„Die Politik muss einsehen, auch Geimpfte können sich infizieren und das Virus übertragen“

Masken, Abstandsregeln, 3G, 2G. Seit über eineinhalb Jahren beherrschen die Corona-Maßnahmen den Alltag der Bevölkerung. In seinem Rechtsgutachten hat der Staatsrechtler Professor Dr. Dietrich Murswiek bereits auf die Verfassungswidrigkeit von 2G/3G-Regelungen hingewiesen. Selbst die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dass die epidemische Lage nationaler Tragweite Ende November auslaufen soll, bedeutet nicht unbedingt ein Ende der einschränkenden Maßnahmen.
Titelbild
Professor Dr. Dietrich Murswiek.Foto: Privat
Von 24. Oktober 2021

Eine mögliche Umsetzung der 2G-Regeln in Supermärkten wird in den Medien heiß diskutiert. Nach einer einstweiligen Verfügung eines Einzelhändlers für Grillprodukte hatte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main entschieden, dass auch er die 2G-Regeln in seinem Unternehmen für Kunden anbieten darf. Inzwischen gilt die 2G-Option nicht nur in Hessen, sondern auch in Niedersachsen.

Ungeimpfte stellen sich nun die Frage, wie lange sie noch ihre Lebensmittel in Discountern einkaufen können. Unklar ist vielen Menschen auch, was die Aussage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bedeutet, wonach die epidemische Lage nationaler Tragweite Ende November enden soll. Epoch Times sprach mit dem Freiburger Staatsrechtler Professor Dr. Dietrich Murswiek.

Epoch Times: Wie betrachten Sie die gerichtliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die mögliche Option, dass Händler die 2G-Option wählen können?

Professor Dietrich Murswiek: Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat nur über die Frage entschieden, ob es mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist, dass in Hessen zum damaligen Zeitpunkt das 2G-Optionsmodell für Veranstaltungen, Kultureinrichtungen usw., aber nicht für den Einzelhandel galt. Insofern ist die Entscheidung, es gebe für die Ungleichbehandlung keine hinreichenden Gründe, auf den ersten Blick konsequent. Das Gericht hat aber nicht berücksichtigt, dass der Druck, der auf die Ungeimpften ausgeübt wird, sich impfen zu lassen, drastisch gesteigert wird, wenn 2G auch im Einzelhandel gilt.

ET: Haben Händler/Gastronomen/Unternehmen die Option, nach ihrem Hausrecht im Gegensatz zu 2G oder 3G auch die Möglichkeit zu schaffen, sämtliche Zugangsbeschränkungen für ihre Kunden aufzuheben?

Murswiek: Nein, darüber dürfen sie nicht kraft ihres Hausrechts entscheiden, solange der Staat – also das betreffende Bundesland – in seiner Corona-Verordnung 3G oder optional 2G vorschreibt.

Allerdings habe ich in meinem Gutachten dargelegt, dass sowohl 3G als auch das 2G-Optionsmodell verfassungswidrig sind, weil sich nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die kategorische Unterscheidung von Geimpften und Ungeimpften nicht rechtfertigen lässt. Die Politik muss endlich einsehen, dass sich auch Geimpfte mit SARS-CoV-2 infizieren und das Virus weiterübertragen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus durch einen Geimpften weiterübertragen wird, ist wenige Monate nach der Impfung ebenso groß wie die Übertragung durch einen Ungeimpften.

Wenn es – wie die Politik behauptet – richtig ist, dass wir heute immer noch Abstandsvorschriften und Maskenpflichten brauchen, um die Epidemie einzudämmen, dann müssen diese für alle gelten, auch für die Geimpften. Stattdessen wird mit dem 2G-Optionsmodell wegen Aufhebung der Abstands- und Maskenpflichten für Geimpfte die Inzidenz erneut geheizt. Man kann sich eine derart widersinnige Regelung nur damit erklären, dass um jeden Preis der Wille der Ungeimpften, sich nicht impfen zu lassen, gebrochen werden soll. Das ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

ET: Der noch amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will nach Medienberichten die epidemische Lage nationaler Tragweite Ende November auslaufen lassen; SPD-Politiker Karl Lauterbach hat sich dafür ausgesprochen, dass trotzdem Einschränkungen weiterlaufen sollen.  Wie sind diese Aussagen aus rechtlicher Sicht einzuordnen?

Murswiek: Die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ ist nach dem Infektionsschutzgesetz Voraussetzung für viele Sonderbefugnisse des Bundesgesundheitsministeriums und vor allem für die Corona-Verordnungen der Länder, in denen Veranstaltungs- und Betriebsverbote, Zugangsbeschränkungen wie 2G oder 3G, Maskenpflichten usw. angeordnet werden. Der Bundestag hat das Fortbestehen der „epidemischen Lage“ zuletzt am 25. August festgestellt. Diese Feststellung tritt kraft Gesetzes am 25. November außer Kraft, sofern nicht der Bundestag erneut die Verlängerung beschließt.

Wenn der Bundestag keine Verlängerung beschließt, verlieren alle Corona-Maßnahmen ihre rechtliche Grundlage. Regelungen wie 3G müssten dann beendet werden.

Allerdings haben wir während der Corona-Epidemie schon etliche Gesetzesänderungen erlebt, und es ist denkbar, dass die „epidemische Lage“ tatsächlich nicht verlängert wird und der Gesetzgeber dennoch weiterhin bestimmte Maßnahmen erlaubt. Außerdem können nach dem Infektionsschutzgesetz einzelne Länder auch nach dem Ende der vom Bundestag festgestellten „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ Corona-Maßnahmen beschließen, wenn der jeweilige Landtag eine „epidemische Lage“ für das betreffende Land feststellt.

Somit sind wir trotz der Ankündigung Spahns keineswegs sicher, dass am 25. November der Normalzustand wiederhergestellt wird und keine mit Corona begründeten Freiheitseinschränkungen mehr gelten.

Nach meiner Auffassung sind allerdings die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für 2G und 3G schon jetzt nicht mehr gegeben. Diese Maßnahmen und die „epidemische Lage“ müssten sofort und nicht erst am 25. November beendet werden.

Hier geht es zum Rechtsgutachten über die Freiheitseinschränkungen für Ungeimpfte, das von Professor Murswiek erstellt wurde.



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