„Das Wasser steht uns bis zum Hals“ –DeHoGa-Protest im „Tourismusland Nr.1“
Tränen, Wut und Gesichtsmasken. Die Hoteliers und Gastronomen der Mecklenburgischen Seenplatte sind enttäuscht. Die Politik kann ihnen kein Datum nennen. Während Baumärkte, Geschäfte und Friseure wieder öffnen, bleibt ihre Frage nach einem Öffnungstermin unbeantwortet.
„Wir stehen mit dem Rücken an der Wand – das Wasser bis zum Hals“, sagte Sandra Kallisch-Puchelt, Regionalverbandsvorsitzende DeHoGa Mecklenburgische Seenplatte. Sie hatte sich gemeinsam mit Kollegen dazu entschlossen, auf die unhaltbare Situation der Tourismusbranche in Waren (Müritz) am 1. Mai aufmerksam zu machen. Und es kamen viele. Hoteliers, Gastronomen, Künstler und Veranstalter – sie alle leiden unter der Corona-Krise.
Hier in Waren (Müritz) hat man Zweifel, ob die Beschränkungen dem lokalen Corona-Geschehen angemessen sind. Das Land hat die geringste Anzahl von Infektionen und infizierten Verstorbenen. Dass die Reisefreiheit durch die Corona-Krise beschränkt wurde „trifft uns mitten ins Herz“, hatte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig am 29. März verkündet. Schließlich sei Mecklenburg-Vorpommern „Tourismusland Nummer 1.“
Während sich über Großkonzerne wie Lufthansa ein Rettungsschirm ausbreite, werden die „Kleinen“ der Touristikbranche vergessen, kritisiert Kallisch-Puchelt. Existenzangst und Verzweiflung haben sich längst in der Branche breit gemacht. Das ist auf der Demo deutlich spürbar. Etwas schweißt die Demo-Teilnehmer zusammen: Wut und Hoffnung und der Spruch „nur nicht aufgeben“.
Die Hoteliers und Gastronomen, die sich symbolisch hinter die auf dem Marktplatz verteilten leeren Stühle stellen, leben am Rand ihrer Existenz. Auch Bürgermeister Norbert Möller stellt sich symbolisch hinter einen Stuhl.
Noch ein Kredit
Jedes Jahr müsse sie durch den langen Winter kommen, seufzte eine Hotelbetreiberin. Und genau in der Zeit, wo die Branche eigentlich wieder Auftrieb bekommen sollte, kam das Coronavirus in diesem Jahr dazwischen. Die Unterstützung aus der Politik reicht ihr nicht aus: „Wir dürfen einen neuen Kredit aufnehmen, herzlichen Glückwunsch! Ich habe schon einen. Wir brauchen keine Kredite – wir brauchen Hilfe!“, appelliert sie. Gemeinsam mit einer Auszubildenden kämpft sie sich durch das leergefegte Haus und versucht zu retten, was noch zu retten ist, vertröstet Gäste und Stammkunden. Der 1. Mai ist für sie nicht der Tag der Arbeit, sondern der „Tag der Kurzarbeit“.
Acht Wochen nach dem Ausbruch der Pandemie mit einer Gesichtsmaske herumlaufen zu müssen, fühle sich so an, „als würde ich bei der Geburt meines Kindes ein Kondom überstreifen“, zitierte Thomas Müller einen Spruch, der auf „What´s app“ die Runde machte. Der 54-Jährige lebt vom Musizieren. Aber sowohl das Schreiben als auch das Singen sind ihm in Zeiten von Corona vergangen.
Mit einem offenen Brief wandte sich der Künstler am 17. April an die Landeschefin von Mecklenburg-Vorpommern. Darin hieß es: „Ich bin seit (fast) 32 Jahren als freischaffender Musiker in unserem wunderschönen Bundesland tätig. Über 5000 Veranstaltungen in dieser Zeit habe ich gern für die und mit den Menschen in unserem Land bestritten. Wie sehr viele andere auch erziele ich seit Ausbruch der Krise keinerlei Einnahmen, private und berufliche Kosten aber laufen weiter. Am 25.03.2020 habe ich den Antrag auf Zuschüsse beim LFI [Landesförderinstitut] gestellt, zwei Tage später ALG II beantragt. Bis heute erhielt ich weder einen Bescheid, geschweige denn Geld. Sieht so ‚schnell und unbürokratisch‘ aus? […] Wenn Ihnen Arbeitskräfte fehlen, fragen Sie doch mal bei den Künstlern, den Hoteliers, den Restaurant- und Gaststättenbetreibern sowie deren Mitarbeitern, den Lehrern und Erziehern oder bei allen anderen hier unerwähnten von der Corona-Krise in Nichttätigkeit oder Kurzarbeit versetzten Menschen nach. Sie helfen Ihnen sicher gern – schnell und unbürokratisch.“ Inzwischen ist das Geld bei Müller angekommen.
Claudia Bergmann, Vorsitzende des Warener Innenstadtvereins, erinnerte daran, dass von einem Tag auf den anderen die Innenstadt „gespenstisch leer“ war. Selbst wenn die Einzelhändler wieder geöffnet hätten, so blieben doch die üblichen Einnahmen aus. Denn in Waren (Müritz) fehlen die Urlauber. Und ohne Urlauber, kein Umsatz. „Mit jeder Woche kommen Zweifel dazu, aber keiner kann unsere Fragen beantworten“.
