Debatte um Energieeffizienz: „Grünflationsgefahr und Industrieexodus“?
Der Energieverbrauch in Deutschland soll gesenkt werden. Um das zu erreichen, hat der Bundestag das von Robert Habeck (Grüne) auf den Weg gebrachte Energieeffizienzgesetz am Donnerstag verabschiedet. Darin sind Einsparungen für alle Sektoren, von der Industrie bis zu Gebäuden, vorgesehen.
Insgesamt soll der Endenergieverbrauch in Deutschland bis 2030 um 26,5 Prozent im Vergleich zu 2008 sinken. Bis 2040 sollen dann 39 Prozent weniger Energie verbraucht werden, 2045 sogar 45 Prozent. Öffentliche Stellen mit einem Energieverbrauch von einer Gigawattstunde oder mehr müssen laut Gesetzestext bis 2045 jährlich zwei Prozent ihrer Energie einsparen.
Interessenverbände von Befürwortern und Gegnern des aktuellen Referentenentwurfs hatten am 12. Juni die Gelegenheit genutzt, ihre Kritik bei einer Anhörung des „Ausschusses für Klimaschutz und Energie“ vorzubringen.
„Unnötige Bürokratie“
Vertreter unter anderem des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche (Bitkom) zeigten sich wenig begeistert von den zusätzlichen Auflagen. Sie argumentierten, dass Habecks Einsparpläne „an verschiedenen Stellen teils sehr deutlich über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus“ gingen.
Auch die strengeren Vorschriften zur Abwärmenutzung stießen wegen der bereits geleisteten Bemühungen auf wenig Gegenliebe. Zur Sprache brachten die Arbeitgeber auch die „unnötige Bürokratie“, die mit einer Pflicht zur Einführung von Energie- oder Umweltmanagementsystemen und den dazugehörigen „Veröffentlichungspflichten“ für Unternehmen mit einem Jahresenergieverbrauch von mehr als 15 Gigawattstunden einhergehen werde (Video der Anhörung auf „Bundestag.de“).
Eberhard von Rottenburg, Energieexperte beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), gab zu bedenken, dass noch weiter gehende Energieeinsparpflichten angesichts der schon jetzt „hocheffizienten“ Industrie „bei sehr vielen Unternehmen […] auf blankes Unverständnis“ stießen. Denn schon die aktuellen Energiepreise zwängen die Unternehmen „ganz ohne staatliches Handeln“ zu weiteren Effizienzanstrengungen. (Stellungnahme: PDF).
Der Kraftwerks- und Energieumwandlungsingenieur Frank Hennig befürchtet eine Abwanderung von Unternehmen der Datenverarbeitungsbranche aus Deutschland durch noch schärfere Auflagen für Rechenzentren. Das sei nicht nur in Anbetracht der Digitalisierungspläne „kontraproduktiv“, sondern auch schlecht für die Datensicherheit (Stellungnahme: PDF).
Umweltverbände sehen Habecks Pläne positiv
Die Deutsche Unternehmensinitiative für Energieeffizienz, das Umweltinstitut München, das Öko-Institut, das Umweltbundesamt und ein Effizienzexperte aus dem Hochschulbetrieb begrüßten die Pläne mehrheitlich. Für manche gingen sie sogar nicht weit genug.
Leonard Burtscher vom „Umweltinstitut München“ etwa meinte, dass „freundliche Einladungen und freiwillige Selbstverpflichtungen“ bislang nicht zu „den gewünschten Ergebnissen“ geführt hätten. Deshalb plädierte er für „verbindliche Maßnahmen“, die seiner Meinung nach noch in den Gesetzentwurf Einzug halten sollten (Stellungnahme: PDF).
Auch die „Deutsche Unternehmensinitiative für Energieeffizienz“ machte sich für die neue Gesetzesregelung stark: Nur eine höhere Energieeffizienz führe zu wettbewerbsfähigen Energiekosten und stärke damit die Wirtschaft und den Standort, meinte die Dekarbonisierungsexpertin Tatjana Ruhl (Stellungnahme: PDF).
Marius Madsen, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule Niederrhein und Co-Autor der „Kurzstudie Energieeffizienzmaßnahmen in der Industrie“ (PDF), sieht allein bei der hiesigen Industrie ein Einsparpotenzial von 44 Prozent, gemessen am Endenergiebedarf des Jahres 2021. Würden die Unternehmen die „standardmäßig verfügbaren Energieeffizienz-Technologien“ zu 100 Prozent nutzen, könne dies eine „hohe wirtschaftliche Zusatzrendite“ bedeuten. Derzeit aber würde das Potenzial nur zu rund 40 Prozent genutzt (Stellungnahme: PDF).
Kommunalvertreterin erwartet Finanzierungszusagen vom Bund
Marianna Roscher, eine Vertreterin des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, verwies auf Auflagen bei denkmalgeschützten Gebäuden, die Probleme bei der Effizienzsteigerung bereiten könnten. Außerdem sollten Bund und Länder zunächst die Finanzierung der Investitionen sicherstellen, bevor der Bund den Kommunen dazu neue Pflichten auferlegen wolle (Stellungnahme: PDF). Positiv wertete sie die Streichung ursprünglich angedachter „explizit kommunaler Verpflichtungen“ im Referentenentwurf.
