Debatte um Selbstbestimmungsgesetz: Potenzial zur Diskriminierung?

Eigentlich soll das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz Trans-Personen anderen gleichstellen. Aber schon im Vorfeld zeigt das geplante Gesetz Lücken. Wäre der Ergänzungsausweis, dem das Bundesinnenministerium im Jahr 2016 zugestimmt hat, vielleicht ein geeignetes Instrument?
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Er, sie oder es? Ein Ersatzausweis, der beim dgti-Verein beantragt werden kann, könnte Klarheit über die richtige Anrede schaffen. (Symbolbild)Foto: Stockfoto
Von 14. Januar 2023

Das von der Ampel-Koalition geplante „Selbstbestimmungsgesetz“ soll noch vor der Sommerpause 2023 im Bundestag beschlossen werden. Danach sollen Menschen künftig ihren Geschlechtseintrag im Pass durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern können.

Wie Bundesjustizminister Marco Buschmann in einem Interview mit der „Zeit“ erklärte, soll der Gesetzentwurf keine medizinischen Fragen klären. „Hier haben alle medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland den gleichen Standpunkt, den auch die Bundesregierung teilt: Solche Behandlungen sollen in Deutschland nicht an Minderjährigen vorgenommen werden. Daran wollen wir auch nichts ändern.“ Es solle lediglich möglich sein, dass eine Trans-Person ihren Geschlechtseintrag bei Behörden ändern könne. Das hätte beispielsweise Auswirkungen auf die Anrede in behördlichen Schreiben.

Kritiker sehen vor allem den Aspekt mit Sorge, dass Minderjährige ab dem 14. Lebensjahr ihren Geschlechtseintrag ändern können – notfalls auch ohne Zustimmung ihrer Eltern. Wie Buschmann äußerte, habe er durchgesetzt, dass bei Minderjährigen die Eltern „eine starke Rolle im Verfahren“ ausüben.

„Wenn die Eltern der festen Überzeugung sind, dass es sich um einen vorübergehenden Wunsch handelt, können sie die Veränderung des Geschlechtseintrags ja auch verweigern“, so der Minister. Sollte es zu einem Konflikt zwischen Eltern und Kindern kommen, gäbe es den Weg über ein Familiengericht. „Wir machen die Dinge leichter – aber nicht leichtfertiger“, meint Buschmann.

Er sieht auch nicht den Antrag auf Änderung des Geschlechtseintrags als entscheidenden Schritt, sondern das soziale Coming-out als Trans-Person. Außerdem geht er nicht davon aus, dass jeder Registeränderung zwangsläufig medizinische Eingriffe zur Geschlechtsangleichung folgen.

Selbstbestimmungsgesetz mit Lücken

Dass sich der Gesetzentwurf, der bereits längst verabschiedet sein sollte, so lange hinzieht, begründete Buschmann mit dem Umstand, dass es Sorgen um die Rechtsfolgen des Geschlechtswechsels gebe. Obwohl es in erster Linie um das Verhältnis zwischen Bürger und Staat und die Eintragung im staatlichen Register gehe, müssten diese bedacht werden.

So solle die Betreiberin einer Frauensauna auch künftig sagen können: „Ich will hier dem Schutz der Intimsphäre meiner Kundinnen Rechnung tragen und knüpfe daher an die äußere Erscheinung eines Menschen an.“ Das müsse „sauber“ geregelt werden. Ansonsten könnte im Zuge des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eine Klage drohen, wenn eine Trans-Person die Frauensauna besuchen will, aber die vorgegebenen Rahmenbedingungen nicht erfüllt.

Demnach werden Trans-Frauen durch das geplante Gesetz nicht den Frauen gleichgestellt. Für die queere Community ist das ein Unding.

