„Dass Politiker für Impfung werben, ist ein Tabubruch“
Stell dir vor, die Menschen lebten in einer Höhle und wären an Kopf und Gliedern angebunden, sodass sie nur auf die Wand vor ihnen starren können. An dieser Wand sehen sie tagein, tagaus Schatten vorüberziehen, die sie als die Wirklichkeit wahrnehmen. Die Schatten entstehen durch ein Feuer im hinteren Bereich der Höhle, das durch eine Mauer von den Bewohnern abgetrennt ist. Hinter der Mauer bewegen sich Gestalten, die alles Mögliche durch die Gegend tragen und damit die Schatten an der Wand erzeugen.
Da diese Schatten die einzige Wirklichkeit sind, die die Menschen in der Höhle kennen, entwickeln sie aus dem, was sie sehen, eine Wissenschaft und übertreffen sich dabei in ihren Deutungen und Analysen. Will man dann einen von ihnen aus der Höhle hinausführen, damit er das wahre Wesen aller Dinge erkennen kann, wird er das zuerst einmal nicht wollen. Warum sollte er gehen? Er fühlt sich doch wohl in der Welt, die er für sich als wahr empfindet.
Wird nun einer aber gezwungen, die Höhle zu verlassen, wird dieser zuerst stark geblendet sein von dem Licht, das ihn umgibt. Dann wird er die wahre Gestalt der Wesen und Gegenstände erkennen und auch, dass es die Sonne ist, welche die Schatten wirft. Ungläubig wird er in die Höhle zurückkehren wollen, die ihm viel behaglicher erscheint, weil eben vertraut. Kehrt er jedoch zurück, weiß er aber von der Wirklichkeit der Schatten und wird bald anfangen, den anderen in der Höhle zu erzählen, was er gesehen hat.
Diese wiederum werden ihm nicht glauben. Schlimmer noch, sie werden ihn sogar umbringen wollen, weil er ihren Frieden stört, indem er nicht mehr glaubt, was alle glauben.
Platons Höhlengleichnis ist eines der bedeutendsten Gleichnisse der antiken Philosophie. Es zeigt den Weg aus der Dunkelheit, einer Schattenwelt, hin zum Licht und wahrer Erkenntnis. Der Weg dorthin ist jedoch schmerzhaft.
Übertragen auf unsere heutige Zeit würden wir vielleicht nicht mehr eine Höhle als Gleichnis verwenden. Heute spricht man von Blasen, in denen die Menschen leben. Er lebt in seiner eigenen Blase, heißt es so schön. Aber auch diese Blasen können platzen, davon ist Dr. Matthias Burchardt überzeugt. Und dieses Platzen ist ein schmerzhaftes Ereignis.
„Die Menschen verteidigen ihre Blase, weil sie ihnen Sicherheit gegeben hat. Was sie danach ernten, sind vorerst keine Erkenntnisse, sondern erst einmal Desorientierung. Doch dann können sie sich auf den Weg der Erkenntnis machen, der ein langer und schmerzvoller Weg ist, aber auch ein Weg der Befreiung, der sich auf jeden Fall lohnt“, resümiert der Philosoph in einem Interview mit Epoch Times. Er wünscht sich, dass die Menschen sich auf eine gemeinsame Realität einlassen können, die sie dann selbst gestalten. Man müsse wieder zueinanderfinden und das Abgeschottetsein, das sich in den vergangenen Monaten etabliert hat, überwinden. Vielleicht biete sogar die Politik die Voraussetzungen, dass wir aus unserer Isolation herauskommen, meint er. Die Erfahrung der Realität könne so manche Blase zum Platzen bringen.
Doch fangen wir von vorne an.
Epoch Times: Herr Burchardt, wie sehen Sie den heutigen Stand unserer Gesellschaft? Driftet sie immer weiter auseinander oder ist schon Versöhnung zu erkennen?
