Die EZB, dein flexibler Freund und die niedrigen Zinsen

Vitor Constâncio, Vizepräsident der EZB, zeigte sich verblüfft, dass die Deutschen die aktuell niedrigen Zinsen nicht nutzen, um mehr Schulden zu machen. Alle machen das, nur die Deutschen nicht. Gastautor Roger Letsch hält die Deutschen jedoch für vernünftig.
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Geldanlage "vom Feinsten" in Berlin Kreuzberg. Alles kreditfinanziert, alles auf Sand gebaut?Foto: iStock
Von 1. Juni 2018

Es gibt Menschen, die möchte ich nur zu gern mal an beiden Schultern packen, kräftig schütteln und ihnen dabei tief in die Augen sehen. Nur um festzustellen, wie leicht sich die Murmeln dahinter in Bewegung setzen lassen.

Ein heißer Kandidat dafür ist Vítor Constâncio, der Vizepräsident der EZB, aus dem der Spiegel ein Interview herausgeschüttelt hat. Die dabei herausgepurzelten Glasmurmeln möchte ich ihnen nicht vorenthalten. Constâncio zeigte sich nämlich verblüfft, dass die Deutschen die aktuell niedrigen Zinsen nicht nutzen, um mehr Schulden zu machen. Alle machen das, nur die Deutschen nicht.

Überall kaufen die EU-Bürger ihre Immobilien auf Pump, nur die Deutschen wollen einfach nicht mitmachen. Überhaupt ist der portugiesische EZB-Vize unzufrieden mit den Deutschen:

„Dieser strikte Ansatz [Respekt vor Regeln, Anm. d. Autors] hat aber in Krisenzeiten auch eine Schwäche, umso mehr, wenn eine rasche und flexible* Reaktion notwendig ist.“

Wir lernen: in Krisenzeiten muss man flexibel sein. Was vor allem bedeutet, sich Geld zu borgen, wenn man keins hat. Nun gibt es das Sprichwort „Schulden muss man sich leisten können“, welches besagt, dass man nur die Schulden haben sollte, deren Kosten man tragen kann.

Die taumelig niedrigen Zinsen geben die Banken nämlich logischerweise nicht bedingungslos an ihre Kunden weiter. Eine Zinsbindung von zehn Jahren ist das Äußerste, was man bekommen kann. Wohin die Reise danach geht? Ungewiss. Findet man im Ernstfall eine Bank zur Umschuldung? Auch ungewiss.

Die Immobilienpreise sind außerdem in Deutschland gerade in den letzten drei Jahren aufgrund wegbrechender Alternativen zum Betongold derart durch die Decke gegangen, dass die Zinsen gar nicht so sehr locken können, wie die Preise abschrecken.

Die Zinslüge

Die Erinnerung an die gigantische Pleite auf dem amerikanischen Häusermarkt vor zehn Jahren ist noch gut im Gedächtnis, ebenso die Beben, die in Portugal, Griechenland und insbesondere Spanien Banken und Bauprojekte wie die Fliegen sterben ließen. Alles kreditfinanziert, alles auf Sand gebaut, alle Träume geplatzt.

Dass einer der EZB-Fürsten nun glaubt, wenn die Deutschen mehr wie die Spanier wären und mehr auf Kredit kaufen würden, wären wir der Rettung schon etwas näher, ist lediglich ein Beleg dafür, dass er an das ewige Leben nach dem Tod glaubt, keinesfalls jedoch ein Beleg für seinen Sachverstand.

Die deutschen Banken indes sind etwas schlauer als die Magier der EZB und vergeben keine NINJA-Darlehn (No Income, No Job), sondern beharren doch tatsächlich und betriebswirtschaftlich nachvollziehbar auf Einkommensnachweisen und einem gewissen Eigenkapital-Anteil, der noch dazu für einen Immobilienkauf deutlich höher ist, als es zur Gründung einer Bank nötig wäre. By the way wäre die Chance auf Rettung bei finanzieller Notlage im Falle einer Bank auch höher.

Doch man traut dem Braten in Deutschland nicht, denn der Duft der niedrigen Zinsen ist ein trügerischer und künstlich ist er noch dazu. Die Kopfnote riecht unangenehm nach staatlicher Regulierung und Druckerpresse und die Basisnote aus Marktfäulnis kommt immer stärker durch.

Wie sagte Constâncio doch so schön, man muss „flexibel sein“? Die Flexibilität ist aber schnell dahin, wenn Kredite, die auf Kante genäht sind, sich plötzlich verteuern. Das geht Staaten genauso wie Privatleuten. Doch während die Euroländer ihre notleidenden Papiere der EZB in die Keller schieben können, hat der Privatmann, der sich mit einer echten Bank auseinandersetzen muss, deutlich weniger Glück.

Es sein denn, Herr Constâncio möchte uns durch die Blume ein gigantisches Aufkaufprogramm von privaten Hypotheken ankündigen. Das wäre natürlich der perfekte Anreiz, noch ein Stockwerk und ein weiteres Kellergeschoss zu bauen ­– kostet dann ja nix!

