Der als historisch geltende NSU-Prozess konnte viele Fragen nicht klären
Am Mittwoch endet mit dem NSU-Prozess in München ein Gerichtsverfahren, dessen Bedeutung schon vor seinem Beginn im Mai 2013 als historisch eingestuft wurde. Es ist der größte Prozess seit der Wiedervereinigung zu einer rechtsextrem motivierten Tatserie, die beispiellos ist. Doch welches Urteil Richter Manfred Götzl auch immer sprechen wird: Viele Fragen blieben ungeklärt, die Wut und Verzweiflung der Hinterbliebenen der zehn Mordopfer konnte der Prozess nicht lindern.
Götzl urteilt über die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und vier als NSU-Helfer angeklagte Männer – den früheren NPD-Funktionär Ralf Wohlleben, den Neonazi André E. und die beiden aus der rechten Szene ausgestiegenen Holger G. und Carsten S.. Alle fünf Angeklagten waren nach der Wende in der Thüringer Neonaziszene aktiv, der Schwerpunkt lag in Jena. Dass der NSU-Prozess in München stattfindet, liegt daran, dass der größte Teil der Morde in Bayern verübt wurde.
Für zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle macht die Bundesanwaltschaft Zschäpe und die nach einem weiteren Banküberfall im November 2011 mutmaßlich durch Suizid ums Leben gekommenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos verantwortlich. So stand es schon in der Anklage, so sieht es die Bundesanwaltschaft auch nach der Beweisaufnahme. Und die Ankläger hielten auch an ihrer als juristisch gewagt geltenden Kernthese fest: Zschäpe soll als Mittäterin verurteilt werden, obwohl sie an keinem der Tatorte anwesend war.
Die Bewertungen der Beweisaufnahme in dem Mammutprozess mit seinen mehr als 700 Zeugen und rund 300.000 Seiten Ermittlungsakten könnten aber nicht gegensätzlicher ausfallen als zwischen Bundesanwaltschaft und den Verteidigern. Während die Karlsruher Ankläger ihre Anklage als bestätigt ansehen, halten die Verteidiger ihre Mandanten für im Wesentlichen entlastet.
Für Zschäpe etwa forderten die drei Ankläger die in Deutschland mögliche Höchststrafe aus lebenslanger Haft, Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und anschließender Sicherungsverwahrung. Ihre fünf Verteidiger halten Zschäpe dagegen im Wesentlichen nur für die Brandstiftung im letzten Versteck des Trios in Zwickau für bestrafbar. Ihre Strafmaßforderung von höchstens zehn Jahren Haft würde angesichts der langen Untersuchungshaft von mehr als sechseinhalb Jahren auf eine baldige Freilassung Zschäpes hinauslaufen.
Ähnlich ist es bei den mutmaßlichen NSU-Helfern. Hier forderte die Anklage bis zu zwölf Jahre Haft, die Verteidiger aber Freisprüche oder milde Strafen.
Geht es nach dem bisherigen Prozessverlauf, dürfte sich die Bundesanwaltschaft durchsetzen. Fast über die gesamte Prozessdauer scheiterten die Verteidiger mit ihren Anträgen. Deshalb äußerten etwa sowohl die Verteidiger von Wohlleben als auch von Zschäpe den Vorwurf, dass das Gericht voreingenommen sei und das Urteil unter dem Druck der Öffentlichkeit schon feststehe.
Auch Zschäpe ging in ihrem Schlusswort am vergangenen Dienstag darauf ein und sagte: „Ich möchte jetzt den Senat und Sie, Herr Richter Götzl, darum bitten, ein Urteil zu fällen, welches unbelastet von öffentlichem oder politischem Druck ist.“
Zschäpe beantwortete auch in ihrem Schlusswort nicht die Frage, die für die Angehörigen der Mordopfer zentral in diesem Verfahren war: Sie wollten wissen, warum ausgerechnet ihre Angehörigen von Mundlos und Böhnhardt erschossen wurden.
Die Beweisaufnahme brachte hierzu keine Erkenntnisse. Dafür sorgten viele Vernehmungen von Polizisten und Verfassungsschützern für Entsetzen: Nicht nur wegen der Stümperhaftigkeit der Ermittler während der erst nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt aufgeklärten jahrelangen Tatserie, sondern auch wegen eines vielfach erkennbaren Rassismus unter Beamten.
Für Manfred Götzl beginnt in der kommenden Woche die Zeit des stillen Kämmerleins. Der Vorsitzende Richter des NSU-Prozesses wird nach seinem mündlichen Urteil am Mittwoch eine schriftliche Urteilsbegründung abfassen müssen. Götzl kann sich wegen des Prozessumfangs Monate Zeit lassen. Für den im kommenden Jahr in den Ruhestand wechselnden Richter wird es wohl seine letzte Tätigkeit werden – und die wichtigste. (afp)
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