Chef der Bundesbank kritisiert EU-Corona-Beschlüsse – Kann sich Deutschland an den Hilfen übernehmen?
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat zentrale Beschlüsse des EU-Sondergipfels zu Corona-Wiederaufbauhilfen kritisiert. „Gemeinschaftsverschuldung für umfangreiche Transfers halte ich grundsätzlich für bedenklich“, sagte Weidmann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Sonntagausgaben). Das Paket dürfe
nicht als Sprungbrett für groß angelegte EU-Verschuldung zur regulären Haushaltsfinanzierung dienen“, mahnte er.
Der Bundesbank-Präsident forderte einen Kontrollmechanismus, „damit die Mittel sinnvoll und effizient verwendet werden“. Prinzipiell sei es aber wichtig gewesen, dass sich die EU in der Krise als handlungsfähig erwiesen habe: „Solidarität in Europa – auch finanzielle – halte ich in dieser Situation für richtig“, betonte Weidmann.
Staatsverschuldung steigt stark an
Befürchtungen, Deutschland könnte sich mit den Hilfsprogrammen übernehmen, teilt der Bundesbank-Präsident dabei nicht. „Die Staatsverschuldung steigt zwar stark, aber sie lässt sich weiter stemmen“, sagte er.
Wir erwarten im laufenden Jahr eine Schuldenquote in einer Größenordnung von 75 Prozent der Wirtschaftsleistung.“
Der niedrige Zins erleichtere es „sicherlich“, dies zu tragen. „Und die Schuldenbremse hilft, dass nach dem Ende der Krise Defizite und Schuldenquote wieder zurückgehen.“
„Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer“
Der Notenbankchef forderte die Politik zu einer zeitlichen Begrenzung der Corona-Hilfen auf. „Wichtig ist, dass Hilfsmaßnahmen befristet sind“, sagte er in dem Interview. „Dann laufen sie im weiteren Verlauf automatisch aus, und die Staatsfinanzen stabilisieren sich wieder.“ Auch für die staatlichen Beteiligungen an Firmen gelte:
Sie können jetzt nötig sein, aber der Staat sollte sich nach der Krise wieder zügig zurückziehen. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer.“
Aufgabe der Politik sei es dabei auch, „das Kurzarbeitergeld regelmäßig überprüfen“, sagte Weidmann. Zwar sei es sinnvoll, mit diesem Instrument einen vorübergehenden Wirtschaftseinbruch zu überbrücken.
Das Kurzarbeitergeld sollte aber nicht Strukturen verfestigen, die keine Zukunft mehr haben, etwa wenn Geschäftsmodelle überholt sind.“
Mit Skepsis reagierte der Notenbankchef auf die Diskussion über eine Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung über den Jahreswechsel hinaus. „Es mag die Versuchung bestehen, Konjunkturprogramme an Wahlen auszurichten.“ Er würde nicht von vornherein ausschließen, dass die Konjunktur auch nächstes Jahr noch einen Impuls brauche. „Das muss dann aber natürlich nicht unbedingt eine Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung sein.“
Weitere Hilfsprogramme denkbar
Weidmann zeigte sich zuversichtlich, dass Deutschland „den Hochpunkt des Infektionsgeschehens und den Tiefpunkt der Konjunktur“ hinter sich gelassen habe. Der Einzelhandel mache wieder mehr Umsatz, die Produktion steige. „Insgesamt zeigen die Daten, dass die Wirtschaft die Talsohle im Frühjahr durchschritten hat und sich allmählich erholt.“
Weidmann hält weitere Hilfsprogramme für möglich. Wenn nötig, könne „auch nochmal nachgelegt werden“.
Dazu könne es durchaus kommen, denn die weitere Entwicklung sei sehr unsicher. „Aber jetzt gilt es, erstmal abzuwarten, wie die beschlossenen Maßnahmen überhaupt wirken.“
Der EU-Gipfel hatte sich in tagelangen Verhandlungen auf ein 750 Milliarden Euro schweres Hilfspaket geeinigt. Davon sollen 390 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Zuschüsse an die Empfängerländer fließen, der Rest soll als Kredite gewährt werden. Zur Finanzierung des Pakets nimmt die EU-Kommission in bisher nicht gekannter Höhe gemeinsame Schulden an den Finanzmärkten auf. Sie sollen bis 2058 zurückgezahlt werden.
Weidmann hält Quarantäne für Bargeld für unnötig
Von Bargeld geht nach Ansicht von Weidmann in der Corona-Pandemie keine nennenswerte Gefahr aus. „Eine besondere Quarantäne für unser Bargeld halten wir nicht für notwendig“, sagte er. Das Übertragungsrisiko bei Münzen und Scheinen sei nicht höher als bei anderen Gegenständen im Alltag auch, daher seien die üblichen Hygieneregeln zu beachten.
Mir ist übrigens nicht bekannt, dass sich jemand über einen Geldschein mit dem Coronavirus angesteckt hätte“, fügte er hinzu.
China hatte Banknoten zu Beginn der Pandemie in Quarantäne geschickt, um eine mögliche Ansteckung durch kontaminierte Scheine zu verhindern. In den ersten Wochen der Pandemie sei die Nachfrage nach Bargeld hoch gewesen. „Die Angst vor Ansteckung hat dann aber dem kontaktlosen Zahlen einen Schub gegeben“, berichtete Weidmann.
Es bleibe abzuwarten, inwieweit die Pandemie das Bezahlverhalten auch langfristig verändere. Der Notenbankchef zeigte sich davon überzeugt, dass es auch in zehn Jahren noch Bargeld geben werde. „Es gibt zwar einen schleichenden Trend weg von der Bargeldnutzung, hin zu elektronischen Zahlungsmitteln“, sagte er.
Aber für viele Bürger bleibe Bargeld ganz wesentlich. „Es hilft dem einen oder anderen, die Ausgaben besser im Blick zu behalten. Datenschutz spielt ebenfalls eine Rolle. Manche empfinden Münzen und Scheine auch als eine Art geprägte Freiheit“, so der Bundesbank-Präsident. (dts/ks)
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