Matthias Burchardt: Zum einen glaube ich, hat sich die Gesellschaft tatsächlich entmischt, das heißt, die Anlässe für Konflikte sind geschwunden, weil man sich aus dem Weg geht. Es gibt zwei Sphären, in denen man existiert. Es gibt die eine Sphäre, die im Hinblick auf das Virus immer noch fest im Narrativ und möglicherweise auch in einer gemeinsamen psychologischen Verfassung unterwegs ist. Und es gibt diese andere Verfassung; es gibt Menschen, die das Gefühl bekommen, dass die Gesellschaft ohne sie weiterplant, dass sie in der Gesellschaft keinen Platz mehr haben sollen, die sich jetzt darum bemühen, Alternativen aufzutun. Also man kümmert sich um Ärzte, die auch Ungeimpfte behandeln. Man sucht Läden, wo man möglicherweise reinkommt, auch wenn man bestimmte Bedingungen nicht erfüllt. Man sucht Freundeskreise, die sich zu den Grundfragen der Zeit ähnlich verhalten.
In letzter Zeit hatte man das Gefühl, dass es vor allem bei den Corona-Maßnahmen-Kritikern ein großes Bedürfnis nach Versöhnung gab, während die andere Gruppe eher zu denken schien, entweder ihr passt euch an oder ihr seid uns egal. Inzwischen habe ich den Eindruck, dass dieses Versöhnungsthema etwas in den Hintergrund getreten ist. Die Leute, die ausgegrenzt wurden, scheinen gar nicht mehr zurück zu wollen in diese komische Gesellschaft, in der momentan so viele Themen Unbehagen auslösen. Es gibt ein großes Aufatmen bei den Menschen, die sich jetzt zusammengefunden haben, was einerseits schön ist, weil sie eine Gegenwelt vorfinden, andererseits natürlich auch schrecklich, weil das bedeuten könnte, dass die Gesellschaft insgesamt nicht wieder zueinanderfinden wird.
Ich möchte noch einen Begriff anführen, den ich jetzt erst verstanden habe, nämlich „konspirativ“. Was heißt das eigentlich? Das ist das Wort für „verschwörerisch“, aber das lateinische conspirare heißt „gemeinsam atmen“. Ich glaube, die Menschen, die sich gerade zusammenfinden in dieser Gegenwelt atmen auf, weil der gesellschaftliche Druck, die überregulierten Lebensformen, die Verbotskultur, die Diffamierung und all diese Aspekte plötzlich wegfallen. Sie möchten nicht zurück in den Druck einer repressiven Gesellschaft. Sie möchten diese Atemluft, die Freiheit des Atmens auch beibehalten. Das ist metaphorisch gemeint, aber natürlich auch ganz konkret. Ich bin froh, wenn ich mit jemandem zusammensitzen kann, ohne eine Maske tragen zu müssen, ohne ein Zertifikat vorweisen zu müssen.
ET: Manifestiert sich eine regelrechte Parallelgesellschaft?
Burchardt: Das ist tatsächlich eine Tendenz, die ich beobachte, die ich auch kritisch und bedenklich finde, weil natürlich hier Menschen miteinander in Konflikt geraten, die eigentlich mehr miteinander teilen, als sie trennt. Für mich ist der große Konflikt nicht der zwischen mir und einer Person, die Angst vor Corona hat. Sondern der Konflikt besteht zwischen den demokratischen Bevölkerungen und den Machthabern, die denken, dass sie mit autoritärer Herrschaft oder mit Konzerninteressen eine ganze Welt unterwerfen können. Das wäre für mich der Konflikt. Was wir im Moment haben, ist ja „spalte und herrsche“. Das heißt, wir spalten uns und merken gar nicht, wie wir beherrscht werden. Insofern finde ich das politisch tragisch.
Psychologisch finde ich das nachvollziehbar und auch befreiend. Es ist nur die Frage, wie es weitergehen soll, denn jedes Gemeinwesen lebt ja davon, dass Menschen nicht nur gegeneinander arbeiten, sondern dass es bei allen politischen Entscheidungen auch eine Orientierung am Gemeinwohl gibt. Das heißt, wenn 51 Prozent entscheiden, dass 49 Prozent vernichtet werden sollen, ist das nicht Demokratie, sondern im Grunde eine Form von Menschenfeindlichkeit, weil die Mehrheiten immer auch nicht nur den Interessen der Mehrheiten dienen sollen, sondern dem Allgemeinwohl dienen und einen besseren Vorschlag für das Allgemeinwohl zur Geltung bringen sollten. Das wäre für mich die Tendenz. Aber daran sind nicht die Menschen schuld, die sich jetzt Luft verschaffen, indem sie eine andere Lebensform aufsuchen, sondern daran sind die Herrschenden schuld, die in Kauf genommen haben, dass die Gesellschaft sich so gespalten hat.
