Das E-Rezept in der Praxis: Gut gedacht, schlecht gemacht?

Das Konzept des zum 1. Januar eingeführten E-Rezepts für Medikamente erscheint noch nicht ganz ausgereift: Für Online-Apotheken bedarf es nach wie vor einer Papierversion – und womöglich eines zusätzlichen Arztkontaktes. Manchmal auch einfach mehr Zeit.
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Das elektronische Rezept soll eigentlich helfen, weniger Papier zu verbrauchen. Beim Kauf in der Online-Apotheke benötigt man in der Regel trotzdem einen Ausdruck.Foto: Bernd Thissen/dpa
Von 19. Januar 2024

Seit dem 1. Januar 2024 sind Vertragsärzte verpflichtet, für verschreibungspflichtige Arzneimittel sogenannte „E-Rezepte“ auszustellen: Das elektronische Rezept ersetzt für gesetzlich Krankenversicherte den altbekannten rosafarbenen Zettel.

Der Arzt überträgt dafür seine Medikamentenempfehlung per Computerterminal auf ein Serversystem, in das nur Ärzte oder Apotheker Einblick haben. „Telematikinfrastruktur“ (TI) heißt dieses Serversystem in der Sprache der gematik GmbH, der „Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH“, die sich selbst als „Nationale Agentur für Digitale Medizin“ versteht. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums wird „der E-Rezept-Fachdienst […] von IBM im Auftrag der gematik betrieben“.

Freigabe vom Arzt per „Signatur“ kann dauern

Später in der Apotheke legitimiert der Patient den Datenabruf, indem er dem Apotheker den TI-Zugang per Vorlage seiner elektronischen Gesundheitskarte (eGK) gewährt. Die Apotheke braucht dafür nur ein Lesegerät. Die Abrechnung mit der Krankenkasse erfolgt wie gewohnt im Hintergrund. Das Ganze soll nach Meinung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) für vereinfachte Abläufe bei Ärzten und in Apotheken sorgen.

Doch offenbar ist das Konzept nicht ganz ausgereift. Denn das Rezept kann nach Angaben der gematik GmbH aus Sicherheitsgründen erst dann eingelöst werden, wenn der Arzt es an seinem Terminal „signiert“ hat. Und das geschieht nicht unbedingt bei jedem Patienten einzeln, sondern irgendwann, wenn der Arzt sich im Praxisalltag dafür ein paar Minuten Zeit nimmt („Komfort- und Stapelsignatur“). Dasselbe gilt bei telefonischem Kontakt zur Praxis. „Deshalb sollte in Rücksprache mit den Patientinnen und Patienten besprochen werden, ab wann die E-Rezepte in der Apotheke eingelöst werden können“, empfiehlt die gematik GmbH.

Raus aus der Arztpraxis im zweiten Stock, sofort danach rein in die Apotheke im Erdgeschoss – der bewährt-bequeme Ablauf funktioniert also nicht mehr unbedingt in jedem Fall.

In Online-Apotheken läuft nichts ohne Ausdruck

Womöglich noch schwieriger erscheint die Frage, was der Patient tun kann, wenn der Apotheker um die Ecke das Medikament nicht auf Lager hat und es womöglich auch dauerhaft „nicht lieferbar“ heißt.

Manch ein Patient könnte dann auf die Idee kommen, sein Glück bei einer womöglich besser versorgten Online-Apotheke zu versuchen. Doch Anbieter wie die Shop-Apotheke oder Doc Morris verlangen nicht nur die persönliche Registrierung, sondern haben auch keine Möglichkeit, die eGK des Patienten auszulesen. DocMorris etwa empfiehlt für diesen Fall, das E-Rezept mit seinen QR-Codes am besten in der Arztpraxis ausdrucken zu lassen. Danach könne der Patient das Dokument auf mehreren Wegen einreichen:

  • Per App der Online-Apotheke: Das auf dem privaten Smartphone zu installierende Hilfsprogramm enthält eine Scan-Funktion, mit der das E-Rezept beziehungsweise der QR-Code eingescannt werden kann. Es landet dann automatisch bei DocMorris.
  • Per Webseite: Dort findet sich ein Link zum „Direct-Scan“ via Computerkamera („Mit Webcam erfassen“).
  • Per Handy-Kamera: Das E-Rezept wird abfotografiert, die Fotodatei kann „als Bild oder PDF“ ins DocMorris-System hochgeladen werden.
  • Per Post: Verfechter des analogen Lebens können das ausgedruckte E-Rezept oder eine Kopie im Briefumschlag an die Online-Apotheke senden.

Alle vier Möglichkeiten setzen voraus, dass der Patient noch einmal in seiner Arztpraxis interveniert und einen Ausdruck verlangt – sofern er nicht von Anfang an darauf bestanden hatte. Der Gesetzgeber sieht diese Möglichkeit gemäß Paragraf 360, Absatz 9 des 5. Sozialgesetzbuchs (SGB V) übrigens ausdrücklich vor, auch wenn er dem Argument der Papierersparnis damit den Wind aus den Segeln nimmt.

Das Versprechen des BMG, nach dem das E-Rezept für „mehr Komfort und weniger Wege in die Arztpraxis“ sorgen werde, kann also angesichts dieser Umstände nicht mehr unbedingt gehalten werden: Speziell, wenn ein Patient wegen anhaltender Lieferschwierigkeiten an seinem Wohnort auf eine Internetapotheke angewiesen ist, läuft ohne Papier nicht viel.

