Corona-Krise: Juristen warnen vor Strafrecht als Mittel, um Kontaktverbot zu erzwingen

Zwei namhafte Juristen der Goethe-Universität in Frankfurt/Main haben davor gewarnt, mithilfe des Strafrechts das Unterlassen grundsätzlich unproblematischer Handlungen im Zeichen der „Solidarität“ zu erzwingen. In der Corona-Krise wittere der Paternalismus Morgenluft.
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Kontaktverbot mit Strafen erzwingen?Foto: Frank Rumpenhorst/dpa
Von 29. April 2020

Vor übertriebenem Paternalismus und Überdehnung des Strafrechts unter dem Banner von Solidarität und Schutz der Volksgesundheit warnen die Frankfurter Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Matthias Jahn und Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy in einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ). Im Zeichen der Corona-Krise habe sich eine Situation ergeben, in der sonst alltägliches Verhalten mit Bußgeldern und im extremen Fall mit Geldstrafen oder Freiheitsentzug geahndet werden könne.

„Die rote Linie verläuft jetzt an der Haustür“, stellen die Juristen fest. „Man muss, um sie zu überschreiten, einfach hinaustreten – ohne böse Absicht, deliktischen Plan oder gefährliche Waffe. Die Waffe sind wir selbst.“

Infektionsschutzgesetz als mächtiges Instrument

Auch wenn niemand den weiteren Verlauf der Corona-Pandemie voraussagen könne, werde erkennbar, dass der Bund auf der Basis des Infektionsschutzgesetzes ein mächtiges Instrument in die Hand bekommen habe. Damit solle mit Blick auf das übergeordnete Ziel der Eindämmung des Virus solidarisches Verhalten potenziell Uneinsichtiger erzwungen werden. Zudem seien die strafrechtlichen Bestimmungen, die es enthalte, „gleichzeitig aber auch adressiert an die, die sich konform verhalten, um sie in schwieriger Zeit in sozialer Vereinzelung zu bestärken“.

Dass grundsätzlich nicht beanstandenswertes Verhalten, das in freiheitlichen Gemeinwesen nicht mit dem Strafrecht zu ahnden wäre, im Zeichen der Krise doch zum Deliktstatbestand werden könne, sei im „änderungsfesten Sozialstaatsprinzip“ und Wesen des „sozialen Rechtsstaats“ nach Art. 28 GG angelegt. Schranken der Freiheit des Einzelnen zum Zwecke der Förderung des sozialen Miteinanders seien darin angelegt.

Doch gäbe es auch, was die Bemühung des Strafrechts angeht, um sozialkonformes Verhalten zu erzwingen, Schranken. Eine davon sei das allgemeine, erlaubte Lebensrisiko – das es beispielsweise nicht strafrechtsrelevant mache, andere mit einem grippalen Infekt anzustecken. Auf der anderen Seite stehe die Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung, wenn ein HIV-Positiver eine andere Person durch ungeschützten Geschlechtsverkehr mit AIDS infiziere.

Kausalitätsnachweis bei Corona-Infektion schwierig

Im Fall von COVID-19 würde eine solche Konstruktion wohl bereits an der Problematik des Kausalitätsnachweises scheitern, zudem im Fall von Infektionen an der freien Luft auch der Aspekt einer beiderseitigen einverständlichen Fremdgefährdung zum Tragen kommen könnte. Immerhin setze sich auch jedermann, der sich nach draußen begebe, selbst einem Ansteckungsrisiko aus.

Im Fall der strafrechtlichen Verfolgung von „Corona-Sündern“ knüpfe die Strafdrohung abstrakt an die Nichtbeachtung einer Allgemeinverfügung der zuständigen Landesbehörde an, die sich selbst auf § 28 Abs. 1 IfSG stützt – und deren Nichteinhaltung § 75 Abs. 1 des gleichen Gesetzes zum Straftatbestand erklärt. Wer das Haus entgegen der Ausgangsbeschränkungen verlasse, müsse selbst einen „triftigen Grund“ dafür plausibel machen und somit rechtfertigen, was andernfalls keiner Rechtfertigung bedürfe.

Jahn und Schmitt-Leonardy mahnen dort Maßhalten und Zurückhaltung an, wo auf das Solidaritätsprinzip gestützte Gebote nicht mehr nur aktives Handeln in bestimmten Situationen beinhalten – wie im Fall von Garantenpflichten oder gesetzlichen Pflichten zur Hilfeleistung –, sondern darüber hinaus auch noch das Unterlassen von Handlungen, die üblicherweise Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit darstellen.

„Solidarität“ darf nicht grundsätzlich mit dem Strafrecht erzwungen werden

„Wir wissen, dass wir noch nicht genug über das Virus wissen“, heißt es in dem Text. „Deshalb darf der Schluss von einer auf einem Solidaritätsmangel gründenden Rechtsgutsverletzung auf ein strafbegründendes Gemeinwohlinteresse nicht leichthin gezogen werden.“

Gehe es nur um den Bereich der Gefahrenabwehr, gelte, dass mit der zunehmenden Größe der Gefahr etwa eines Gesundheitsschadens auch die Anforderungen an Wahrscheinlichkeitsnachweise sinken. Im Kriminalstrafrecht sei aber darauf zu achten, dass dieses nicht dazu verwendet werde, politische Entscheidungen wie hier im Bereich der Seuchenbekämpfung auf gleichsam brachiale Weise zu rechtfertigen. Andernfalls drohe sich diese Tendenz künftig auch auf andere Bereiche auszuweiten, wo nach „Solidarität“ gerufen werde:

„Die Probleme auf dem kriminalpolitisch eingeschlagenen Pfad würden sich verschärfen, sollte es demnächst um andere Formen von Solidarität gehen (müssen), wie den Umgang mit Medikamenten und Vorräten. Ein allzu paternalistischer Ansatz könnte sich am Ende rächen.“



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