Deutscher Ärztetag beschließt neue Agenda

Eine Gesellschaft des langen Lebens, wie der 126. Deutsche Ärztetag sie im Blick hat, erfordert Maßnahmen und Reformen. Deshalb soll das Thema Gesundheit auf alle politischen Bereiche ausgedehnt werden.
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Gesundheitsförderung in allen möglichen Bereichen. Dafür setzt sich der 126. Deutsche Ärztetag ein.Foto: iStock
Von 28. Juni 2022

Gesundheitsapps, Impfregister und Forschungen. In einem 366 Seiten starken Beschlussprotokoll informiert der 126. Deutsche Ärztetag, die Hauptversammlung der Bundesärztekammer, über seine zukünftige Agenda. Das Gremium von rund 250 Abgeordneten aus 17 deutschen Ärztekammern tagte in der Zeit vom 24. bis 27. Mai in Bremen.

In dem Beschluss „Zuwendung statt Zuteilung – den Menschen zum Maßstab machen“ heißt es, dass es in einer „Gesellschaft des langen Lebens“ Reformen und Maßnahmen benötige, die auf die Gesunderhaltung der Bürger sowie „einen verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Gesundheit abzielen“. Dabei setzt der Ärztetag auf die Vermittlung von Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung. Wie wichtig das sei, habe die Pandemie gezeigt. Man müsse den Menschen neben grundsätzlichem Wissen zu COVID-19, Ansteckungswegen und Hygienemaßnahmen auch „fundierte, verständliche und zielgruppengerechte Informationen“ an die Hand geben, da in den sozialen Medien vor allem zu COVID-Impfungen Fake News kursieren.

„Konkret sollte das Nationale Gesundheitsportal unter der Federführung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bzw. des neu zu gründenden Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit weiterentwickelt und ausgebaut sowie sein Bekanntheitsgrad deutlich erhöht werden“, heißt es auf Seite 18 des Beschlussprotokolls. Dabei dürften sich die Bemühungen um die Förderung der Gesundheitskompetenz nicht nur auf den Gesundheitssektor beschränken.

Gesundheit in allen Bereichen

Der 126. Ärztetag bekräftigte, dass Ärzte „nicht nur der Gesundheit des Einzelnen verpflichtet sind, sondern der Gesunderhaltung der Gesellschaft als Ganzes“. Dazu gehören neben der Gesundheitspolitik unter anderem Sozial-, Bildungs-, Umwelt-, Verkehrs-, Stadtentwicklungs-, Wirtschafts- und Arbeitspolitik.

„In allen diesen Politikbereichen können Maßnahmen getroffen werden, die gesundheitsförderlich wirken, selbst wenn sie Gesundheit nicht explizit thematisieren“, so das Gremium.

Als Beispiele nennt der Deutsche Ärztetag Maßnahmen gegen Altersarmut und -einsamkeit zur Schaffung gesundheitsfördernder Wohn- und Lebensverhältnisse, zur Grundsicherung oder zur Begrenzung von Kinder- und Familienarmut. In diesem Sinne bedarf es einer „Präventionsstrategie“ – von Kommunen über die Länder bis hin zu zivilgesellschaftlichen Gruppen aus allen gesundheitsrelevanten Bereichen, insbesondere der verfassten Ärzteschaft.

Zentrales Impfregister

Auf Seite 106 des Protokolls findet man die Forderung nach dem Aufbau eines bundesweiten zentralen Impfregisters. Begründet wird dies mit der Aussage: „Die Corona-Pandemie hat die Schwächen unseres Gesundheitssystems in erschreckender Weise aufgedeckt.“ Korrekte valide Daten über die Impfquote, Impfungen oder über Nebenwirkungen seien bis heute nicht vollständig erfasst. Namhafte Experten weisen darauf hin, dass in Deutschland zu spät Daten erhoben werden und lückenhaft sind, so das Dokument. Dies habe auch zu erheblicher Verunsicherung in der Bevölkerung geführt.

Ein gut gemachtes Impfregister würde eine Menge Chancen bieten. „Wer die Sicherheit und die Wirksamkeit von Impfstoffen solide erfassen möchte, braucht schließlich Daten, muss also wissen, wer wann wo welchen Impfstoff bekommen hat, um Nebenwirkungen und seltene schwere Reaktionen aufzuspüren.“ Es gehe dabei nicht um den gläsernen Patienten, sondern um ein Werkzeug, mit dem „Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten schnell und zugleich über einen langen Zeitraum aufzuspüren“ sind. Das sei schließlich im Sinne der Patienten.

Der Ärztetag setzt sich dafür ein, bei zukünftigen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung vor allem das Wohl von Kindern und Jugendlichen ganzheitlich zu berücksichtigen und Kinder- und Jugendmediziner und -psychotherapeuten einzubeziehen. Kita- und Schulschließungen dürften nur in extremen Krisensituationen in Erwägung gezogen werden. Gleichzeitig müssten Hygiene- und Schutzmaßnahmen in diesen Bereichen auch nach der Pandemie im notwendigen Umfang aufrechterhalten und „für die zukünftigen Herausforderungen weiterentwickelt werden“.

Mehr Geld und Personal für STIKO

Außerdem soll es mehr Geld und Personal für die Ständige Impfkommission (STIKO) geben. Damit soll gewährleistet werden, dass der aktuelle Stand des medizinischen Wissens aufgearbeitet wird. Zudem diene diese personelle und finanzielle Stärkung dazu, „die flächendeckende Impfstrategie für Deutschland entsprechend anzupassen und weiterzuentwickeln“.

Im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin fordert der Ärztetag neben der Verbesserung der stationären und ambulanten Versorgung auch eine stetige Forschung langfristiger Krankheitsfolgen wie Long COVID sowie die „verpflichtende longitudinale Nachuntersuchung von Kindern und Jugendlichen nach mRNA-Impfungen“.

Infektabwehr per App

Aber auch einen ganz anderen Ansatz der Forschung wurde auf dem Ärztetag thematisiert. Dabei ging es um die individuelle Infektabwehr. Man müsse zeitnahe alle Faktoren erforschen, was schadet und was hilft – und zwar vor, während und nach Infekten und bei welchem Menschen in welchem Maße. Der Schwerpunkt solle jedoch nicht auf Impfungen und Medikamenten, sondern individuellen Faktoren liegen. Vorerkrankungen, Alter, Geschlecht, Bewegung, Ernährung, Schlaf, Psyche, soziokulturelle und schädigende Faktoren spielen dabei eine Rolle.

Als Beispiel wird eine individuell verfügbare App angeführt. Diese könnte folgende Auskunft geben: „Ihr aktuelles Risiko für einen schweren Verlauf beträgt x Prozent. Wenn Sie in den nächsten sechs Monaten x Kilogramm abnehmen, sinkt Ihr Risiko für einen komplizierten Verlauf um x Prozent. Wenn Sie Ihr Risikoverhalten x um 50 Prozent verändern, sinkt Ihr Risiko für einen schweren Verlauf um x Prozent. Eine Impfung reduziert Ihr individuelles Risiko um x Prozent, etc.“

Schließlich werde COVID-19 „nicht die letzte Pandemie sein, mit der wir konfrontiert werden“, ist zur Begründung auf Seite 167 zu lesen.

Hier geht es zum Beschlussprotokoll des 126. Deutschen Ärztetages.



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