Ich möchte die gegenläufige Bewegung auch noch kurz nennen. In Frankreich zum Beispiel sehen wir, dass viele Geimpfte, die ja eigentlich in das andere Lager gehören, die Interessen der Ungeimpften im Hinblick auf den Impfzwang oder Impfdruck im öffentlichen Raum auch mitvertreten. Da demonstriert man gemeinsam und hat sowas wie einen Gemeinschaftssinn. Das finde ich unglaublich schön. Das wäre für mich eine gegenläufige Tendenz, weshalb ich das Thema noch nicht für entschieden halte. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch in Deutschland eine solche Bewegung entstehen könnte.
ET: Hamburg ist die erste Stadt, die in der Gastronomie 2G angeboten hat. Wir waren dort für eine Reportage unterwegs und haben festgestellt, dass Geimpfte der Meinung waren, jeder sollte das Recht haben, selbst über eine Impfung entscheiden zu dürfen. Also es gab nicht dieses Bewusstsein, ich bin jetzt geimpft, deswegen verlange ich das von allen anderen auch. Trotzdem wird politisch weiter Druck auf Ungeimpfte ausgeübt.
Burchardt: Die Philosophie dieser G-Regelung ist im Grunde genommen eine Art Ausstellung von Existenzberechtigung. Das heißt, die Teilnahme am öffentlichen Leben wird an Bedingungen geknüpft. So etwas kennt das Grundgesetz normalerweise nicht. Hier wird ein politisches Regime errichtet, das eine Zertifikatspflicht oder eine bestimmte Verhaltenspflicht zur Voraussetzung für die Teilnahme am öffentlichen Leben macht.
Das Verrückte ist, dass alle diese ausgestellten G immer bloß befristete G sind. Der Geimpfte muss sich irgendwann nachimpfen lassen; das gilt vielleicht ein halbes Jahr. Der Genesene ist auch nur in einer befristeten Weise akzeptierter Teilnehmer des öffentlichen Lebens. Und auch der Getestete hat nur eine bestimmte Frist, für die das gilt. Es gibt eine Art Grundmisstrauen, eine Art Nichtberechtigung, die erstmal für alle gilt. Man muss sich auf kurze Zeit einem Tribunal unterwerfen, das einem dann für diesen befristeten Raum gestattet, etwas zu tun. Und danach fällt man wieder raus aus der Existenzberechtigung.
Wenn wir weiter darüber nachdenken, bedeutet das, dass wir letztendlich alle im selben Boot sind, nämlich in diesem Bereich der Nichtberechtigung, der fraglichen Existenz. Ich glaube nicht, dass es den Menschen guttut, auf Dauer um ihre Existenzberechtigung kämpfen zu müssen. Und es ist ja nicht nur eine Teilnahme oder Regulierung des öffentlichen Raumes. Wir leben angeblich in einer Zeit von „no borders“ und „no nations“, aber dauernd entstehen Grenzen.
Also allein der Besuch eines Konzerts ist für mich schon eine unüberwindliche Hürde. Dieses permanente Ausgegrenztsein betrifft möglicherweise jeden. Da könnte für mich ein Fehler in der Logik derjenigen sein, die das über uns errichtet haben. Es könnten nämlich Solidarisierungseffekte entstehen, wenn die Menschen sagen: „Warum lasse ich mich denn impfen, wenn mich das dauerhaft gar nicht auf die sichere Seite bringt, sondern ich wieder zurückfallen werde in den Bereich des Nicht-Akzeptierten?“ Das wäre für mich die eine Hoffnung.
ET: Die Gastronomen in Hamburg bemängeln teilweise auch, dass mit 2G politische Entscheidungen auf die Wirtschaft abgewälzt würden. Wie sehen Sie das?
Burchardt: Die Wirtschaft hat ein ganz anderes Interesse als das, was die Politik sich wünscht. Sie hat ein Hausrecht. Sie hat ein Interesse daran, Veranstaltungen stattfinden zu lassen, damit Geld zu verdienen oder auch Kultur auf die Beine zu stellen. Und das Hygieneregime ist der geborene Feind dieses Interesses. Die Kultur lebt besser, wenn es diese ganzen Maßnahmen nicht gibt. All das vergiftet die Atmosphäre, die erforderlich wäre, ein Fest zu feiern, ein Konzert wahrzunehmen oder eine Veranstaltung durchzuführen. Insofern hat man der Gesellschaft jetzt nach zwei Seiten Knebel angelegt. Man macht es der Wirtschaft attraktiv, indem man ökonomische Vorteile mit der Wahrnehmung dieser Regel verknüpft und macht sie zugleich zum Umerziehungsorgan der Bevölkerung, indem sie dort diese kleinen Hürden aufbaut, die die Menschen dazu bringen sollen, sich impfen zu lassen.
