Der „Kemmerich-Moment“: Kontroverse Stimmen zur Wiederwahl des Ministerpräsidenten von Sachsen
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kann für weitere fünf Jahre die Geschicke des Freistaates gestalten – wenn auch unter gänzlich anderen Vorzeichen.
Er schaffte seine zweite Wiederwahl im Landtag am Mittwoch, 18. Dezember, erst im zweiten Wahlgang.
Am Ende gab es doch so etwas wie einen „Kemmerich-Moment“ im Sächsischen Landtag, berichtet der „MDR“. Dabei hatten das die Grünen mit einem Antrag zu einem neuen Zählmodus für die Wahl eigentlich verhindern wollen. Im zweiten Wahlgang unterstützte die AfD nicht mehr ihren eigenen Partei- und Fraktionschef Jörg Urban, sondern gab dem Kandidaten der Freien Wähler, Berger, die Stimme.
„Auch Herr Berger steht für eine politische Veränderung in Sachsen“, begründete Urban das ungewöhnliche Votum. Ein Täuschungsmanöver sah er darin nicht. „Es war der Versuch, Menschen, die Herrn Berger und sein Modell wählen wollen, nicht abzuschrecken durch eine offensichtliche Unterstützung der AfD“, gibt der „MDR“ den AfD-Politiker wieder.
Nachdem die Unterstützung Bergers erfolglos gewesen sei, wolle die AfD nun im Landtag „konstruktiv arbeiten“.
Grüne sind mit sich im Reinen
„Wir sind durch und durch Demokraten. Es war wichtig, dass ein demokratischer Ministerpräsident ohne Stimmen der AfD ins Amt kommt“, sagte Grünen-Fraktionschefin Franziska Schubert. Dazu hätten die Bündnisgrünen ihren Beitrag geleistet.
„Opposition gibt gewisse Freiheiten zurück, ein Stück weit freuen wir uns darauf“, sagte Schubert und zog damit endgültig einen Schlussstrich unter das zerrüttete Verhältnis zur CDU. Am Vortag hatte sie klargestellt, dass Kretschmer nicht mit den Stimmen der Grünen rechnen könnte. „Wir sind weder Hitzköpfe, noch neigen wir zu fehlender Impulskontrolle“, sagte Schubert.
Am Ende lief es bei den Grünen wohl auf Enthaltung hinaus. Sieben Abgeordnete enthielten sich.
Dass ausgerechnet die Linken sich schon vor der Wahl zu Kretschmer bekannten, darf als Überraschung bezeichnet werden. Denn in den vergangenen drei Jahrzehnten hatte die CDU jeden Antrag der Linken im Parlament abgelehnt. „Wir gewähren Michael Kretschmer einen Vertrauensvorschuss, stellen aber keinen Blankoscheck aus“, sagte Fraktionschefin Susanne Schaper.
Christian Hartmann, Fraktionschef der CDU, sah im Anschluss keinen Verstoß gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei, wenn man fortan mit den Linken bei Sachthemen zusammenarbeite. Von Unvereinbarkeitsbeschlüssen halte er selbst grundsätzlich nicht viel, sagte er.
Berger sieht Minderheitsregierung kritisch
Freie-Wähler-Kandidat Berger zeigte sich mit seinem Ergebnis zufrieden. „Wir sind da völlig reingestolpert.“ Noch vor vier Monaten habe niemand damit gerechnet, dass die Freien Wähler einen Kandidaten aufstellen, nun habe er sogar noch den zweiten Platz belegt. Berger wünschte Kretschmer viel Glück, glaubt aber nicht an einen Erfolg der Minderheitsregierung. Schon für den anstehenden Haushalt sieht er keine Mehrheit im Parlament.
Kretschmer betonte, ein neuer Doppelhaushalt für die Jahre 2025 und 2026 sei die erste Aufgabe für die neue Regierung. „Alleine dafür brauchen wir die Unterstützung der Abgeordneten im sächsischen Landtag.“
Die sächsische BSW-Chefin Sabine Zimmermann überreichte Kretschmer das Wagenknecht-Buch „Die Selbstgerechten“ zur Wiederwahl. BSW-Parteigründerin Sahra Wagenknecht regierte darauf mit der Aussage: „Aus meinen Büchern kann man immer Erkenntnisse ziehen. Ich würde mich freuen, wenn Michael Kretschmer es liest und mir eine Rückmeldung gibt“, schreibt die „Sächsische Zeitung“.
