Der alte und neue FDP-Chef Lindner betont klare Abgrenzung zu den Grünen

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner wurde auf dem Bundesparteitag in Berlin für weitere zwei Jahre im Amt bestätigt. Lindner ist seit Dezember 2013 Vorsitzender der FDP und führte die Partei nach vier Jahren außerparlamentarischer Opposition 2017 zurück in den Bundestag. Jetzt schwinden den Liberalen die Wähler.
Titelbild
Der Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei Deutschlands (FDP) und Bundesfinanzminister Christian Lindner hält am Eröffnungstag des 74. Bundesparteitags der Freien Demokratischen Partei Deutschlands (FDP) am 21. April 2023 in Berlin eine Rede.Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP über Getty Images
Von 22. April 2023

Vor seiner Wiederwahl hatte Lindner vor dem Bundesparteitag in einer 90-minütigen Rede die Koalitionspartner SPD und Grüne zu Sparsamkeit ermahnt, um die Schuldenbremse einzuhalten und der hohen Inflation entgegenzuwirken. Zudem machte der 44-Jährige die unsolide Finanzpolitik der CDU für die aktuelle Situation verantwortlich: „Jetzt muss die Politik neu lernen, mit dem Geld auszukommen, das die Bürgerinnen und Bürger ihr zur Verfügung stellen.“ Er betonte, dass so – trotz steigender Steuereinnahmen – viele gesetzliche Verpflichtungen nicht erfüllt werden könnten. In seiner Rede schloss er jedoch weitere Steuererhöhungen aus.

Keine Steuererhöhungen und anders als „Grün“

Außerdem verbalisierte er eine klare Abgrenzung zu den Grünen, besonders in der Klima- und Energiepolitik. Er betonte dabei, dass die Mehrheit der Bevölkerung drakonische Maßnahmen wie Fahrverbote ablehne. Stattdessen sei es wichtig, dass sich die verschiedenen Ressorts Industrie, Energie, Gebäude und Verkehr gegenseitig unterstützen, um die Klimaziele zu erreichen.

In der Energiepolitik stehe Großes bevor, sagte der aktuelle Bundesfinanzminister und plädierte für einen gleichsam sozial akzeptablen und wirtschaftlich vernünftigen Weg. Lindner äußerte sich bedauernd, dass in Deutschland zur Energiegewinnung Kohle verfeuert werde und sichere Atomkraftwerke abgeschaltet würden. Außerdem lobte er seinen FDP-Kollegen Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr (BMDV) dafür, dass dieser ein generelles Verbot von Verbrennermotoren ab dem Jahr 2035 in Europa verhindert habe.

Kämpferische Rede auf Parteitag

Auch der seit Monaten stagnierende Haushaltsstreit innerhalb der Ampel war Inhalt der Rede: Lindner sagte, dass bei diesem Thema Prioritäten gesetzt werden müssen, allerdings ohne einen möglichen oder gar konkreten Ausweg aufzuzeigen. Er forderte auch eine Überprüfung der Sozialleistungen und kritisierte die Ausweitung der staatlichen Leistungen in den letzten zehn Jahren.

Auf dem Bundesparteitag gab sich Lindner vor seinen Parteifreunden kämpferisch – auch gegenüber den Koalitionspartnern SPD und Grüne. Gut drei Minuten begeisterter Beifall der Delegierten waren die Belohnung neben der erneuten Bestätigung seines Parteivorsitzes.

2013 war Christian Lindner, damals 34 Jahre alt, als jüngster FDP-Chef der Geschichte erstmals gewählt worden, damals mit 79 Prozent. Bei seiner ersten Wiederwahl im Jahr 2015 bekam er 92 Prozent, 2017 dann 91 Prozent und 2019 schließlich 87 Prozent. Jetzt stimmten bei seiner Wiederwahl zum FDP-Vorsitzenden 88 Prozent der Delegierten für den 44-Jährigen. Damit hat Lindner 511 der 579 Stimmen bekommen.

So konsistent diese Ergebnisse innerhalb der FDP erscheinen und Einigkeit innerhalb der Partei über die eigene Positionierung signalisieren mag, so sehr scheint diese sich scheinbar selbst zu bestätigende Selbstwahrnehmung auseinanderzuklaffen, wenn man hierfür die Entwicklung der Zahlen der potenziellen FDP-Wähler zugrunde legt:

Einigkeit in der FDP und 60 Prozent Wähler-Verluste

Noch vor zwei Jahren konnte die FDP bei der Bundestagswahl 2021 mit einem stolzen Wahlergebnis von 11,5 Prozent aufwarten. Anfang 2023 würden, so aktuelle Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Forsa, knapp 60 Prozent der liberalen Wähler bei einer Wahl der FDP den Rücken kehren – die Liberalen haben also seit der letzten Wahl potenziell über die Hälfte ihrer Wähler verloren.

