Demente als Versuchskaninchen: Arzneistudien an Demenzkranken werden ausgeweitet

Der Bundestag hat für eine Änderung des Arzneimittelgesetzes gestimmt. Künftig sind klinische Studien an Demenzkranken auch möglich, wenn diese keinen unmittelbaren Nutzen davon haben. Sie müssen aber zuvor ihre schriftliche Zustimmung gegeben haben.
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SymbolbildFoto: Sean Gallup/Getty Images
Epoch Times11. November 2016

Arzneimitteltests an Demenzkranken sind in Deutschland künftig in größerem Umfang möglich als bisher. Nach monatelanger Debatte stimmte der Bundestag am Freitag mehrheitlich für eine entsprechende Gesetzesänderung. Demnach sind solche klinischen Studien an nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten unter bestimmten Voraussetzungen auch dann möglich, wenn diese selbst keinen unmittelbaren Nutzen davon haben. Bislang war dies nicht erlaubt.

Bedingung ist, dass die Betroffenen vorab im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte waren und nach einer verbindlichen ärztlichen Beratung ihre schriftliche Zustimmung für solche gemeinnützigen klinischen Forschungen gaben. Ein Betreuer soll später prüfen, ob diese Festlegung noch auf die aktuelle Situation des Patienten zutrifft. Die Erklärung kann jederzeit widerrufen werden.

Die Grundsatzentscheidung dazu war bereits am Mittwoch gefallen, als die Parlamentarier mehrheitlich einem entsprechenden Änderungsantrag zustimmten. Am Freitag wurde nun der Gesetzentwurf der Bundesregierung in Gänze verabschiedet. Für die Abstimmung war wegen des ethisch heiklen Themas der Fraktionszwang aufgehoben worden.

„Hochwertige klinische Prüfungen sind eine Voraussetzung für einen schnellen und sicheren Zugang zu neuen Arzneimitteln“, erklärte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Dadurch könnte auch die Behandlung von Demenzkranken weiter verbessert werden. Gröhe versicherte zugleich, dass „der Wille und der Schutz des Einzelnen zu jedem Zeitpunkt an erster Stelle“ stünden.

Die Gegner der Gesetzesänderung setzten sich bis zuletzt für eine Ablehnung der Novelle ein. „Mit dem Gesetz zerstören Sie das Vertrauen in die deutsche Forschungslandschaft“, sagte die Grünen-Abgeordnete Kordula Schulz-Asche. Zugleich befürchtet sie, dass mit dem Gesetz die Ethikkommissionen „entmachtet“ werden. Künftig könne eine Bundesoberbehörde vom Votum der Ethikkommissionen, die jede klinische Studie prüfen müssen, abweichen.

Birgit Wöllert von der Linksfraktion gab zu bedenken, dass das öffentliche Interesse an Forschung immer gegen die Risiken des Einzelnen abgewogen werden müsse. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Maria Michalk (CDU), erklärte, es sei „sinnvoll, dass unter strengen Voraussetzungen künftig Ausnahmen möglich sind“.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe warnte vor einem „Dammbruch“ in der Demenzforschung. Nach der 2004 beschlossenen gemeinnützigen Forschung an Kindern sei dies nun der nächste Schritt, und es würden sicher weitere folgen, sagte der frühere Behindertenbeauftragte der Bundesregierung der Zeitung „Das Parlament“ laut einer Vorabmeldung vom Freitag.

Die Gesetzesänderung war heftig umstritten, weshalb die Vorlage seit dem Frühsommer mehrfach von der Tagesordnung genommen worden war. Auch Kirchen, Behindertenverbände und die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft lehnten eine Ausweitung der Arzneitests ab.

Bislang war die Studienteilnahme von Patienten, die aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr selbst einwilligen können, nur dann erlaubt, wenn damit ein möglicher Nutzen für sie selbst verbunden war. Das kann eine neuartige Therapie sein oder eine besonders intensive medizinische Behandlung während der Studie.

Neben den umstrittenen Arneimitteltests stellt das Gesetz unter anderem auch klar, dass verschreibungspflichtige Medikamente grundsätzlich nur nach einem direkten Arzt-Patienten-Kontakt abgegeben werden dürfen. Dadurch sollen vor allem Fehldiagnosen verhindert werden. Hintergrund sind die Weiterentwicklungen unter anderem in der Telemedizin und die zunehmend moderne Kommunikation im Gesundheitswesen. (afp)



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