Wenn man das in einen größeren Zusammenhang stellt, muss man sich fragen, ob hier eine Regierung ihren Auftrag missversteht. Eigentlich wäre ihre Aufgabe, den Volkswillen umzusetzen durch eine geschickte Regierungsführung. Doch hier wird plötzlich etwas umgedreht, das alles, was Demokratie ist, auf den Kopf stellt. Das Volk ist souverän, und die Regierung ist erster Diener des Volkes. Und hier schafft sich die Regierung das Volk, das zu ihrer Politik passt. Hier findet eine Umerziehung statt. Hier wird Einfluss genommen auf die Seele der Menschen und auch auf den Körper der Menschen – Biopolitik und Psychopolitik wären die Schlagworte, die da fallen müssten. Das ist für mich ein Kategorienfehler. Das gehört möglicherweise in eine pädagogische Anstalt, und selbst da fände ich es problematisch. Es gehört aber nicht in den politischen Raum, wo das Prinzip der Freiheit und der Gerechtigkeit maßgeblich ist.
ET: Wenn Sie als Philosoph auf der Metaebene auf Europa oder auch auf die ganze Welt blicken, was für einen Charakter hat die Entwicklung der Gesellschaft und auch der Politik?
Burchardt: Ich glaube, dass wir damit die Grundfesten der europäischen Kultur verlassen, die seit der Zeit der Aufklärung und des Humanismus den Menschenrechten verpflichtet war, dem Gedanken der Republik, das heißt, die öffentlichen Dinge sind Fragen der Öffentlichkeit, des Volkes. Auch die Demokratie ist damit erschüttert. Es ist ein großer Paradigmenwechsel, der dort stattfindet und der begleitet wird von wohlwollenden Verheißungen. Das geschieht ja vermeintlich nur zu unserem Besten. Und weil wir selber so dumm sind, dieses Beste nicht zu erkennen, hilft man uns durch Nudging oder Druck oder vielleicht auch durch offene Repression, dieses eigene Gute an uns zu vollziehen.
Da würde ich immer sagen, wenn das eigene Gute um den Preis einer Vergewaltigung eingesetzt wird, dann ist es vielleicht gar nicht so sehr gut. Das ist so, als würde ich sagen, Sex ist was Schönes und wenn ein anderer das nicht will, dann ist Vergewaltigung legitim. Also auch da ist es ein Übergriff auf die Freiheit, die Entwürfe des anderen für illegitim zu erachten.
Und ähnlich sehe ich das mit dieser Gesundheitsvergewaltigung, die uns gerade angetan wird, die irgendwie krank macht. Wir sehen das Sterben einer bestimmten kulturellen Grundorientierung und das Heraufkommen von etwas, was man mit klassischen Kategorien als Totalitarismus beschreiben könnte, das heißt, die Dominanz eines einzigen Welterklärungsmodells, nämlich des hygienischen Paradigmas.
Wir haben ja jetzt auch eine Bundestagswahl zum Beispiel, die demokratische Folklore findet nach wie vor statt. Nur wenn man sich anguckt, was da eigentlich zur Wahl steht oder was die Themen sind, dann kommen die Themen, die mir am Herzen liegen, überhaupt nicht vor. Ich habe den Wahl-O-Mat mal mitgemacht und die einzige coronabezogene Frage, die dort gestellt wurde, war, ob ich dafür bin, dass die Patente für Impfstoffe monopolisiert oder demokratisiert werden sollen. Aber dass ich möglicherweise das Recht auf Ungeimpftheit oder vielleicht auch die Maßnahmen oder den Lockdown oder vieles andere gerne politisch diskutieren würde, das ist da nicht vorgesehen. Wir haben eine Repräsentationslücke, eine Diskussionslücke und wir haben die Frage, ob das Demokratische sich möglicherweise nur noch als eine Art Scheinkultur über eine andere Regierungsform gegossen hat, die sich nach und nach erst herausschälen muss.
