„Die Lernrückstände sind nur ein Teil des Problems“ – Philologenverband fordert psychosoziale Hilfe

Monatelange Schulschließungen, fehlende Sozialkontakte. All dies hat den Kindern und Jugendlichen stark zugesetzt. Eine Umfrage des Bayerischen Philologenverbands offenbart das Ausmaß für einen konkreten Handlungsbedarf.
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Ein gestresster Oberschüler beim Online-Unterricht.Foto: iStock
Epoch Times10. August 2021

Seit dem 30. Juli sind Sommerferien in Bayern. Zuvor gab es eine Umfrage des Bayerische Philologenverband (bpv). Er befragte seine Mitglieder, die überwiegend an Gymnasien tätig sind, zu unterschiedlichen Themen und bat um einen Rück- und Ausblick. Noch sind nicht alle Themenbereiche ausgewertet und „aufbereitet“, wie eine bpv-Pressereferentin  gegenüber der Epoch Times mitteilte. Klar sei aber schon jetzt: In 85 Prozent der Klassen gibt es Schüler mit Unterstützungsbedarf im psychosozialen Bereich.

Laut bpv-Umfrage benötigen in der Hälfte der Klassen drei und mehr Schüler professionelle Hilfe. Die wichtigste Erkenntnis der Umfrage lautet: „Die Lernrückstände sind nur ein Teil des Problems – Bayerns Schüler und Schülerinnen brauchen neben fachlicher Unterstützung im nächsten Schuljahr vor allem Hilfe im Bereich des Psychosozialen.“

Der bpv-Vorsitzende Michael Schwägerl sagte: „Die Hälfte der befragten Klassenleitungen gaben an, dass mindestens drei oder sogar mehr als vier Lernende ihrer Klasse nach dem zweiten Corona-Schuljahr erheblichen psychosozialen Unterstützungsbedarf haben – wir reden hier von zehn Prozent der bayerischen Gymnasiasten!”

bpv-Umfrage. Foto: screenshot

Auch Regina Knape, die in Oberfranken als Schulpsychologin tätig ist, sieht deutlichen Handlungsbedarf: „Die monatelangen Schulschließungen und die fehlenden sozialen Kontakte haben allen Kindern und Familien zugesetzt – den einen mehr, den anderen weniger.“ Das zeige sich besonders in den Schulen und daher sind die Schulen der zentrale Ort, um langfristig und passgenau Unterstützungsarbeit zu leisten.

Es verwundere nicht, dass in der Umfrage mehr Stunden für Schulpsychologinnen und Schulpsychologen sowie Beratungslehrkräfte gefordert werden, so Knape. Die aktuelle Stundenausstattung habe bereits vor Corona kaum ausgereicht. „Jetzt müssen wir uns aber um viel mehr Schüler und Eltern kümmern.”

Mehr Lehrer und mehr Zeit

Aus Schwägerls Sicht sind die Probleme nur in den Griff zu bekommen, wenn die Lehrkräfte genug Zeit und Ressourcen haben, die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen auch individuell zu betreuen – im Klassenzimmer sowie darüber hinaus. Es brauche nicht nur mehr Beratungszeit für die Schulpsychologen. „Wahlkurse, Fahrten oder Exkursionen sind laut den Befragten ebenfalls förderliche Maßnahmen – dazu brauchen wir aber genügend Personal”, fordert Schwägerl.

Erhöhten Beratungsbedarf stellt auch Wolfram Janke, stellvertretender Schulleiter am Max-Planck-Gymnasium München, fest: „Alle Klassenleitungen waren in diesem Jahr besonders gefordert, sie haben beraten, unzählige Gespräche geführt, ermutigt und koordiniert.“

Auch auf der Ebene der Schulleitung und der Oberstufenkoordinatoren nehmen und nahmen die Corona-Maßnahmen viel zusätzlichen Raum und Zeit ein, so Janke weiter. Verständlicherweise bestehe häufig Unsicherheit bezüglich der aktuellen Situation „mit all ihren – teils neuartigen – Regelungen“. Daher gab und gibt es einen deutlich spürbaren Anstieg an beratender und klärender Kommunikation mit allen Mitgliedern der Schulgemeinschaft.

Lernstandserhebungen und ihre Folgen

Nur ein Viertel der befragten Lehrer fanden die aktuellen Lernstandserhebungen  sinnvoll. Mehr als die Hälfte sahen wenig oder gar keinen Sinn darin.

bpv-Umfrage. Foto: screenshot

Es gehe nicht nur um kurzfristige Maßnahmen wie die einmalige Sommerschule, mahnte Michael Lilla, Beratungslehrer in Gauting, an. Im nächsten Schuljahr brauche es kleinere Lerngruppen und individuelle Förderung.

Für kleinere Lerngruppen sprechen sich 83 Prozent der befragten Lehrkräfte aus. Zwei Prozent sehen im Samstagsunterricht eine Option, um Lernrückstände aufzuholen.

bpv-Umfrage. Foto: screenshot

Mehr sprachliche Förderung ist aus Sicht des bpv insbesondere bei den Kindern und Jugendlichen wichtig, in deren Elternhäusern nicht oder nur wenig Deutsch gesprochen wird. Während der Schulschließungen fielen für sie die meisten Gesprächsanlässe außerhalb des Unterrichts weg. Hierauf müsse im nächsten Schuljahr besonderes Augenmerk gelegt werden.

Die Kinder und Jugendlichen mit ihren fachlichen und persönlichen Schwierigkeiten individuell abzuholen – da sind sich die Experten einig –, funktioniert nur im Präsenzunterricht. Insoweit wurden auch die Lüftungsmöglichkeiten an den Schulen hinterfragt. Demnach gibt es einen dringenden Handlungsbedarf, denn nur ein Drittel der befragten Lehrerschaft war mit dem Luftaustausch in den Unterrichtsräumen zufrieden.

„Wir fordern einen Raumluftreiniger pro Klassenzimmer und eine zusätzliche Planstelle für passgenauere Förderung pro Gymnasium – das sind wir den Kindern und Jugendlichen schuldig“, so Schwägerl. „Die Fehler aus dem Herbst 2020 dürfen sich nicht wiederholen.“ (sua)



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