Demokratieforscherin: Kanzleräußerungen sind „hochproblematisch“
Der neue deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gab am 16. Dezember seine erste Regierungserklärung ab. Die SPD-Fraktion veröffentlichte am 16. Dezember eine Zusammenfassung der 90-Minuten-Rede mit dem Scholz-Zitat „Unsere Gesellschaft ist nicht gespalten“ als Titel. Die Kritik galt insbesondere radikalisierten Impfgegnern.
Es sei eine winzige Minderheit der Hasserfüllten, „die mit Fackelmärschen und Gewalt uns alle angreift“. „Ihnen werden wir mit allen Mitteln des Rechtsstaates entgegentreten. Unsere Demokratie ist eine wehrhafte Demokratie“, sagte der Kanzler.
Die größte Bedrohung für unsere Demokratie sei der Rechtsextremismus. Die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land verhalte sich solidarisch, vernünftig und vorsichtig. Gleichzeitig versprach Scholz der Bevölkerung angesichts der Pandemie: „Es wird wieder besser, wir werden diesen Kampf gewinnen.“
Guérot: „Ausdruck einer Realitätsverleugnung“
Die Demokratieforscherin und Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot bezeichnete im Interview mit der Zeitung „Die Welt“ die Aussage des Bundeskanzlers zur gesellschaftlichen Situation als „Ausdruck einer Realitätsverleugnung“ und „hochproblematisch“.
Man könne nicht mehr ohne Vorkehrungen oder eine Impfung bestimmte Geschäfte betreten, in einen Gerichtssaal, zum Sport oder ins Kino gehen. „Das sind juristisch abgesicherte Spaltungen und die Ausgrenzung Nichtgeimpfter“, erklärte die Politikwissenschaftlerin und Professorin für Europapolitik der Universität Bonn.
Viele Indikatoren ließen darauf schließen, dass es sich in etwa um eine „Zwei-Drittel- zu Ein-Drittel-Verteilung“ handle. Die zwei Drittel teilten sich wiederum in einen Teil, der hinter den Maßnahmen stehe, und eine „agnostische Mitte, die sich aus Gleichgültigkeit oder Zermürbtheit“ dafür ausspreche. „Viele hoffen, damit ihre Freiheit zurückzubekommen, wie es euphemistisch heißt.“
Wenn Scholz von einer „vernünftigen Mehrheit“ spricht, spreche er den anderen die Vernunft ab. Die Kritiker seien zudem keine Minderheit. Sie reichen parteiübergreifend bis weit ins bürgerliche Lager. Die Politikwissenschaftlerin verweist dabei auch auf die Montagsspaziergänge mit ihrer gemischten Teilnehmerschaft.
All diese vielfältigen Gruppen als radikalen Rand oder nicht ernst zu nehmende Minderheit zu bezeichnen, ist Unsinn“, so Guérot.
Guérot räumt ein, dass es eine „bedauernswerte Instrumentalisierung der Impfpflichtkritiker durch den rechten Rand“ gebe. Daraus könne man aber keine Kontaktschuld ableiten. Vielmehr gehe es darum, dem rechten Rand nicht die Argumente und die Kritik zu überlassen, sondern abzunehmen. Man müsse Sprecher und Argument in dieser Debatte wieder trennen.
Recht auf körperliche Unversehrtheit – Solidarität ist kein Muss
Doch die Linke und ihre Wählermilieus seien schnell auf den Pfad der Maßnahmentreue eingestiegen, einem für sie eher ungewöhnlichen Staatsgehorsam. Solidarität. Das grenze sich zur konservativ und liberalen Eigenverantwortung und Eigenständigkeit ab, so Guérot.
Auch der Lockdown war ein Ausdruck dieser Solidarität, die wie ein Köder in einem Milieu funktionierte, das sich strukturell eher als antiautoritär und freiheitsliebend versteht“, erinnert die Wissenschaftlerin.
Auch der Körper der Menschen werde jetzt in den Bereich der Solidarität einbezogen, „wenn man sich aus Pflicht für das Gemeinwohl impfen lassen soll“. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit stehe erstmals auf dem Prüfstand.
Niemand darf zur Organspende oder zur Blutentnahme gezwungen werden, auch nicht, wenn damit das Leben eines anderen gerettet werden könnte“, führte Guérot an.
Niemand könne zur Solidarität gezwungen werden. In einem Rechtsstaat beschränke sich die Pflicht auf die Einhaltung des Rechts. Der Körper dürfe nicht für einen gesellschaftlichen Zweck instrumentalisiert werden, so die Demokratieforscherin.
Artikel 2 des Grundgesetzes beschreibt das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Er sei ein „Abwehrrecht gegen einen übergriffigen Staat“. Mit Blick auf Rechtsstaatlichkeit und Gerichtsbarkeit seien wir schon tief gefallen, „lange bevor der Kanzler sagte, es gebe keine roten Linien mehr, einen Satz, den ich persönlich höchst bedenklich finde“. Die Menschenwürde sei eine rote Linie, auch Folter sei verboten und durch nichts zu rechtfertigen, auch nicht durch Not.
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