DDR-Kindergefängnis: Staatsanwaltschaft untersucht Todesfälle im ehemaligen DDR-Durchgangsheim Bad Freienwalde
Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt (Oder) hat Ermittlungen zu mehreren ungeklärten Todesfällen in dem ehemaligen DDR-Durchgangsheim Bad Freienwalde aufgenommen. Das bestätigte im September Brandenburgs Justizminister Stefan Ludwig (Linksfraktion) in seiner Antwort auf eine Anfrage der aufarbeitungspolitischen Sprecherin der Grünen im Landtag, Heide Schinowsky. Manche Fälle lägen zum Teil bereits 50 Jahre zurück, daher seien die Aufklärungschancen allerdings erschwert, fügte sie hinzu. „Rbb24“ berichtet.
Unter ehemaligen Insassen gilt das Heim als ein inoffizielles Kindergefängnis der DDR. Der Aufarbeitungsverein „Kindergefängnis Bad Freienwalde“ der dementsprechend seinen Namen trägt, bezeichnete die Aufnahme von Ermittlungen als „dringend notwendigen Schritt“. Dadurch könne sich das Kreisarchiv Märkisch-Oderland, das die Einsicht in Akten von Betroffenen bislang abgelehnt habe, der Aufklärung nicht länger versperren, hieß es. Familien der Opfer wüssten bis heute nichts über die Todesumstände ihrer Angehörigen.
Der Aufarbeitungsverein schätzt, dass von 1968 bis 1987 (dem Zeitpunkt der Schließung des Gebäudes) rund 1.000 Kinder in dem jetzt von der Polizei genutzten Gebäude eingesperrt waren, so rbb24.
Offiziell hieß es in der DDR, man bringe hier Jugendhilfe-Kinder und -Jugendliche unter, für die ein fester Heimplatz gesucht werde. Dementsprechend auch die offizielle Bezeichnung „Durchgangsheim“. Offiziell hieß es auch, sie würden maximal 18 Tage lang dort bleiben. Tatsächlich aber wurde daraus oft mehr als ein halbes Jahr, die die Kinder und Jugendlichen unter gefängnisartigen Bedingungen und unter Zwangsarbeit dort festgehalten wurden.
15-Jähriger nach Einzelhaft verstorben
Im März hatte der Verein Brandenburgs Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) ein Gesuch zur Klärung von mindestens drei Todesfällen in dem „Übergangsheim“ zu DDR-Zeiten übergeben. Bei einem der Fälle ging es um einen 15-jährigen Jungen (Egon Hönicke), der dort im Jahr 1971 in Einzelhaft genommen wurde und nach zwei Tagen auf ungeklärte Weise ums Leben kam.
Die Begründung für seine Verwahrung soll damals gelautet haben, er habe mit einem Freund „irgendwelchen Blödsinn angestellt“. Er kam demnach in Einzelhaft. Zwei Tage später war er tot. Die Eltern hätten nichts zu den Todesumständen erfahren. Die Polizei soll die Beerdigungskosten und die Kosten des Grabsteins übernommen haben, berichtet rbb24.
Auch die anderen Familien, die Todesopfer zu beklagen hätten, wissen bis heute nicht, wie ihre Kinder ums Leben gekommen sind.
Erst im März diesen Jahres hieß es in einem Schreiben seitens des Landkreisamts Märkisch-Oderland gegenüber dem Bruder von Egon Hönicke:
„In den archivierten Unterlagen des Referats der Jugendhilfe ist eine Akte des Jugendhilfeausschusses des Rat des Kreises Bad Freienwalde über Ihren verstorbenen Bruder vorhanden (2.13. 7, 12/70). In dieser wurde die Einweisung In einen Jugendwerkhof angekündigt. Eine von Ihnen gewünschte Einsicht in die Akte wäre allerdings erst Im Jahr 2031 möglich, da hier weitere Personen erwähnt sind, deren personenschutzrechtlichen Belange erst 60 Jahre nach Schließung der Akte aufgehoben werden können (Brandenburgisches Archivgesetz).“
„Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass die Täter bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen wurden“, sagte der Vereinsvorsitzende Roland Herrmann. Kein Tod dürfe ungesühnt bleiben, fügte er hinzu. Herrmann, der einst selbst in dem „Übergangsheim“ festgehalten wurde, kämpft seit Jahren um die Rehabilitierung der Insassen, denn nur dann bestünde Anspruch auf eine Opferentschädigung.