„Wenn man, wie versprochen, Trans-Personen die ihnen gebührende hundertprozentige Freiheit geben möchte, darf diese nicht dadurch eingeschränkt werden, transfeindlichen Personen aus welchen Gründen auch immer zu erlauben, Trans-Frauen auszuschließen“, zitiert die Plattform „Queer.de“ den Vorsitzenden der SPDqueer Oberfranken Sebastian Kropp.  „Wer Transfeinden erlaubt, Trans-Personen auszuschließen, verbessert gar nichts.“

Gleichbehandlungsgrundsatz im Gesetz ausgehebelt

Für die Linke.queer, ein Zusammenschluss im Umfeld und innerhalb der Linken, ist Buschmanns Äußerung ein „Schlag ins Gesicht all derjenigen, die auf die Ankündigung der Bundesregierung zu einer zeitnahen Regelung des Personenstandsrechts vertraut haben.“ Noch schlimmer als die Verzögerung sei der Versuch des FDP-Politikers, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auszuhebeln.

Im Rahmen des Selbstbestimmungsgesetzes dürfe es keine Regelungen geben, „die Diskriminierung von Trans-Personen schützt oder sogar explizit erlaubt“, so die Linke.queer. Derartige Überlegungen seitens der Bundesregierung seien „vollkommen absurd“ und würden die gesellschaftliche Realität ignorieren.

Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen), Bundestagsabgeordneter und erster Queer-Beauftragter im Amt, äußerte anlässlich der Debatte auf Twitter: „Die Bundesregierung wird sich daran messen lassen müssen, dass ein Selbstbestimmungsgesetz Diskriminierung *abbaut* und nicht neue *aufbaut*. Das ist doch wohl hoffentlich klar. Darauf werde ich als Queer-Beauftragter achten.“

Täglich erhalte er sehr viele Nachfragen zum aktuellen Stand des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes. Der Leidensdruck sei hoch. „Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht dem Geschlecht bei Geburt entspricht, sollen ihren Geschlechtseintrag künftig einfacher korrigieren können, ohne psychiatrische Zwangsgutachten, die derzeit noch verlangt werden.“ Wie Lehmann mitteilte, würden transgeschlechtliche Menschen, die ihre Registereinträge noch nicht haben ändern lassen können, täglich diskriminiert, sei es in Ämtern, Krankenkassen oder bei einer Straßenverkehrskontrolle. „Überall findet quasi ein ungewolltes Outing statt“, erklärte der Politiker gegenüber der „Tagesschau“.

Ersatzausweis soll Diskriminierung vorbeugen

Was in der öffentlichen Debatte wenig diskutiert wird, ist ein Ersatzausweis, den sich Trans-Personen für 19,90 Euro (Stand August 2022) als Ergänzung zu den amtlichen Ausweispapieren beschaffen können. Im Rahmen einer Anfrage der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) teilte das Bundesministerium des Innern am 22. Dezember 2016 ausdrücklich mit, dass es keinerlei Bedenken gegen die Ausstellung und Verwendung eines solchen Ergänzungsausweises habe.

Der dgti-Ausweis soll gerade den von Lehmann geschilderten, für Trans-Personen belastenden Alltagssituationen entgegenwirken. Er ist ein „standardisiertes Ausweispapier, das alle selbstgewählten personenbezogenen Daten (Vorname, Pronomen und Geschlecht) dokumentiert und ein aktuelles Passfoto zeigt“, heißt es auf der Website dgti.org.

Der Nachname muss immer mit dem Namen auf dem amtlichen Dokument übereinstimmen. Der Ergänzungsausweis ist auch nur in Kombination mit dem amtlichen Personaldokument gültig und enthält deshalb auch beispielsweise die Nummer des Personalausweises, an dessen Geltungsdauer der Ergänzungsausweis gekoppelt ist. Läuft der Personalausweis ab, muss auch ein neuer Ergänzungsausweis beantragt werden.

„Bei sämtlichen Innenministerien, bei der Polizei, vielen Behörden, Banken, Universitäten, Versicherungen und anderen Stellen ist er bekannt und akzeptiert.“ Dort, wo dies noch nicht der Fall sei, helfe ein QR-Code auf dem Ausweis weiter, heißt es vom Verein dgti.