Frustrierte Hotelbesitzerin voller Zweifel
Es war emotional auf dem Warener Marktplatz; dem einen oder anderen Demonstranten rollen die Tränen unter der Gesichtsmaske. Und auch in der Runde der Zuschauer gab es Verständnis für die Branche, Kopfschütteln über die Politik sowie aufmunternde Beifallsbekundungen für die Redner. „Wütend und rebellisch“ meldete sich Hotelbetreiberin Katja Jedwillat zu Wort. Die Warenerin habe zu Beginn der Corona-Krise alles mitgemacht. Sie hatte Einsicht dafür, dass das Gesundheitssystem ausgebaut und Intensivplätze erschaffen werden mussten. In den sozialen Medien änderte sie ihren Status auf „#stayathome“. Inzwischen sitzt bei ihr der Frust tief.
Ärzte befänden sich in Kurzarbeit, weil man im Krankenhaus auf Corona-Patienten warten würde, während andere Patienten auf neue Knie- und Hüftgelenke hoffen. Die dreimonatige staatliche Soforthilfe würde bei manchen nicht einmal ausreichen, um die Kosten in einem Monat zu decken. „Wir legen unsere Gesundheit in die Hände eines Bundesgesundheitsministers, der dicht gedrängt mit anderen im Fahrstuhl steht und zweimal ermahnt werden muss, dass er die Maske richtig aufsetzen soll. Und wir vertrauen auf eine Verteidigungsministerin, die sich über eine Lieferung von Gesichtsmasken freut, aber vergisst, diese aufzusetzen“, betonte Jedwillat. Da könne etwas nicht stimmen.
Kein Müritz-Fest, keine Müritz-Sail, auch keine Müritz-Saga und ebenfalls kein Müritz-Schwimmen. Wie soll es weitergehen an der Mecklenburgischen Seenplatte. Geschlossene Restaurants oder Kellner mit Mund-Nasen-Schutz? „Wenn es so weitergeht, dann sind wir bald alle Sozialhilfe-Empfänger“, warnte Jedwillat. Die Frage sei: „Wer soll das alles erwirtschaften?“
„Butter bei die Fische!“
Christiane Scherfig, Betreiberin des Hotels „Weit Meer“ und der beliebten Kulturkneipe „Flomala“, fasste ihre Gedanken in ein Gedicht, das sie auf der Demo vortrug. Diesen kulturellen Beitrag möchten wir unseren Lesern nicht vorenthalten. Es heißt „Butter bei die Fische!“, wie man im Norden sagt:
Am Anfang war die Sache wichtig.
Sie war ein Schock, doch der tat Not.
Jetzt macht ihr’s aber nicht mehr richtig,
denn ihr werft uns aus eur’em Boot !
Das Boot, in dem TAUSENDE sitzen,
für den Tourismus in M/V.
Auch für Diäten wir hier schwitzen,
uns’re Steuern für euch: das wisst ihr genau !
Die Politik lässt uns allein
mit uns’ren existenziellen Sorgen.
So wie die alte Frau im Heim,
die bittet flehentlich am Morgen.
Sie klebt `nen Zettel in die Scheibe
als Nachricht, heut‘ für ihre Erben.
Sie fragt: „Was tat ich euch zuleide?
Ich will doch nicht alleine sterben.“
Natürlich woll’n gesund wir bleiben,
hört auf, uns hierbei auszuspiel`n.
Nichts Schlimm’res gibt’s in diesen Zeiten,
als an der Nas‘ uns rumzuführ`n.
Schutzmaßnahmen können wir ganz schnell,
Hygiene und Abstand garantieren wir mit Plan.
In Gastronomie und im Hotel
kann man uns gern kontrollieren, ja, Sie auch, Herr Spahn!
So sehr wir`s den Frisören gönnen,
stets dran am Kunden, mehr als dicht,
dass sie ab Montag öffnen können.
für`s Restaurant: der Schlag ins Gesicht.
Kein Kellner kommt `nem Gast da näher
als der Frisör mit Kamm und Scher‘.
Doch uns vertröstet man auf später,
bleiben Hotels und Kneipen leer.
Der Fußball, der kriegt Abstand hin…,
wenn er uns zeigt Jubel und Trauer?
KEINER von uns versteht hier den Sinn!
Diese Entscheidung macht uns echt sauer!
Für reiche Kicker, gilt kein Maß
an das wir „Normalos“ uns brav halten !
So kippt die Stimmung, bis hin zum Hass,
wenn „die da oben“ so weiter schalten.
Es fehlt: VERHÄLTNISMÄßIGKEIT!
Fußball, Frisör, Corona-Zahlen…
…seid ihr zum Neustart nicht bereit,
bewerten wir euch dann bei Wahlen.
Wir geh’n nicht unter ohne Kampf!
Drum hört, was von Schwerin wir fordern:
Öffnung sofort, und zwar mit Dampf,
damit wir können Gäste ordern.
Und zwar für den Gesamt–Tourismus,
denn Mecklenburg braucht Urlauber!
Jeder Branchen-Betrieb mit muss,
denn Tausende haben es ganz schwer.
Frau Schwesig, Sie und Ihre Kollegen
entscheiden für uns über Pleite oder Chance.
Haben Sie Mut, uns Hoffnung zu geben.
Wir legen dann los: mit viel Kraft, ohne Angst!
Sie wissen: die HoGa ist fleißig und klug.
Drum tun Sie jetzt endlich mal: „Butter bei die Fische!“
und machen mit konkretem Terminplan uns Mut
für – mit Abstand – gastliche Zimmer und Tische!
Die Branche wird weiterhin auf ihre Situation hinweisen und Unterstützung von der Regierung fordern. Die nächste Demonstration findet am 8. Mai in Berlin statt.
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