ET: Der Bundesgesundheitsminister, die Regierung, viele Ministerpräsidenten, zuletzt Stephan Weil aus Niedersachsen, werben für die Impfung. Es wird sehr viel von politischer Seite geworben. Was bedeutet es aus philosophischer Sicht, wenn die Autoritäten, die Regierung, diejenigen, zu denen man aufschaut, die Entscheidungsfinder sind, für etwas werben, und es dann aber eine Gruppe von Menschen gibt, die da nicht mitmachen will?
Burchardt: Zunächst kann man sagen, es ist unglaublich fair von ihnen, dass sie es uns nicht per Zwang politisch aufoktroyieren, sondern es auf dem Weg der Werbung versuchen und an unsere Vernunft appellieren. Sie könnten uns ja auch zwingen. Interessant ist, dass sie das mit dem Werben mehr oder weniger nur als Vorstufe zum Zwang tun, weil die Werbung letztendlich auch immer aggressiver und bedrohlicher wird. Man hat das Gefühl, dass, wenn man es nicht freiwillig tut, man es irgendwann sowieso tun muss. Dann ist auch das Werben letztendlich verlogen.
Generell ist Werbung etwas, was sich in meinen Augen für Politiker nicht gehört. Sie sollten argumentieren, sie sollten Entscheidungen treffen. Aber Werbung ist die Aufgabe von Influencern oder anderen Akteuren. Das ist Reklame oder Publicity, wie wir das kennen. Dann geht es um Produktwerbung, was im Bereich der Medizinprodukte nicht ganz unproblematisch ist. Aus guten Gründen sind wir sehr vorsichtig damit, etwas zu bewerben, weil in diesen Produkten einerseits ökonomische Interessen eine Rolle spielen. Ich habe gehört, dass die Unternehmen, die von diesen Impfstoffen profitieren, durchaus Gewinne gemacht haben mit ihrer Unterstützung der Menschheit beim Kampf gegen Corona. Man hat viel Geld verdient. Auch das ist ein Interessenkonflikt. Wie kann ich für etwas werben, womit andere Geld verdienen?
Der zweite Punkt ist der, dass ich die Empfehlung eines Produktes mit der politischen Autorität verknüpfe und damit auch Verantwortung auf mich lade, was die Qualität dieses Produktes angeht. Sollte sich herausstellen – und es spricht im Moment auch einiges dafür – dass es sich nicht um eine nebenwirkungsfreie Impfung handelt, wie Karl Lauterbach glaube ich formuliert hat, sondern dass es tatsächlich auch einige Risiken gibt im unmittelbaren Folgezusammenhang, aber auch im mittelfristigen, dann müssten diese Politiker auch eine Haftung übernehmen für das, wofür sie geworben haben. Da wären sie als Privatperson schon überfordert, als Amtsperson doppelt. Das ist für mich ein gewisser Tabubruch, der sich da einstellt.
Jetzt könnte man sagen, die bewerben nicht ein einzelnes Produkt, es gibt Konkurrenz auf dem Markt. Aber generell wird hier auch eine bestimmte Lebensführung oder ein Verhältnis zum eigenen Körper beworben, was in die Selbstbestimmungsrechte der körperlichen Autonomie der Menschen eingreift. Es ist eine freie Entscheidung, ob ich eine bestimmte medizinische Therapie wähle oder ausschlage. Ich verfüge über meinen eigenen Körper. In dem Moment, wo diese Werbung geschieht und sie auch noch einen drohenden Charakter annimmt – Drohung von Ausschluss, von Tod, von Nichtbehandlung – ist das ein missbräuchlicher Umgang mit demokratisch verliehener Macht. Ich halte das für einen Sündenfall.
ET: Wenn man versucht, die Bevölkerung in Typen einzuteilen, dann gibt es die einen, die sich permanent nicht impfen lassen wollen, andere können sich nicht impfen lassen, wieder andere sind für die Impfung und können nicht verstehen, wenn man sich nicht impfen lässt. Dann gibt es auch welche, die sich impfen lassen und trotzdem sehr offen sind. Wie sieht es sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite mit denen aus, die nicht mehr miteinander reden können? Wie ist das von oben zu betrachten?
