Debatte um Bürgergeld: Union und FDP wollen Maßnahmen verschärfen – Kritik von den Grünen

In Zeiten finanzieller Engpässe und Sparzwänge wird das Bürgergeld zum zentralen Streitpunkt in der politischen Arena. CDU, CSU und FDP fordern radikale Änderungen, während SPD und Grüne deutliche Kritik äußern. Die Diskussionen betreffen nicht nur deutsche Bürgergeldempfänger, sondern auch Asylsuchende und Flüchtlinge.
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CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fordert Kürzungen beim Bürgergeld für „Totalverweigerer“. Symbolbild.Foto: Stadtratte/iStock
Von 1. August 2024

In Zeiten knapper Kassen und Sparzwänge ist das Bürgergeld gleich für mehrere Parteien zum Feindbild geworden. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann will sogenannten Totalverweigerern den Kampf ansagen und behauptet, derer gebe es in Deutschland eine sechsstellige Anzahl. Ihnen will er vollständig die Mittel zur Grundsicherung streichen – ungeachtet der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht beim Existenzminimum keinen unbegrenzten Spielraum zulässt.

Union will Sonderstatus für Geflüchtete unterhalb von Bürgergeld-Niveau

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und CDU-Innenpolitiker Alexander Throm nehmen wiederum Anstoß an dem Umstand, dass der Anteil der Ausländer an den Bürgergeldbeziehern stetig anwachse. Dobrindt will deshalb ein „neues soziales Leistungssystem“ für Asylsuchende schaffen, das „unterhalb des Bürgergeldes anzusiedeln“ sei. FDP-Politiker Kober hat einen solchen Vorstoß jüngst unterstützt.

Throm fordert einen „verpflichtenden gemeinnützigen Dienst“ für Geflüchtete, der darin bestehen könne, dass an Vormittagen Sprache gelernt und am Nachmittag der Park gepflegt werde. Voraussetzung dafür wäre, dass es zum einen kürzere Wartezeiten für Betroffene gebe – derzeit warten sowohl Asylsuchende als auch Ukraine-Flüchtlinge, aber auch andere Zuwanderer häufig über mehrere Monate hinweg auf ihren Sprach- oder Integrationskurs.

Zum anderen müsste es für die gemeinnützigen Leistungen zum Minimalentgelt eine Nachfrage geben. Das Problem ist, dass viele Kommunen, aber auch sonstige Entscheidungsträger solche Leistungen gar nicht in Anspruch nehmen wollen. Für jeden Asylsuchenden, der für ein Entgelt im Ein-Euro-Bereich Arbeiten leistet, um sich das Recht auf Grundsicherung zu erhalten, fällt ein regulärer Auftrag für ein ortsansässiges Unternehmen weg. Viele Wirtschaftspolitiker vor Ort wollen jedoch genau das verhindern.

SPD: Asylsuchende jetzt schon in System des Asylbewerberleistungsgesetzes gepresst

Aus der SPD kommt deutliche Kritik an den Vorstößen. Sozialpolitiker Martin Rosemann weist darauf hin, dass Asylsuchende schon jetzt einem „Leistungssystem unterhalb des Bürgergeldes“ unterliegen. Dieses finde sich im Asylbewerberleistungsgesetz, das für Asylsuchende während ihres laufenden Verfahrens und insbesondere ihrer Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften gilt.

Leistungen nach dieser Anspruchsgrundlage sind deutlich niedriger als Bürgergeld – und erst im Herbst hatten Bund und Länder im Grunde einen Konsens dahin gehend erzielt, dass dieses System auf bis zu drei Jahre erweitert werden solle. Bis dato gilt es für 18 Monate – sofern es bis dahin nicht bereits eine Zuerkennung des Asylrechts gibt.

Rosemann nannte die Vorschläge Dobrindts und Kobers gegenüber der „Rheinischen Post“ am Donnerstag, 1.8., „Sommerpausen-Füller und Beiträge zur Volksverdummung“. Menschen auch nach Anerkennung ihres Asylantrags im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes zu belassen, sei „ebenso verfassungswidrig wie unsinnig“. Wer meine, Geflüchtete sollten für die Leistungen, die sie erhielten, mehr arbeiten, solle ihnen nicht den Weg in die Arbeitsvermittlung durch die Jobcenter versperren.

