Seehofer steigt mit Flüchtlingskrise zur Gallionsfigur des politischen Ungehorsams auf
Seit Anfang September ist alles anders: In der Flüchtlingskrise fühlt sich Seehofer plötzlich als Taktgeber. Er verleiht dem Unbehagen Ausdruck, das die Rekordzahl der Flüchtlinge in beträchtlichen Teilen der deutschen Bevölkerung auslöst. Seehofer hat sich an die Spitze derjenigen gesetzt, die eine Begrenzung fordern.
„Einfach zu sagen, wir können die Grenzen nicht mehr schützen – das ist eine Kapitulation des Staates vor der Realität“, schleuderte Seehofer am vergangenen Wochenende in Richtung Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Ein Indikator für die plötzlich gestiegene Popularität des CSU-Chefs: Auf Facebook sind Seehofer und seine Partei – jedenfalls nach den bescheidenen Maßstäben der deutschen Politik – derzeit sehr erfolgreich.
Innerhalb eines Monats hat die Partei ein Drittel neuer „Fans“ hinter sich versammelt. Inzwischen haben mehr als 90 000 Menschen die CSU-Seite auf Facebook mit „Gefällt mir“ markiert. Das sind mehr als bei der SPD, obwohl die CSU nur eine bayerische Regionalpartei ist. „Ich finde es wunderbar, dass es endlich einen Spitzenpolitiker gibt, der sich traut, Frau Merkel und ihrer verfehlten Politik Paroli zu bieten“, schreibt ein Seehofer-Fan – eine Äußerung, die sich in ähnlicher Form hundertfach findet. Vielfach wird der CSU geraten, sich bundesweit auszudehnen.
Die CSU hat bereits mehrere anfangs heftig umstrittene Forderungen durchgesetzt – etwa die Einstufung Kosovos, Montenegros und Albaniens als sichere „Drittstaaten“. Der nächste Erfolg steht vor der Haustür: Kanzlerin und CDU haben den von der CSU verlangten „Transitzonen“ zugestimmt, damit sind geplante Schnellabschiebeunterkünfte für Arbeitsmigranten ohne Aussicht auf Anerkennung gemeint.
Doch ist Seehofer nicht nur Antreiber, sondern auch Getriebener – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Getrieben ist Seehofer von der Stimmung an der Parteibasis sowie von den Kommunalpolitikern, die nicht mehr allwöchentlich Zehntausende Flüchtlinge aufnehmen wollen. Und Gefahr droht von rechts. In der CSU geht die Befürchtung um, dass Merkels großzügige Linie der rechtspopulistischen AfD bei der Bundestagswahl 2017 ein zweistelliges Prozentergebnis einbringen könnte.
Auf den Facebook-Seiten der CSU häufig zu finden: Aufrufe zur Rebellion gegen Merkel. „Bitte sorgen Sie einfach dafür daß Merkel ihres Amtes enthoben wird“, schreibt ein Nutzer stellvertretend für viele. Rechtsextremisten hinterlassen Hasskommentare, die von der CSU-Landesleitung schnellstmöglich gelöscht werden.
Doch ein Aufstand gegen Merkel ist ebenso ausgeschlossen wie ein Ausstieg aus der großen Koalition. Bayern und die CSU haben quasi keine Möglichkeit, im Alleingang eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen durchzusetzen. Doch ein Dauerstreit mit Merkel würde der Union insgesamt schaden – auch das keine erfolgversprechende Zukunftsperspektive.
So pendelt Seehofer seit Wochen zwischen Eskalation und Besänftigung. Nachdem Merkel am Wochenende die Transitzonen zugestand, ist aktuell wieder Deeskalation angesagt. „Solange eine Chance auf Lösung besteht, gibt’s keinen Konflikt“, sagte Seehofer am Mittwoch.
Doch läuft der CSU-Chef Gefahr, am Ende als zahnloser Tiger dazustehen. Auch das spiegelt sich bereits in den Zehntausenden Kommentaren, die die CSU derzeit erreichen. „Halb Deutschland setzt auf Dich und doch kommen wieder nur leere Worte ohne dass sich etwas ändert“, hat ein wütender Bürger auf Seehofers Facebook-Seite hinterlassen. „Ein Ritt auf der Rasierklinge“, schätzt ein CSU-Vorstand die aktuelle Lage ein.
(dpa)
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