Informationen im Netz

Dafür besitze das E-Rezept eine Reihe weiterer Vorteile, wie eine Sprecherin des BMG auf Nachfrage der Epoch Times betonte. Als Beleg verwies sie unter anderem auf die dazugehörige Informationsseite Das-E-Rezept-fuer-Deutschland.de und auf eine Rede von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD).

Auch sein Versprechen, dass „die Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten […] in jedem Fall sichergestellt“ sei, lässt sich bei anhaltenden Lieferschwierigkeiten nicht mehr halten. Auch hier verwies die Sprecherin auf das Informationsangebot des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und auf den Aktionsplan des Ministeriums für eine „Nationale Pharmastrategie“ vom Dezember 2023.

Rezeptverlängerung jetzt einfacher möglich

Gleichwohl nennt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) persönlich das E-Rezept-Verfahren in einem Vier-Minuten-Werbeclip „eine wirkliche Verbesserung“: Für Patienten, die dauerhaft auf immer die gleichen Arzneimittel angewiesen seien, könne mit dem digitalisierten E-Rezept so mancher Praxisbesuch entfallen. Denn das E-Rezept lasse sich ganz simpel verlängern: „Da reicht dann ein Anruf beim Arzt und schon ist das E-Rezept wieder eingestellt“.

Es genüge dann der Gang zur Vor-Ort-Apotheke, um sich seine Tabletten via eGK-Auslesung aushändigen zu lassen (Video auch auf YouTube).

Der Kampf gegen Lieferengpässe

Um die Versorgung zu verbessern, hatte die Bundesregierung Anfang 2023 das „Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln“, kurz ALBVVG, auf den Weg gebracht. Es trat am 27. Juli 2023 in Kraft. Bundesgesundheitsminister Lauterbach erklärte dazu:

Wir machen Deutschland wieder attraktiver als Absatzmarkt für generische Arzneimittel. Europäische Produktionsstandorte werden gestärkt und Reaktionsmechanismen verbessert. Damit wollen wir neue Lieferengpässe vermeiden.“

Der gewünschte Erfolg soll laut BMG durch höhere „Festbeträge“ für Arzneimittelproduzenten, eine entsprechend andere „Preisgestaltung bei Kinderarzneimitteln“ inklusive der Abschaffung von Rabattverträgen und durch höhere Lagerkapazitäten „von rabattierten patentfreien Arzneimitteln“ erzielt werden. Zudem müssten Krankenkassen „zukünftig auch patentfreie Antibiotika einkaufen, die in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum produziert werden.“

E-Rezept längst millionenfach genutzt

Nach Informationen der gematik GmbH wurden bis einschließlich 10. Januar 2024 bundesweit bereits sieben Millionen E-Rezepte „erfolgreich eingelöst“. Allein am 8. Januar, einem Montag, seien „über 2,4 Millionen E-Rezepte ausgestellt“ worden, ergänzte die BMG-Sprecherin. Seit der flächendeckenden Einführung des Verfahrens am 1. September 2022 waren es laut gematik über 25 Millionen. Während beinahe jede Apotheke damit zu tun gehabt habe, hätten „zudem 73.000 medizinische Einrichtungen mindestens ein E-Rezept ausgestellt“.

Wenn es in den ersten Tagen noch Probleme gegeben habe, so die BMG-Sprecherin, so seien diese auf „interne Prozessumstellungen“ zurückzuführen. Auch „bisher noch nicht eingespielte Updates in PVS-Systemen oder Kartenterminals in einzelnen Praxen“ könnten damit zu tun gehabt haben. Es habe auch „Störungen eines neuen zum 1.1. gestarteten Dienstleisters in der Telematikinfrastruktur (Identity Provider)“ gegeben, räumte die Sprecherin ein. „Aufgrund der noch sehr geringen Nutzerzahlen“ hätten diese jedoch „keine relevanten Auswirkungen auf das E-Rezept“ gehabt.

eGK-Verfahren als Standard

Die Patienten bevorzugten als Standard die Einlösung per eGK, so gematik. Am zweithäufigsten werde der Papierausdruck gewählt. Platz drei der Einlöseoptionen belege derzeit die offizielle E-Rezept-App der gematik GmbH. Das Gratis-Tool sei inzwischen „mehr als 1 Million Mal“ heruntergeladen worden. Es biete auch weitere Vorteile – wie den „vollen Überblick über Rezepte aus den letzten 100 Tagen oder die Möglichkeit, Medikamente direkt über die App bei Apotheken zu bestellen“.

Die E-Rezept-App stehe schon seit Juli 2021 „in den App-Stores zum Download bereit“. Dort findet man auch die Apps der Online-Apotheken. Quellen:

Wie die gematik GmbH betont, benötigt man „für die Anmeldung in der App […] ein NFC-fähiges Smartphone sowie eine NFC-fähige Gesundheitskarte samt PIN von Ihrer Krankenkasse. Alternativ können Sie sich ggf. auch mit der ePA-App Ihrer Krankenkasse in der E-Rezept-App anmelden.“

Bei der ePA-App handelt es sich um die Smartphone-Applikation für die elektronischen Patientenakte (ePA), einer weiteren Entwicklung des Gesundheitsministeriums, die die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben soll. Eine Liste mit den ePA-Apps der Krankenkassen stellt ebenfalls die gematik GmbH zur Verfügung.



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