Laut Wagenknecht hätten die BSW-Abgeordnete in Sachsen „gewisse Zusagen“ von Kretschmer bekommen und deshalb die Wahl des CDU-Politikers Michael Kretschmer zum Ministerpräsidenten unterstützt.
Zudem bekam Kretschmer vom BSW ein Nudelholz, womit die Partei auf eine Karikatur in der „Stuttgarter Zeitung“ anspielt. Kretschmer schaut in der Zeichnung vor der Silhouette der Dresdner Altstadt ängstlich hinter einer Mauer hervor, vor welcher die BSW-Vorsitzende Zimmermann mit einem Nudelholz wartet. Mit „Braut für Kretschmer?“ war die Karikatur überschrieben, berichtet die „Sächsische Zeitung“.
Linke schenkt Zitat von Holocaust-Überlebenden
Auch die Linke in Sachsen beschenkte Kretschmer. Nach der Wiederwahl erklärte sie auf X: „Unser Geschenk für Michael Kretschmer ist gleichzeitig eine Mahnung: ein gerahmtes Zitat des Chemnitzer Holocaust-Überlebenden Justin Sonder: „Wer denkt, es kann sich nicht wiederholen, der irrt“
Unser Geschenk für Michael Kretschmer ist gleichzeitig eine Mahnung: ein gerahmtes Zitat des Chemnitzer Holocaust-Überlebenden Justin Sonder – „Wer denkt, es kann sich nicht wiederholen, der irrt“ pic.twitter.com/RPk9EeOQGa
— Linksfraktion Sachsen (@LINKE_LTSachsen) December 18, 2024
Die Freien Sachsen bedauerten auf X, dass Kretschmer und nicht Berger den zweiten Wahlgang gewann. „Mattias Berger erhielt in der 2. Runde immerhin 39 Stimmen – neben einem Großteil der AfD-Fraktion mutmaßlich auch die BSW-Stimmen aus dem 1. Wahlgang“, so die als rechtsextrem eingestufte Kleinpartei. „Andere BSWler und AfDler enthielten sich offenbar, einer stimmte sogar noch für Jörg Urban. Schade, da hätte die Opposition geschlossener stehen müssen“, heißt es dort.
EIL: Kretschmer mit 69 Stimmen Dank Grünen und Linkspartei wieder zum Ministerpräsidenten gewählt!
Die linken Parteien sichern Kretschmer den Machterhalt: Mit 69 von 120 Stimmen wurde Michael Kretschmer soeben erneut zum Ministerpräsidenten gewählt. Neben den Stimmen von CDU und…
— FREIE SACHSEN (@freiesachsen_) December 18, 2024
„Müssen gute Kompromisse finden“
Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Christian Hartmann, betonte nach der Wahl: Die zahlreichen Aufgaben „werden nur gelingen können, wenn wir neue Wege der parlamentarischen Mehrheitsfindung gehen“.
„Wir müssen zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger in Sachsen gute Kompromisse finden, die unseren Freistaat in den kommenden Jahren weiter voranbringen“, sagte er.
Auch der Co-Vorsitzende der SPD Sachsen, Henning Homann, betonte: „Wir nehmen unsere Worte im Koalitionsvertrag ernst. Wir wollen eine neue politische Kultur.“
Der Vizefraktionsvorsitzende der Bundes-CDU, Jens Spahn, gratulierte seinem Parteikollegen zur Wiederwahl: „Lieber @MPKretschmer, herzlichen Glückwunsch, das ist – unter erschwerten Bedingungen – ein starkes Ergebnis! Und es ist gut für Sachsen, dass Du Deine Arbeit als Ministerpräsident Nun fortsetzen kannst.“
Lieber @MPKretschmer, herzlichen Glückwunsch, das ist – unter erschwerten Bedingungen – ein starkes Ergebnis! Und es ist gut für Sachsen, dass Du Deine Arbeit als Ministerpräsident nun fortsetzen kannst.
— Jens Spahn (@jensspahn) December 18, 2024
Auch Thüringens Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) gratulierte Kretschmer. Gleichzeitig sah er bei der AfD in Sachsen die gleiche Strategie wie in Thüringen am 5. Februar 2020 bei der Kemmerich-Wahl. „Die sächsische AfD hat es erneut versucht. Einen Kandidaten aufzustellen und nicht zu wählen. Kemmerich zum zweiten ist aber gescheitert“, schreibt Ramelow bei „X“.
Die AfD hat es erneut versucht. Einen Kandidaten aufzustellen und nicht zu wählen.
