Deutschland: Sozialausgaben steigen auf 57,3 Prozent – ohne Aufstiegschancen für Arme zu verbessern

Das Bundesfinanzministerium rechnet für 2020 mit einem Anteil der Sozialausgaben am Gesamthaushalt in Höhe von 57,3 Prozent. Das sind fast fünf Prozent mehr als noch 2013. Sozialer Aufstieg findet dennoch immer seltener statt – und der Weg zur akademischen Bildung bleibt Kindern aus ärmeren Familien weiter versperrt.
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Nagen immer mehr Deutsche bald am Hungertuch?Foto: istock
Von 9. Mai 2019

„Gib einem Mann einen Fisch und du ernährst ihn für einen Tag. Lehre einen Mann zu fischen und du ernährst ihn für sein Leben“, zitiert Gabor Steingart in seinem jüngsten „Morning Briefing“ den altchinesischen Philosophen Konfuzius und setzt den Ausspruch an den Beginn einer Kurzanalyse zur Sozialpolitik in Deutschland.

Auch in den USA kennt man den Ausspruch des Philosophen – und schnippische Anhänger der Republikaner haben ihn längst persifliert und umgewandelt zu: „Gib einem Mann Sozialhilfe und er wird für den Rest seines Lebens die Demokraten wählen.“

In den USA ist die Zahl der Empfänger von Transferleistungen in den letzten Jahren deutlichen zurückgegangen. In Deutschland hingegen ist der Anteil der Ausgaben am Gesamthaushalt, der für soziale Zwecke ausgegeben wird, unterdessen von 52,7 Prozent im Jahr 2013 auf nunmehr 56 Prozent angestiegen. Das Bundesfinanzministerium rechnet für 2020 mit einem weiteren Anstieg auf 57,3 Prozent.

Mehr Geld für Gleichmacherei – doch im Ergebnis weniger Chancengleichheit

Dennoch wird das ärmste Bevölkerungsdrittel indexbereinigt stetig ärmer, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge ist die Kaufkraft dieser Bevölkerungsgruppe heute um zehn Prozent geringer als noch 1991 – und das, obwohl die Inflationsrate gegenüber dem Beginn der 1990er Jahre noch verhältnismäßig moderat ist. Beim reichsten Zehntel ist das indexbereinigte Einkommen hingegen im gleichen Zeitraum um 30 Prozent angestiegen.

Unterm Strich bedeutet das, und Steingart bringt das in seiner Analyse ebenfalls zum Ausdruck, dass der immer umfangreichere und immer teurere Umverteilungsstaat, der dem Gleichheitsfetisch in Politik, Medien und einem erheblichen Teil der Bevölkerung entgegenkommen soll, für immer mehr Ungleichheit sorgt – und zwar nicht nur bezüglich der Ergebnis-, sondern auch bezüglich der Chancengleichheit.

Was den Bekenntnissen der verantwortlichen Politiker zufolge nämlich der Sinn des Sozialstaats sein sollte, nämlich unterschiedliche Voraussetzungen auszugleichen und auf diese Weise soziale Mobilität zu ermöglichen, hat sich als untauglich erwiesen. Kinder aus Akademikerfamilien schaffen mehr denn je akademische Abschlüsse, jene von Arbeitern oder Einwanderern tendenziell sogar seltener.

Von 100 Doktortiteln geht nur einer an einen Studenten aus einer Nichtakademiker-Familie

Je höher der Abschluss, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass derjenige, der ihn erwirbt, aus einer Nichtakademiker-Familie stammt. Von 100 Akademikerkindern erwerben 45 den Master, hingegen nur acht von 100 Kindern aus Familien, in denen kein Elternteil studiert hat. Bei Promotionen ist das Verhältnis gar zehn zu eins. Ein Offenbarungseid – insbesondere vor dem Hintergrund einer einseitigen Fixierung der Bildungspolitik auf den akademischen Bildungsweg, wie sie Wirtschaftsverbände beklagen.

Der Anteil der Bildungsausgaben an der Gesamthöhe der Steuereinnahmen ist übrigens ebenfalls gesunken – von 19,2 Prozent im Jahr 2005 auf nur noch 17,9 Prozent. Zwar zeigt das Beispiel der Sozialausgaben, dass viel nicht immer viel hilft und mehr Ausgaben nicht zwingend auch effiziente Verwendung zur Folge haben. Gabor Steingart interpretiert die unterschiedliche Entwicklung bei Bildungs- und Sozialausgaben in jedem Fall aber in dem Sinne, dass der Staat „die Armen sedieren und nicht ertüchtigen“ wolle.

Im Gespräch mit dem Publizisten erklärt Manager Wolfgang Reitzle dazu:

Deutschland versteht unter Gerechtigkeit nur die einseitige Interpretation dieses Begriffs, nämlich Gleichheit. Und in diesem Gedankengebäude sind wir gefangen. Alles Geld fließt in den Sozialstaat. Das ist nicht fair, wie man mit den jungen Leuten umgeht.“

Reitzle: „Deutschland hat keinen Anspruch mehr an sich“

In der „Welt“ diagnostiziert der gleiche Reitzle, dass sich die Fehlsteuerung des Landes nicht allein auf den Bereich der Sozialpolitik beschränke. Der Mittelstand und die Mitte der Gesellschaft würden immer stärker für politische Projekte belastet, die nicht einmal zu Ende gedacht würden: 

Mich macht es sprachlos, wenn ich sehe, wie im Unterschied dazu lässig und Fakten ignorierend die Politik in Deutschland bei Themen wie der Energiewende Grundsatzentscheidungen trifft. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen werden nicht betrachtet.“

Im Ausland wundere man sich zunehmend über Deutschland. Die Blamagen beim Hauptstadtflughafen BER und beim militärischen Gerät der Bundeswehr seien nur die Spitze des Eisbergs.

Das Land, so Reitzle, habe keinen Anspruch mehr an sich selbst. Das fange bereits im Bildungssystem an, wo die Politik auf Nivellierung statt Leistung setze. Perspektivisch erwachse daraus ein Teufelskreis:

Deutschland wendet sich zunehmend von einem Leistungsanspruch ab, hat aber gleichzeitig extrem hohe Ansprüche an seinen Wohlstand, das kann so nicht funktionieren.“



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