IAB: Einfluss von Bürgergeld auf Arbeitsaufnahme wird überschätzt

Tatsächlich zeigen Zahlen der Arbeitsagenturen, dass der Anteil der ausländischen Regelleistungsbezieher von Bürgergeld – trotz der „Wartezeit“ durch das Asylbewerberleistungsgesetz – deutlich gestiegen ist. Im Jahr 2010 lag der Anteil der ausländischen Bezieher der Vorgängerleistung „Hartz IV“ bei 19,6 Prozent. Im Juni 2024 waren von 5.548.518 Bürgergeld-Regelleistungsbeziehern 2.656.504 oder 47,87 Prozent nichtdeutsche Staatsangehörige.

Allerdings hat das auch mit der Anzahl und dem rechtlichen Status der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu tun. Diese sind nicht verpflichtet, reguläre Asylverfahren zu durchlaufen, sondern berechtigt, von Beginn an den allgemeinen Grundsicherungsprozess zu durchlaufen. Sie stellen von allen Bürgergeldbeziehenden 13,01 und unter den ausländischen 27,19 Prozent.

Eine jüngst veröffentlichte Studie des IAB ließ jedoch erkennen, dass die Höhe des Bürgergeldes in der genannten Gruppe nur eine untergeordnete Rolle spielt, wenn es um die Frage der Arbeitsaufnahme geht. Bedeutsamer seien eine Nachfrage nach Tätigkeiten, die kein hohes Sprach- und Qualifikationsniveau erforderten und deshalb schnell besetzt werden könnten, oder ein ausgebautes System zur Kinderbetreuung. Eine schnellere Arbeitsaufnahme vonseiten ukrainischer Flüchtlinge sei auch dort zu beobachten, wo bereits vor dem Krieg Ukrainer beschäftigt gewesen wären.

Zahlen der Arbeitsagenturen stützen Linnemanns Vorstoß nur bedingt

Zweifel gibt es jedoch auch am Linnemann-Vorstoß, durch besonders radikale Kürzungen sogenannte Totalverweigerer zu mobilisieren. Die Anzahl der zuletzt erfolgten Leistungskürzungen wegen Nichtannahme von Arbeit oder Nichtinanspruchnahme von Weiterbildungsoptionen lag im März 2024 bundesweit lediglich bei rund 1.700 Fällen. Im Vorjahr waren etwa 14.000 Menschen davon betroffen. Von der „sechsstelligen Zahl“, die Linnemann ansprach, ist dies weit entfernt.

Grundsätzlich gelten 1,7 Millionen Menschen in der Grundsicherung gar nicht als erwerbsfähig. Von diesen seien 90 Prozent wegen Krankheit, Behinderung, Alters oder geringer Qualifikation „besonders förderungsbedürftig“. Linnemann scheint sich auf 204.000 Bürgergeld-Bezieher ohne „vermittlungshemmendes Merkmal“ zu beziehen, so ein Arbeitsagentur-Sprecher zum „Focus“. Es sei jedoch nicht gesagt, dass die Betroffenen überhaupt ein Arbeitsangebot erhalten hätten. Es könnte zudem auch andere Gründe für eine Nichterwerbstätigkeit geben.

Die Sozialwissenschaftlerin Jennifer Eckhardt von der TU Dortmund legte im Jahr 2023 eine Dissertation vor. Dieser zufolge würden sogar bis zu 40 Prozent jener Menschen, die Anspruch auf Grundsicherung hätten, diese gar nicht erst beantragen. In vielen Fällen sei dies auch Ausdruck eines Protests gegen Behördenversagen oder von Angst vor dem Zugriff des Staates auf Vermögenswerte.

Audretsch will Anreize für Arbeit und faire Bedingungen

Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch will sich „auf die 97 Prozent der Menschen im Bürgergeld, die arbeiten wollen“, konzentrieren. Dies äußerte der Politiker gegenüber der „Rheinischen Post“. Die Partei wolle die Position sogenannter Aufstocker verbessern. Diese sollen mehr von ihrem Verdienst behalten können, und für sie sollen die Anreize verbessert werden. Audretsch dazu:

„Wer mehr arbeitet, soll mehr behalten können. Das macht es zum Beispiel für Familien attraktiver, das Kind in die Kita zu geben, um mehr zu arbeiten. Das ist nur fair.“

Den Vorstoß von Linnemann hält Audretsch für unseriös. Man könne „Menschen, Familien, Kindern in Deutschland nicht einfach das Existenzminimum streichen und sie in den Hunger treiben“. Diesbezüglich sei das Bundesverfassungsgericht völlig eindeutig.

Im Jahr 2023 gab der Bund 43,83 Milliarden Euro aus, um die Grundsicherung für Arbeitssuchende zu finanzieren. Der Verteidigungshaushalt betrug im Vergleich dazu rund 51,8 Milliarden Euro – plus das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.



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