Corona und Lieferkette: Deutschlands Handel droht Horror-Weihnacht
Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz hatte noch im September betont, Probleme in der Lieferkette, wie sie Großbritannien im Griff hatten, seien Folge des Brexits und zu niedriger Löhne für Lastkraftfahrer. Nun könnte Scholz selbst schon zu Beginn seiner ersten Amtszeit vor einer handfesten Krise für Deutschlands Handel stehen, die das Weihnachtsgeschäft zu überschatten droht.
Deutschlands Handel zittert vor leeren Regalen
Noch ist unklar, wie die Politik in Deutschland auf die Entwicklung der Corona-Zahlen und das Auftreten der von der WHO als „besorgniserregend“ eingestuften Omikron-Variante reagieren wird. Bereits am Dienstag (30.11.) wollen die geschäftsführende Kanzlerin Merkel, Scholz und die Länderchefs über die erwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Bundesnotbremse beraten. Für den 9. Dezember ist eine Bund-Länder-Runde geplant, bei der Entscheidungen fallen sollen.
Doch auch wenn der Handel diesmal von etwaigen Lockdown-Maßnahmen verschont bleiben sollte, drohen zahlreiche eingeplante Weihnachtsgeschenke nicht mehr rechtzeitig unter dem Baum anzukommen.
Von „derzeit viel Sand im Getriebe“ der globalen Logistik spricht ifo-Ökonom Klaus Wohlrabe gegenüber „Politico“. Die Abhängigkeit Deutschlands von Importen aus China und Halbleitern aus anderen asiatischen Ländern trifft nicht nur die Autoindustrie oder die Hersteller von elektronischen Geräten oder Spielekonsolen.
Sogar vergleichsweise einfache Produkte wie Kinderfahrräder könnten nicht oder nur zu horrenden Preisen im Fachhandel verfügbar sein. Eine ifo-Umfrage ergab, dass 100 (!) Prozent aller befragten Händler über Probleme bei Bestellungen klagen, weil zahlreichen Bestellungen die Folgen von coronabedingten Fabrikschließungen gegenüberstünden.
Auch mehr als 90 Prozent der Möbelhäuser klagen über Nachschubschwierigkeiten. Immerhin beruhigt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, dass Lieferprobleme infolge von Papierknappheit frühestens erst nach Weihnachten eintreten würden.
Lieferkette bleibt unter Druck
Zu Beginn hatten vor allem Handelsverzögerungen infolge von Lockdown-Maßnahmen die Lieferkette belastet und neben fehlender Nachfrage und einem weltweiten Mangel an Containern verschärften auch die Havarie im Suezkanal und der Brand einer japanischen Chipfabrik die Probleme.
Mittlerweile ist der gegenteilige Effekt zu beobachten: Der Aufschwung nach dem Wegfall der meisten Corona-Restriktionen und die Wiederöffnung der Handelsrouten hat zur Folge, dass zu wenig Personal vorhanden ist, um Container abzufertigen oder Waren an ihren Bestimmungsort zu befördern.
Holger Kunze, Leiter des Europabüros des deutschen Maschinenbauverbands VDMA, geht davon aus, dass „die Engpässe bis weit ins Jahr 2022 andauern werden“. Engpässe nach einer Krise wie Corona seien zwar normal, aber die derzeitige Lage sei „extrem“.
Abschaffung der Wehrpflicht trifft nun das Transportgewerbe
Auch wenn eine Beruhigung bezüglich der Lieferproblematik von Ersatzteilen eingekehrt sein sollte, stehen auch die EU-Länder weiterhin vor einem Engpass bezüglich der verfügbaren Lkw-Fahrer. In Deutschland, so prognostiziert der Sprecher des Speditions- und Logistikverbands BGL, Martin Bulheller, treten schon bald bis zu doppelt so viele Brummifahrer in den Ruhestand als in den Beruf einsteigen.
Faktoren wie fehlende Rastplätze für Lkw-Fahrer, schlechte Behandlung an den Entladestellen sowie eine schlechte öffentliche Wahrnehmung des Berufs schreckten mögliche Einsteiger ab. In Deutschland habe die Politik mit der Abschaffung der Wehrpflicht den Engpass noch weiter verschärft: Einst war es ein Vorteil für Spediteure, dass Soldaten ihre im Wehrdienst erworbenen militärischen Lkw-Führerscheine recht einfach in zivile umwandeln konnten.
Nun sei dieser Anreiz weggefallen, temporär oder dauerhaft Trucks zu fahren. Dazu kommen die horrenden Treibstoffpreise. Dies erhöhe noch weiter den Druck auf die Lieferanten, und gerade für kleinere Speditionsunternehmen könne dies schon bald das Aus bedeuten. Eine zeitnahe Substitution durch Lastenfahrräder ist flächendeckend nicht in Sicht.
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