Berichte wie im Polizeimagazin „Streife“  (Seite 12) und bei VelsPol, dem Mitarbeiternetzwerk für LSBTI in Polizei, Justiz und Zoll, sorgen laut dgti-Verein für eine sehr hohe Sichtbarkeit bei „offiziellen Stellen“.

EU-Parlament fordert Ausweise seit 1989

Wichtigste Grundlage dieses Ausweises ist die Umsetzung der Forderung des EU-Parlaments vom 5. Oktober 1989, mitgeteilt in der 11. Wahlperiode des Deutschen Bundestages unter Punkt 9. Darin hatte die EU-Kommission den Rat und die Mitgliedsstaaten aufgefordert, „Ausweise zu erstellen, die die Transsexuellen auf Wunsch als solchen ausweisen und EG-weit anerkannt sind“.

Da keine deutsche Bundesregierung diese Forderung aufgriff, entschloss sich der dgti-Verein schließlich zum Handeln.

Auf die Frage der Epoch Times, wie viele Trans-Personen bislang einen solchen Ausweis erhalten haben, hat der Verein dgti nicht geantwortet.

Genitaloperation kein Kriterium

In einem Offenen Brief an Justizminister Buschmann widerspricht der Verein der Aussage, dass den Betreibern einer Frauensauna vorbehalten bleiben müsse, dass Trans-Frauen ausgeschlossen werden. „Bereits seit 1981 haben trans* Frauen die legale Berechtigung zum Zutritt zu Frauenräumen, und seit 2011 gibt es in Deutschland zahlreiche trans* Frauen mit dem Personenstand weiblich, die aus unterschiedlichen Gründen keine Genitaloperation durchgeführt haben“, heißt es vom dgti-Verein.

Eine gesetzliche Ausnahmeregelung, um Trans-Frauen aufgrund des ersten Anscheins aus einer Frauensauna oder Trans-Mädchen beispielsweise aus der Frauenabteilung einer therapeutischen Einrichtung aussperren zu können, öffne der Diskriminierung Tür und Tor. Im Zweifelsfall führe dies dazu, „dass alle Frauen Opfer von stereotypen Bildern ‚geschlechtskonformer‘ Äußerlichkeiten werden können“, kritisiert der Verein weiter.

Trans-Frau auf Damentoilette angegriffen

Was das konkret bedeutet, zeigt ein Fall aus den USA. Wie CNN am 1. Februar 2020 berichtete, wurde Lauren Jackson, einer Trans-Frau, der Besuch einer Damentoilette im August zum Verhängnis. Ein Mann, dessen Frau sich „von einem Mann auf der Damentoilette belästigt“ fühlte, schrie Jackson an: „Du hältst dich für eine Art Frau“. Dann schlug er laut Polizei zehnmal auf Jackson ein.

Die Trans-Frau, die nach eigenen Aussagen keine weitere Person auf der Toilette gesehen und am selben Tag die Toilette bereits problemlos benutzt hatte, wurde mit blutendem Gesicht und einem mehrfach gebrochenen Kiefer aufgefunden. Eine Operation war notwendig. Der Täter wurde wegen Körperverletzung und eines Hassverbrechens für schuldig gesprochen.

„Muss man jemandem die Rechte nehmen, um die Rechte eines anderen zu schützen? Ist das eine wichtiger als das andere? Ich weiß es nicht“, zitiert CNN Jackson im Nachgang. „Ich fühle mich nicht sicher, wenn ich die Männertoilette benutze. Und andere Leute fühlen sich nicht sicher, wenn ich auf der Damentoilette bin.“

Wer Registereintrag ändert, ist ein Jahr gebunden

Wer in Deutschland mit dem Gedanken spielt, nach dem geplanten Gesetz seine Geschlechtsidentität im Register zu ändern, ist mindestens für ein Jahr an diese Entscheidung gebunden – und zwar mit allen Konsequenzen.

„Der Name wird geändert, der Personalausweis wird geändert. Das ist ein drastischer Schritt, der auch Konsequenzen im Umfeld hat. Niemand tut dies leichtfertig“, erklärte Familienministerin Lisa Paus.



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