 19. Jahrhundert mit einem Spruch zusammen: „Es gibt drei Arten von Lügen: Lügen, verdammte Lügen und Statistiken.“ Statistiken sind anfällig für konstruierte Zahlen. Dabei bilden Ergebnisse statistischer Auswertungen inzwischen die Basis und auch Rechtfertigungen für viele politische Entscheidungen.
„Politik muss sich ehrlich machen“
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands Heinz-Peter Meidinger vermutet hinter den – wie er nennt – „geschönten Zahlen“ des KMK folgendes: Zum einen gingen fälschlicherweise Schulhelfer wie Eltern und Nichtpädagogen ebenfalls als Lehrkräfte in die Statistik ein. Zum anderen hätten viele Bundesländer je nach personellem Engpass bereits am Anfang des Schuljahres viele Unterrichtsstunden weggestrichen. Auf dem Papier sehe es dann so aus, als sei der Bedarf gedeckt.
„Politik muss sich ehrlich machen. Das Schönrechnen muss ein Ende haben“, kritisierte Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung. „Denn nur mit einem realistischen Blick auf die Herausforderung kann es eine Lösung des Problems geben.“ Der Verband sieht das deutsche Bildungssystem in einer Krise – genauer gesagt, in „der größten Krise seit Gründung der Bundesrepublik“.
Und da ist der Lehrermangel erst der Anfang. Schulleitungen und Lehrkräfte würden stets mit neuen Aufgaben und Herausforderungen konfrontiert. Brand zählte auf: Inklusion, Integration, Ganztag, Digitalisierung. Hinzu käme der Mangel an Ressourcen.
De Maizière schlägt „radikale“ Schulreformen vor
Geht es nach Thomas de Maizière (CDU), brauche das deutsche Schulsystem eine „radikale Reform“. In einem Interview mit „Bildung.Table“ schlägt der ehemalige Staatssekretär im Kultusministerium von Mecklenburg-Vorpommern vor, alle Verwaltungsvorschriften der Kultusminister abzuschaffen. Stattdessen sollen die Schulen mehr Verantwortung bekommen.
„Die Ministerien haben eine Neigung zur Mikrosteuerung des Schulwesens. Sie regeln, welche Bücher Lehrer verwenden dürfen, Abminderungsstunden sind standardisiert“, sagte de Maizière. Die Schulen würden in Vorschriften „ersticken“. Viele Schulleiter würden die Papiere des Ministeriums gar nicht mehr lesen, weil sie all die Vorgaben praktisch gar nicht kontrollieren könnten. „Da hilft nur Entrümpelung“, schlussfolgert der CDU-Politiker.
Die Zukunft wird es zeigen
Auch die Personalfragen müssten in die Schulen verlagert werden. Je nach Bedarf vor Ort soll die Schulleitung eigenverantwortlich entscheiden dürfen, wann sie wen einstellt. Dies sollte nicht nur für ausgebildete Lehrkräfte gelten, sondern auch für Personen mit anderen Qualifikationen, wie etwa Quer- und Seiteneinsteiger. Den Schulleitern soll dafür ein entsprechendes Budget zur Verfügung gestellt werden.
Sein Modell für eine Transformation des Bildungswesens fasste de Maizière in einem Impulspapier zusammen. Ob daraus etwas wird, würde sich möglicherweise erst in fünf oder zehn Jahren zeigen, denn es gebe „kaum überbrückbare Hürden“.
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