Gregor Hillebrand-Kandzia von der „Sächsischen Energieagentur SAENA“ entgegnete, dass bei der Wärme- und Stromversorgung in kommunalen Gebäuden 15 Prozent eingespart werden könnten, ohne „größere Investitionen“ tätigen zu müssen. Es genügten dafür „rein organisatorische Maßnahmen“ (Stellungnahme: PDF).
„Bayerische Wirtschaft vor Grünflation und Deindustrialisierung schützen!“
Abgeordnete der AfD im bayerischen Landtag hatten bereits am 9. Juni 2023 einen Antrag eingereicht, auf dessen Grundlage die „Bayerische Wirtschaft vor Grünflation und Deindustrialisierung“ geschützt werden solle. Dafür soll die Landesregierung dem zuständigen Parlamentsausschuss zunächst Fragen zu Habecks EnEfG-Entwurf, zum Status quo und zu den Prognosen und Konsequenzen eines eingeschränkten Energieverbrauchs beantworten (Drucksache 18/29290, PDF).
Die AfD-Landtagsfraktion hält den EnEfG-Vorstoß für ein „innovationsfeindliches planwirtschaftliches Bürokratiemonster“, dass nach Einschätzung von Experten des „ifo Instituts“ und der DIHK „zu einer historisch beispiellosen Wirtschaftsschrumpfung führen“ werde (Drucksache 18/29291, PDF).
Habecks EnEfG-Gesetzentwurf
Nach Angaben der Bundesregierung würde der „Gesetzentwurf der Bundesregierung zur ‚Steigerung der Energieeffizienz und zur Änderung des Energiedienstleistungsgesetzes‘ “(EnEfG, Bundestagsdrucksache 20/6872, PDF) vom 19. April 2023 „Behörden, Unternehmen und Rechenzentren“ verpflichten, „ entsprechend der EU-Vorgaben ab 2024 Energieeinsparmaßnahmen zu ergreifen, um mehr Energie einzusparen“. Das soll nach einer Pressemeldung des Bundeswirtschaftsministeriums vor allem mit folgenden Pflichten erreicht werden:
Energieeffizienzziele
In ganz Deutschland sollen bis 2030 mindestens 550 Terrawattstunden (TWh) an Endenergieverbrauch eingespart werden, gemessen am Jahreswert 2008. Der lag laut „Statista“ bei 2.544 TWh. Damit würde ab 2024 rund ein Fünftel gegenüber dem Jahresendverbrauch 2008 einzusparen sein.
Bund und Länder
Zwischen 2024 und 2030 müssen Bund und Länder „jährlich Endenergie-Einsparungen in Höhe von 45 TWh (Bund) bzw. 5 TWh (Länder) erbringen“. Dem Bund werden zudem Informationspflichten gegenüber der EU-Kommission auferlegt.
Vorbildfunktion der öffentlichen Hand
Mithilfe von „Energie- oder Umweltmanagementsystemen“ sollen Bund und Länder jährlich einen zweiprozentigen Anteil an der Gesamtendenergieeinsparung erbringen. Die Entscheidung über das Wie dürfen die öffentlichen Einrichtungen selbst fällen.
Pflichten für Unternehmen
Unternehmen mit einem Jahresenergieverbrauch von mehr als 15 Gigawattstunden (GWh) müssen ebenfalls „Energie- oder Umweltmanagementsysteme“ einführen und die Pläne und Effekte ihrer „wirtschaftlichen“ Energieeffizienzmaßnahmen dokumentieren und veröffentlichen. Falls Unternehmen Abwärme im Produktionsprozess nicht vermeiden können, müssen sie diese als Energiequelle nutzen.
Pflichten für Rechenzentren
Betreiber von Rechenzentren sollen „verstärkt Strom aus erneuerbaren Energien nutzen“. Neue Rechenzentren müssen bestimmte Energieeffizienzstandards einhalten, die Luftkühlung mit minimalen Temperaturen erreichen und die Abwärme als Energiespender nutzen.
Energieeffizienz nach Vorstellungen der EU
Im März 2023 hatten sich das Parlament und der Rat der EU informell auf verschiedene Eckpunkte einer neuen Effizienzrichtlinie geeinigt. Als Ausgangs- beziehungsweise Vergleichspunkt dienten „Energieverbrauchsprognosen“ aus dem Jahr 2020, die man damals für das Jahr 2030 angestellt hatte.
Mit der Novelle vom März 2023 sollen nun EU-weit bis 2030 noch einmal 11,7 Prozent weniger Energie verbraucht werden. Nach Berechnungen der EU bedeute dies „eine verpflichtende Obergrenze von 763 Mio. Tonnen Rohöläquivalent für den Endenergieverbrauch und nationale Richtziele von 993 Mio. Tonnen Rohöläquivalent für den Primärverbrauch“.
Anstatt wie derzeit „nur“ 0,8 Prozent Einsparpflicht pro Jahr würden die Mitgliedstaaten angewiesen, durchschnittlich 1,49 Prozent weniger zu verbrauchen. Dieser Wert solle „schrittweise“ auf 1,9 Prozent ansteigen – und zwar bis zum Jahresende 2030. Die Pläne zur Energieeinsparungspflicht sind Teil des Pakets „Fit für 55“, auf dessen Grundlage das „EU‑Klimaziel“ für 2030 erreicht werden soll.
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