Laut „Rheinische Post“ sei es jedoch merkwürdig, „dass die Liberalen, die wie keine andere Partei die Freiheits- und Grundrechte unserer Verfassung vertritt, einen so niedrigen Stammwählerbestand hat“. Wenn man Christian Lindner in seiner aktuellen 90-minütigen Parteitagsrede folgt, hört man ihn postulieren, dass die FDP die Partei sei, die die Freiheit des Individuums und den Wohlstand der Gesellschaft verteidige. Die „Rheinische Post“ fragt in ihrer Analyse vom März, ob dieser Wählerschwund bei der FDP daher kommen könne, dass es „womöglich der Bundesrepublik an Menschen (fehlt), die eins zu eins die Werte des Grundgesetzes zu ihrer Lebensmaxime erheben?“

Weitere Ergebnisse besagter Forsa Umfrage ergaben aber, es gibt diese Wähler durchaus noch – sie wären im Falle einer Wahl nur woanders und nicht bei der FDP. 41 Prozent würden aktuell noch bei der FDP verbleiben, 59 Prozent hingegen würden abwandern: 28 Prozent zur Union, zwölf Prozent zu den Nichtwählern. Jeweils fünf Prozent würden zu Grüne, SPD und AfD „überlaufen“.

Abstimmung mit den Füßen: Ältere und Ostdeutsche wandern ab

Fast die Hälfte, 47 Prozent, sind in den „Älteren“ der ab 60-Jährigen zu finden. Diese sind bei den „Abwandernden“ überproportional vertreten, denn diese Altersgruppe macht unter den FDP-Wählern nur 40 Prozent aus. Auch ostdeutsche Wähler (13 Prozent der Abwanderer) sind bei den „Enttäuschten“ stärker vertreten als bei den Wählern (10 Prozent).

Auch über die Expertise in Sachen Wirtschaft scheinen laut dieser Umfrage die FDP-Wähler indirekt mit den Füßen abzustimmen: Wer Existenzängste in wirtschaftlichen Fragen hat, denkt ebenfalls nicht an eine Wiederwahl der FDP – hier stehen laut Umfrage 62 Prozent der Abwanderer gegenüber 50 Prozent der Wähler.

Vor allem männliche Studenten und Männer mit guter Bildung und hohem Einkommen halten der FDP die Treue oder sind Erstwähler. Die Studenten machen sieben Prozent der Wähler aus und nur zwei Prozent der Abwanderer. Frauen sind in der Minderzahl.

Berlin-Wahl als Blaupause für FDP-Schicksal?

Einen Hinweis hat das Ergebnis der nachgeholten Berlin-Wahl gegeben. Eigentlich hätte eine Oppositionspartei wie die FDP in so einer Situation zulegen müssen, so wie es CDU und AfD vorgemacht haben. Die FDP hingegen hat in der Hauptstadt ein Drittel ihrer Stimmanteile und deutlich mehr als ein Drittel ihrer Wähler verloren. Laut „Tichys Einblick“ war es aber nicht die regionale, sondern die Bundespolitik der FDP, „die den Berliner Liberalen als heftiger Gegenwind ins Gesicht geblasen hat“.

Die FDP in der Ampel sei der Grund für die Niederlagen der FDP in Berlin und in den Ländern. Sie müsse rot-grüne Inhalte mittragen, die bei den eigenen Wählern oft auf Unverständnis stoßen: „Amoklauf in der Energiepolitik, Plan- statt Marktwirtschaft und Subventionen statt vernünftiger Rahmenbedingungen – und wie reagiert die FDP auf diese politische Agenda?“ Fragt „Tichys“ und liefert mit der Antwort eine mögliche personalisierte Ursache: „Ihr Parteichef Christian Lindner spielt den Entertainer, der dieses rot-grüne Chaos schönreden will.“

Kaum wiederzukennen für bürgerliche Wähler

Das Magazin fasst zusammen: „Wer als Bürgerlicher [die] FDP gewählt hat, erkennt seine Partei nicht mehr.“ Nicht zu vergessen hierbei die Partei-Politik in den letzten drei Corona-Jahre, wo die FDP das Ende der Maßnahmen versprochen habe, sie dann aber, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zuliebe, verschärfte und sie erst im Bund aufgehoben hat, als die Länder es schon vorgemacht hatten.

Vor gut fünf Jahren, 2017, sagte Christian Lindner noch: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“. Da hatte er die Jamaika-Sondierungen der FDP mit CDU, CSU und Grünen nach vier Wochen abgebrochen. Lindners Begründung war seinerzeit fehlendes Vertrauen.



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