Bleibt noch die Frage, wo das geforderte Eigenkapital herkommen soll, das man in den Taschen haben muss, wenn man zur Bank geht, um einen Kredit zwecks Immobilienkauf zu erlangen. Nirgends in Europa (außer in Belgien) ist die Steuerlast so hoch wie in Deutschland. Nirgends ist auch eine gekaufte Immobilie so unsicher, wie in Deutschland, wo es im Falle von Jobverlust und drohendem sozialen Absturz üblich ist, zunächst das Eigentum wie ein Pfefferkuchenhaus selbst zu verspeisen, bevor der Staat, der angeblich gut gewirtschaftet hat, ein Butterbrot schmiert.

Nun kommt als nächstes die Plastiksteuer und Zarin Angela die Einzigartige denkt bereits laut über eine Datensteuer nach – die Taschen des Bürgers leeren sich also schon auf dem Weg zur Bank unaufhörlich weiter. Wenn dann noch Grunderwerbsteuern, Grundsteuer und Notarkosten bezahlt werden müssen und die Gemeinde vielleicht die Idee hat, hinter ihrem Haus eine weitere Straße zu bauen und ihnen dafür weitere Erschließungskosten in Rechnung stellen kann, überlegen sie sich vielleicht noch mal, ob sie wirklich zur Bank oder doch lieber ins Reisebüro gehen sollten.

Die Deutschen sind Reiseweltmeister, weil ihnen der Staat und die EU systematisch das Anlegen und Sparen verdorben haben. Und während in Frankreich oder Griechenland wochenlange Streiks üblich sind und die Wirtschaft zusätzlich lähmen, können sich – zum Glück für die EU – deutsche Steuerzahler (und hier sind ausdrücklich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeint) mangels Reserven Streiks gar nicht leisten. Da hat die EZB aber noch mal Glück gehabt!

Bankenunion und verdorbene Muscheln

Übrigens sieht auch Constâncio, wen wundert’s, in der Haftungsgemeinschaft aller Euro-Banken natürlich eine einfache, gute Idee. Die Bezeichnung „Bankenunion“ führt allerdings in die Irre. Fusioniert werden hier nicht die Banken, sondern die Risiken.

„Man sollte meinen, dass die Bankenunion die einfachste dieser Reformen wäre. Es bräuchte dazu vor allem noch die Einführung eines gemeinsamen Europäischen Einlagensicherungssystems, damit die Ersparnisse von Bankkunden im Falle einer Bankinsolvenz auf europäischer Ebene abgesichert sind. Das würde das Vertrauen in den Euro zusätzlich stärken, weil unser Geld nun mal im Wesentlichen aus Bankeinlagen besteht.“

Constâncio liegt falsch, doch wie macht man ihm das begreiflich? Ich versuche es mal mit einem Vergleich, den sicher jeder Portugiese verstehen würde.

Nehmen wir an, es gäbe einen Haftungsverbund für alle Köche, die das portugiesische Nationalgericht „Amêijoas à Bulhão Pato“ – Venusmuscheln mit Zwiebeln und Knoblauch in Weißwein – zubereiten. Jeder Koch zahlt dieselbe Versicherungsprämie, ganz gleich wie sorgfältig er arbeitet oder wie häufig er seine Gäste mit verdorbenen Muscheln vergiftet. Jedem Gast wird vermittelt, dass es überall gleichermaßen sicher sei, sein Brot in den Weißweinsud zu tunken.

Im Hintergrund agiert die Versicherung und räumt die Schäden auf, im Vordergrund können alle Köche, die guten wie die schlechten, mit denselben Konditionen werben. Ich finde ja, jeder Koch sollte für seine eigenen Künste Rede und Antwort stehen. Ein Muschel-Restaurant, das wegen Schlamperei schließen musste, ist für das Funktionieren des Marktes ebenso erholsam, wie eine geschlossene Bank, die sich durch Fehleinschätzungen oder unfähige Köche Banker zu viele Risiken ins Portfolio geladen hat.

Eine Bankenunion wäre, genau wie eine Venusmuschel-Union, nicht die einfachste, sondern die verheerendste aller denkbaren Reformen. „Und die Gäste der Restaurants?“ rufen die Zweifler. „Wer schützt die Gäste vor verdorbenen Muscheln, wenn es keine Versicherung gibt, die für alle Risiken haftet?“ – nun, wie wäre es, wenn die Gäste wieder ihre Nasen trainieren und benutzen, wie sie das seit Jahrhunderten erfolgreich getan haben?

Ende Mai scheidet der Portugiese Constâncio aus der EZB aus, sein Nachfolger wird ein Spanier, nämlich der bisherige spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos. Er darf sich mein Gleichnis natürlich mit Paella denken, das Ergebnis ist immer eine flächendeckende Fischvergiftung.

* Zu welcher Flexibilität überschuldete Staaten in der Lage sind, konnten wir soeben in Italien bewundern. Während die Koalitionsverhandlungen zwischen Lega und Cinque Stelle den Wählern einen derartigen Goldregen aus Wünschdirwas versprachen, als würden das Sams, die Zahnfee und Gandalf gemeinsam einen Kindergeburtstag ausrichten, kassierte Staatspräsident Mattarella, bevor es zum Schwur kam, gleich die ganze Wahl und bestimmte, dass Mc Gyver übernehmen soll. Solche Flexibilität ist natürlich vorbildlich und dringend auch für Deutschland anzustreben. 

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Zuerst erschienen auf www.unbesorgt.de



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