Kemmerich zum zweiten ist aber gescheitert. Die Demokratischen Stimmen, haben die Minderheitsregierung ermöglich und Michael Kretschmer muss etwas neues an Politik etablieren.Viel Kraft&Glück dazu!— Bodo Ramelow (@bodoramelow) December 18, 2024
Kretschmer: „Zeit des Wahlkampfes ist vorbei“
Nach der Wahl forderte Kretschmer die Parlamentarier auf, mitzuarbeiten. Die anstrengende Zeit des Wahlkampfes sei vorbei, nun gehe es darum, dem Land eine gute Zukunft zu geben, sagte er.
Die CDU mit ihrer geplanten Minderheitsregierung mit dem Koalitionspartner SPD ist jedoch auf Stimmen angewiesen, um die eigenen Projekte umsetzen zu können. Zuvor regierte die CDU 34 Jahre lang im Freistaat allein oder mit wechselnden Partnern praktisch durch. Diese Zeiten sind nun vorbei: Der von Kretschmer geplanten schwarz-roten Minderheitsregierung fehlen ganze zehn Stimmen zur eigenen Mehrheit.
Dazu wollen sie den Landtag stärker beteiligen. CDU und SPD haben einen Konsultationsmechanismus angekündigt, mit dem die anderen Parteien schon frühzeitig in Vorhaben einbezogen werden sollen und dafür auch eigene Vorschläge einbringen können. Das gilt grundsätzlich nicht für die AfD.
Dennoch wollen CDU und SPD ihre Mehrheiten jenseits der AfD suchen, deren sächsischer Landesverband vom Verfassungsschutz als rechtsextremistische Bestrebung eingestuft wird. Kretschmer und auch SPD-Chef Henning Homann hatten wiederholt betont, dass es keine Kooperation mit der AfD geben kann. Am Donnerstag plant Kretschmer sein neues Kabinett in Dresden vorzustellen.
Für Kretschmer war die Landtagswahl nach eigenen Worten eine „große Zäsur“. Der Versuch, eine Mehrheitsregierung zu bilden, schlug fehl. Gespräche über ein Dreierbündnis mit dem BSW scheiterten.
Was hat die Koalition vor?
Mit der Wiederwahl von Kretschmer (CDU) zum Ministerpräsidenten, kann die schwarz-rote Minderheitsregierung nun ihre Arbeit aufnehmen. Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD unter dem Titel „Mutig neue Wege gehen“ sieht unter anderem mehr Investitionen in die Bildung und eine sächsische Grenzpolizei vor, als auch eine Reduzierung der Minister- und Staatssekretärstellen.
So will die künftige Landesregierung die Zahl der Minister von elf auf zehn und die Zahl der Staatssekretäre von 15 auf elf senken.
Gleichzeitig soll ein sogenannter Sachsenfonds als Sondervermögen errichtet werden, um damit längerfristige Investitionen beispielsweise in die Infrastruktur, die Digitalisierung oder die Transformation der Wirtschaft zu stecken.
Verpflichtendes Vorschuljahr
Auch soll das letzte Kindergartenjahr ein verpflichtendes Vorschuljahr werden. Dafür und für andere Investitionen in die Bildung von Kindern sollen 250 Millionen Euro bereitgestellt werden.
Zudem sollen Beschäftigte sich ab 2027 drei Tage im Jahr bezahlt freistellen lassen können, um etwa einen Trainerschein für ihr Ehrenamt zu machen und sich politisch oder beruflich weiterzubilden.
Die sächsische Polizei soll verstärkt an den Grenzen kontrollieren, eine sächsische Grenzpolizei soll eingerichtet werden. Geplant sind neue Fahndungs- und Kontrolleinheiten, auch dafür soll neues Personal eingestellt werden.
Migration begrenzen
Menschen ohne Bleiberecht sollen Sachsen auf schnellstem Weg wieder verlassen. Insbesondere aus sicheren Herkunftsstaaten stammende Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, sollen künftig nicht mehr auf die Kommunen verteilt, sondern direkt aus den Aufnahmeeinrichtungen des Freistaats abgeschoben werden.
Die Zahlungen für den sogenannten Generationenfonds für künftige Beamtenpensionen sollen um 270 Millionen Euro reduziert werden. CDU und SPD gehen davon aus, dass sich dank neuer Anlageformen aus den vergangenen Jahren die Erträge erhöhen. Sie beabsichtigen trotz der geplanten Reduzierungen sicherzustellen, dass ausreichend vorgesorgt wird. Darum soll die Gesamtfinanzierung gutachterlich geprüft werden.
(Mit Material der Nachrichtenagenturen)
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