Corona-Experiment der CSU und Freie Wähler nur teils gelungen – Gillamoos im Internet
Am Ende seiner rund einstündigen Rede kann sich Andreas Scheuer sein Fazit über den ersten politischen Internet-Gillamoos in Corona-Zeiten nicht verkneifen.
„Es ist ein Wagnis, heutzutage an einem Rednerpult in einer Festhalle mit wenig Zuschauern über Politik zu reden“, sagt der Bundesverkehrsminister, der in seinem Leben schon zahllose Bierzeltreden gehalten hat. Hunderte von Menschen würden jetzt vermutlich meinen, „mein Gott, war das eine langweilige Geschichte. (..) I fand’s net langweilig“.
Keine Frage, als Orte der Neuerungen sind Bayerns Volksfeste und Bierzelte definitiv nicht bekannt. Doch in der Corona-Krise ist ja bekanntermaßen alles anders und so haben sich CSU und Freie Wähler an diesem Montag in ihrer Not für einen nie da gewesenen Weg entschieden: Eine Bierzeltrede ohne Bierzelt und – was noch schwieriger ist – ohne echte Stimmung durch maßkrugstemmende Zuhörer, Brathendl-Duft und Blasmusik.
Anders als CSU und Freie Wähler, in Bayern ja auch seit Jahren mehr oder minder harmonische Koalitionspartner, verzichten die anderen Parteien auf ihren Gillamoos. Weder Grüne noch SPD oder FDP, um nur einige zu nennen, die sonst immer mit möglichst prominenten Rednern vor Ort sind, wagen den Sprung ins Unbekannte. „Ja, es war ein Experiment“, sagt Scheuer. „Aber wer nichts ausprobiert, kann auch keine Erfahrungen sammeln.“
Apropos Erfahrungen: Von denen dürften auch die Freien Wähler viele mit nach Hause nehmen, insbesondere was technische Fragen angeht. Denn als es um 10.00 Uhr im Abensberger Brauereigasthof Kuchlbauer mit Parteichef Hubert Aiwanger losgehen soll, bleibt für die Zuhörer des „Digitalen Gillamoos“ der Monitor schwarz. Statt derber Rede via Facebook, Youtube und Instagram startet die Veranstaltung sowohl mit Verspätung und nervte dann noch für lange Zeit durch ständige Bild- und Ton-Aussetzer. Die Übertragung auf Twitter scheiterte komplett.
Die Online-Zuschauer reagierten enttäuscht auf die Panne. Einige gaben bereits nach wenigen Minuten den Versuch auf, der Aiwanger-Rede zu folgen. „Schade, die Übertragung ist so schlecht, das hat keinen Sinn. Wäre gerne dabei gewesen“, kommentierte eine Nutzerin bei Facebook. „Die Übertragung ist sprichwörtlich für die gesamte digitale Situation in Bayern und der BRD“, meinte eine andere und ergänzte: „Deutschland, digitales Neandertal.“ Zur Erinnerung: Als Wirtschaftsminister ist Aiwanger auch für Digitalisierung in Bayern mindestens mitverantwortlich.
„Sorry für die schlechte Übertragung“, entschuldigten sich die freien Wähler bei den enttäuschten Zuhörern. Als eine Zuschauerin die Live-Übertragung als „digitales Mittelalter“ und „grausam“ bezeichnete, gab der FW-Kommentator ihr umgehend Recht: „Stimmt, es gibt noch so einiges zu tun beim Thema Digitalisierung.“ Erst nach einer Stunde wurde die Übertragung der Freie-Wähler-Veranstaltung stabiler. So konnten die Online-Zuschauer wenigstens noch das Ende der Rede und die Verabschiedung von Aiwanger verfolgen. Ganz Hartgesottene können die Rede auf Youtube noch mal ansehen.
Solche Sorgen hatte die CSU nicht. Gemessen an seinen früheren Auftritten in Bierzelten war Scheuers Rede über seine Arbeit als Bundesminister mit Bahnreformen und anderen Formen der Mobilität der Zukunft überraschend zahm und diplomatisch. „Corona ist nicht vorbei. Wir müssen vernünftig sein“, sagt er dann beispielsweise und lobt den Zusammenhalt der Menschen.
Nur selten – etwa beim vorausgesagten Bundestagswahlkampf „alle gegen CSU und CDU“ im nächsten Jahr oder seiner Kritik an Ausschreitungen von extrem Rechten und Linken – blitzt die Abteilung Attacke des niederbayerischen CSU-Bezirkschefs hervor. Und noch etwas ist interessant: Auf die gescheiterte Maut-Einführung, den politischen Druck auf ihn selbst oder seine am 1. Oktober anstehende Anhörung im Untersuchungsausschuss des Bundestages geht Scheuer gar nicht ein. Nur soviel kann er sich bei seiner Verabschiedung mit Verweis auf die Maut nicht verkneifen: „Es gibt eine Fortsetzung. Vielen Dank.“ In dem Moment hat er 126 Zuschauer bei Youtube und rund 80 in der Halle. (dpa)
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