Herrmann berichtet von den Zuständen damals im „Heim“:
Zu viert in einer Gefängniszelle, keine Waschgelegenheit, als Toilette diente ein Eimer. Unter uns waren sogar dreijährige Kinder.“
Der heute 53-jährige Fürstenwalder wurde nach Konflikten mit seinem Stiefvater, einem SED-Funktionär und zwei Wochen Schulschwänzerei nach Bad Freienwalde gebracht. Gewalt durch die Aufseher war an der Tagesordnung“, erinnert sich Roland Herrmann. Er musste ab Ende 1979 mit 14 Jahren sechs Monate in dem Kinderheim verbringen. „Das war kein Heim, sondern ein Gefängnis“, sagte Herrmann der „Märkischen Allgemeinen“.
Petra Morawe, Mitarbeiterin der Brandenburger Aufarbeitungsbeauftragten Maria Nooke, berichtet, dass die Kinder und Jugendlichen in einer Baracke auf dem Hof durch Zwangsarbeit für Betriebe jährlich 20 .000 Mark für das Heim erwirtschaften mussten. Die Bedingungen in Bad Freienwalde seien mit denen im berüchtigten DDR-Jugendwerkhof im sächsischen Torgau vergleichbar, erklärt Nooke weiter. Bad Freienwalde sei vom DDR-Volksbildungsministerium als Fürsorgeeinrichtung geführt worden, berichtet die Märkische Allgemeine.
Wie wichtig eine Aufarbeitung der Geschichte auch heute noch ist, zeigt, dass für viele Freienwalder das „Durchgangsheim“ immer noch ein Tabu-Thema ist. „Die meisten Bad Freienwalder lehnen eine Beschäftigung mit diesem Teil der Stadtgeschichte ab“, sagt die SPD-Landtagabgeordnete Jutta Lieske. Bislang habe sich auch kein Vertreter der Stadt bei Veranstaltungen des Vereins blicken lassen. Herrmann selbst werde auch jetzt noch vorgeworfen, die Unwahrheit zu erzählen. Erst zweimal hatte er Gelegenheit, vor Schulklassen über das Thema zu sprechen. „Aber die Auseinandersetzung ist dringend nötig“, so Lieske gegenüber der Märkischen Allgemeine.
Landrat: „Selbst Lehrer wollen nicht, dass ans Kindergefängnis erinnert wird“
Landrat Gernot Schmidt (SPD) berichtet von einer massiven Ablehnung einer Gedenktafel die 2017 in Bad Freienwalde als Erinnerung am Standort des ehemaligen „Durchgangsheims“ angebracht wurde. Selbst Lehrer würden es nicht wollen, dass ans Kindergefängnis erinnert werde. „Das repressive System der DDR-Jugendhilfe wird nachträglich verteidigt. Für mich ist eine Lehre der Geschichte, dass wir auch mit denen menschlich umgehen, die aus der Norm gefallen sind“, sagt der in der DDR aufgewachsene Schmidt gegenüber der Märkischen Allgemeine.
„Kinder gehören nicht in ein Gefängnis mit Gittern vor den Fenstern und Zellentüren“, betont Landtagsvizepräsident Dieter Dombrowski (CDU), der gleichzeitig Vorsitzender der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft ist. Es gehe nicht darum, die Heimbetreuung in der DDR insgesamt zu diskreditieren, denn es gab ja auch im Westen schwere Verstöße und prügelnde Heimerzieher, so der CDU-Politiker. Aber die erschütternden Zustände in Bad Freienwalde würden aus seiner Sicht keine Rechtfertigung erlauben.
Herrmann glaubt, dass noch immer DDR-Richter im Amt seien, die die Aufarbeitung verhindern wollten. Das Justizministerium weist das zurück. Seitens des Ministeriums heißt es, dass keiner der Strafrichter, die vor der Wende an solchen Dingen beteiligt waren, in Brandenburg noch im Dienst sei.
Morawe: „Bei den Heimen ging es nicht um Fürsorge. Die Gerichte müssen das endlich erkennen“
Laut Heimexpertin Petra Morawe liegt das Problem bereits darin, wie die Vorgänge aktuell betrachtet werden. Die Einweisung von Kindern und Jugendlichen in sogenannte Spezial- und Sonderheime wie Bad Freienwalde diente eben nicht dem Kindswohl. „Es ging dabei nicht um Fürsorge. Die Gerichte müssen das endlich erkennen“, so Morawe zur Märkischen Allgemeine.
Dementsprechend macht Herrmann deutlich, dass das Durchgangsheim in Bad Freienwalde auch ein politisches Instrument war, um Kinder- und Jugendliche zu brechen.
Die Grünen-Abgeordnete Heide Schinowsky erklärt, vielen Heiminsassen seien die Zukunftschancen verbaut worden, ein Großteil leide noch immer unter den Folgen von Erniedrigung und seelischem Schmerz. (er)
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