Burchardt: Das ist natürlich auch ein Teil von weiterer Spaltung. Es geht nicht nur darum, dass man verschiedene Auffassungen zu Sachfragen vertritt, was in der Demokratie völlig normal ist. Früher konnte man sagen: Wie findest du Kernenergie? Ja, finde ich super. Ich finde es doof. Ja, und? Lass uns ein Bier trinken. Wo ist das Problem? Warum entzweit dieses Thema so? Es entzweit, weil wir in einer Konstellation von Massenpsychose unterwegs sind, weil nicht nur diese Haltung beurteilt wird, sondern sie mit moralischen Wertungen versehen wird. Derjenige, der sich nicht impfen lässt, ist aus der Sicht derjenigen, die das befürworten, der vermeintlich potenzielle Mörder aller anderen, weil er zur Fortdauer der Infektion und des Virus beiträgt, indem er sich diesen sehr naheliegenden Möglichkeiten, sich zu schützen, entzieht.
Und umgekehrt gibt es auch die Angst der Ungeimpften vor den Geimpften, Shedding und so weiter: Ich möchte keinen Geimpften mehr umarmen, weil ich Angst habe, dass der irgendwas absondert. Was da dran ist, weiß ich nicht. Das wäre medizinisch zu klären, wer von beiden Recht hat. Aber der Effekt ist jedenfalls der, dass wir eine Unversöhnlichkeit haben, die daher rührt, dass jetzt natürlich auch die politische Debatte unglaublich angeheizt wurde und dieses ganze Verfahren nicht als eine mögliche medizinische Therapie mit möglichen Gefahren dargestellt wurde, die jeder selbst verantwortlich übernehmen kann oder auch nicht, sondern dass daraus eine Art Zugehörigkeitssignatur geworden ist. Es gibt die Klasse der Geimpften, die sind die Guten, und die anderen sind die Ungeimpften, das sind die Bösen, die Verursacher. Das spielt natürlich den Herrschenden ganz gut in die Karten, weil die Bevölkerung sich nicht solidarisiert und die richtigen Fragen stellt.
Man könnte ja mal gucken, um was es eigentlich geht. Was passiert gerade hinter den Kulissen? Welche Freiheitsrechte werden uns geraubt? Welche ökonomischen Entscheidungen werden getroffen? Wohin geht die Zukunft der Republik? Während wir uns zanken, geht das Leben ja weiter. Wir sind in eine Art Starre, Untätigkeit versetzt. Ich liebe dieses Zitat von Simone Weil, die sagt, den Sklaven und den Bürger unterscheidet sein Verhältnis zu der Zeit. Der Sklave sitzt in einer Wartesituation, ist der Willkür seines Herrn ausgeliefert und muss auf Kommando dieses oder jenes tun. Der Bürger ist im Rahmen eines Rechtsstaates und kann sich auf Gesetze verlassen. Er kann aus der Gegenwart einen Hebel für die Zukunft machen und er kann planen. Wir sitzen in einer Art Wartezimmer und zanken uns mit den Geimpften, ob wir uns nebeneinandersetzen oder nicht, während außerhalb des Wartezimmers gerade politische Weichenstellungen vorgenommen werden oder auch politische Schäden entstehen im Bereich der Wirtschaft, der Bildung, des Gesundheitswesens. Was wir machen müssen, ist vielleicht, gemeinsam das Wartezimmer zu verlassen und politisch wieder aktiv zu werden. Aber dafür brauchen wir einen Rechtsstaat, der uns Rahmenbedingungen dafür schafft.
ET: Man bewegt sich in seiner eigenen Blase. Manchmal gelingt es, Brücken zwischen den Blasen zu bauen. Was passiert, wenn man die Blase eines anderen zum Platzen bringt? Was bedeutet das für einen Menschen, wenn sein Weltbild zusammenfällt?
Burchardt: Es gibt ein schönes philosophisches Äquivalent für diese Blasenthematik. Vielleicht ist es die Blase aller Blasen, nämlich die Fruchtblase im Mutterleib, in die ich eingelassen bin. Sie schützt mich erstmal und schafft ein abgeschlossenes Milieu, in dem ich versorgt werde mit Energie, in dem ich reifen kann und mich wohlfühle. Da ist ein Schutzelement, aber auch ein Begrenzungselement. Das heißt, ich bin auch gefangen in meiner Blase. Der Philosoph Platon hat das in eine Erzählung gebracht, die vom Blasenplatzen erzählt, nämlich das Höhlengleichnis. Die gewohnte Realität, die einen auch schützt und die man verteidigen möchte, wird zugunsten einer sehr schmerzhaften Erfahrung verlassen. Wir kennen das auch aus dem Film „Matrix“. Das ist auch eine Variation dieses Beispiels.
Der Verlust der Blase ist einerseits eine Befreiung und zugleich ein großer Verlust von Sicherheit und eine große Verletzung. Bei Platon geht das Ganze so weiter, dass man dann auch irgendwann die Höhle verlässt, zum Tageslicht vordringt und plötzlich versteht, wie die Welt in Wahrheit gebaut ist. Man versteht, dass das, was man gesehen hat, gewissermaßen eigentlich nur manipulierendes Kino war. Die Aufgabe besteht jetzt darin, in die Blase zurückzugehen und die Menschen zu befreien und dort Herrschaftsaufgaben zu erfüllen. Das Gleichnis handelt davon, dass politische Souveränität nur derjenige einnehmen kann, der die Blase verlässt, die für ihn gebaut wurde, und der den Bau der Welt durchschaut.
Was bedeutet das für uns heute? Die Blase kann platzen. Und wenn sie platzt, ist es ein schmerzhaftes Ereignis. Die Menschen verteidigen ihre Blase, weil sie ihnen Sicherheit gegeben hat. Und das, was ich danach ernte, sind nicht neue Erkenntnisse, sondern erstmal Desorientierung. Ich muss mich auf den Weg der Erkenntnis machen, der ein schmerzhafter und langer Weg ist. Aber es ist ein Weg der Befreiung, der sich auf jeden Fall lohnt. Ich hoffe, dass wir wieder zueinanderfinden, dieses Abgeschottetsein irgendwann verlassen und wir uns einlassen auf eine gemeinsame Realität, die wir dann auch gestalten können, dass die Voraussetzung der Politik tatsächlich die ist, dass wir aus dieser Isolation herauskommen. Vielleicht muss das nicht der andere sein, der mich überzeugt und die Blase zum Platzen bringt. Vielleicht ist das auch einfach eine Erfahrung der Realität. Ich glaube, dass das Realitätsprinzip einen ziemlich starken Stachel hat, um Blasen zerplatzen zu lassen.
ET: Was ist notwendig, damit aus den vielen verschiedenen Blasen eine große Blase wird? Was sind unsere Hinderungsgründe, um die eigene Blase in eine große Blase zu integrieren? Was könnte uns dabei helfen?
Burchardt: Es bedarf eines Dritten, das die einzelnen Blasen überbrücken könnte, etwas Gemeinsames, was die Menschen teilen. Die Politik setzt momentan sehr auf die Spaltung und Isolation der Menschen. Das Fundament, das man dem entgegensetzen könnte, wäre die Menschlichkeit. Hannah Arendt nennt das die „Conditio Humana“, das heißt Bedingungen, unter denen wir alle gleichermaßen stehen. Wir alle sind aus Fleisch gemacht. Wir durchlaufen den Zyklus des Kindes, des Jugendlichen, des Erwachsenen. Wir werden irgendwann alt. Wir teilen so viele Lebensthemen, dass wir eigentlich dumm wären, wenn wir unsere Unterschiede nicht zurückführen würden auf etwas Gemeinsames. Denn all das, was uns trennt, sind nur die Antworten. Die Fragen, die sich stellen, sind für uns alle dieselben. Wenn uns das bewusst wird, wird es Resonanzen geben, die die Individualität des Einzelnen nicht zerstören, und man nicht sagt: „Wir müssen jetzt alle das Gleiche denken.“ Das wäre schlimm.
Das, was wir denken, bezieht sich auf dieselbe Welt, auf dasselbe Rätsel der Existenz, auf die Fragwürdigkeiten, auf die Erschütterungen, auf die Möglichkeiten des Glücks, auf die schrecklichen Seiten der Verzweiflung. Und es wäre für mich die Gewähr dafür, dass selbst bei politischer Spaltung das Menschliche immer stärker ist als die jeweiligen politischen Regime. Auch wenn die Versöhnung eine Weile dauern wird, irgendwann werden wir uns versöhnen. Das sind ja unsere Verwandten und Freunde, mit denen wir uns momentan zanken. Das sind unsere Mitmenschen. Ich glaube, die Menschlichkeit wird das Moment sein, das uns wieder zusammenführt.
ET: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung.
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