CDU-Geheimdienstexperte fordert Maas zum Rücktritt auf
Der CDU-Geheimdienstexperte Patrick Sensburg hat in Verbindung mit dem Afghanistan-Debakel den Rücktritt von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) gefordert. „Das ist ein unerträgliches Verhalten“, sagte Sensburg dem Düsseldorfer „Handelsblatt“. Der Bundestagsabgeordnete bezog sich darauf, dass Maas zuvor die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) zu Afghanistan kritisiert hatte. Früher hätten sich Minister vor ihre Beamten gestellt und ihren Rücktritt eingereicht, sagte Sensburg.
Maas versuche andere für seine Fehler und Versäumnisse haftbar zu machen, bemängelte der CDU-Politiker weiter. Sensburg sagte, dass der BND seit Jahren „detailliert und umfassend“ über Daten und Fakten in Afghanistan informiere. „Die außenpolitische Lage beurteilt und bewertet aber das Auswärtige Amt. Sonst bräuchten wir es nicht“, befand er jedoch.
Auch der Vorsitzende des Geheimdienstgremiums im Bundestag, Roderich Kiesewetter, sieht die Zuständigkeit für die Bewertung der auswärtigen Lage bei Maas‘ Ministerium. Das Auswärtige Amt stütze sich auf unterschiedliche Quellen, „vor allem auf die Einschätzung seiner Mitarbeiter vor Ort, aber auch auf die Kenntnisse von anderen Akteuren vor Ort, wie etwa die Bundeswehr, NGOs und sonstige Organisationen sowie nachrichtendienstliche Erkenntnisse“.
Özdemir: Maas versucht „Schuld von sich zu schieben“
Scharfe Kritik kam auch von Grünen-Politiker Cem Özdemir. „Maas ist eine Belastung für den Wahlkampf des SPD-Spitzenkandidaten Olaf Scholz und er versucht, die ganze Schuld von sich zu schieben Richtung Kanzleramt“, sagte er dem „Handelsblatt“. Das sei ein „unwürdiges Schauspiel“. Einen Rücktritt forderte er indes nicht.
Özdemir wies darauf hin, dass es nur noch fünf Wochen bis zur Bundestagswahl sind. „Ein Rücktritt würde nun nichts mehr bringen“, sagte er. Zudem seien bereits andere „in dieser Bundesregierung bei akutem Versagen nicht zurückgetreten“, merkte der Grünen-Politiker an. Stattdessen forderte er eine überparteiliche Aufarbeitung nach der Bundestagswahl gemeinsam mit Wissenschaftlern.
Maas hatte dem „Spiegel“ gesagt, der BND habe eine „falsche Lageeinschätzung vorgenommen, so wie andere Dienste auch“. Damit habe der Geheimdienst eine erhebliche Verantwortung für das außenpolitische Debakel rund um den Afghanistan-Einsatz.
„Die Entscheidungen, die aufgrund dieser fehlerhaften Berichte getroffen wurden, sind nach bestem Wissen und Gewissen gefallen“, erklärte Maas. Sie seien aber „im Ergebnis falsch“ gewesen, mit katastrophalen Folgen. Das könne nicht ohne Konsequenzen für die Arbeitsweise der deutschen Nachrichtendienste bleiben, sagt der SPD-Politiker. Zudem sollten Erkenntnisse anderer Dienste künftig vor einer Übernahme intensiv geprüft werden.
BND warnte bereits Ende 2020 vor Eskalation in Afghanistan
Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll allerdings die Bundesregierung laut eines Medienberichts schon Ende 2020 vor mangelnder Kampfbereitschaft der afghanischen Armee gewarnt. Im ersten Quartal dieses Jahres soll der BND diese Einschätzung wiederholt haben, berichtet das Portal „Business Insider“ unter Berufung auf Regierungskreise. Es sei schon immer der präferierte Plan der Taliban gewesen, Kabul kampflos einzunehmen.
Ziel der Islamisten sei ein „Emirat 2.0“ in Afghanistan. In der Bundesregierung und Sicherheitskreisen werden für den schnellen Fall Kabuls auch die USA verantwortlich gemacht. Deren Alleingang beim aus deutscher und EU-Sicht überhasteten Abzug der Truppen aus Afghanistan habe die Entwicklungen, die zum Fall des Landes an die Taliban führten, befeuert. Nach Informationen des Portals „Business Insider“ soll der BND seine Falscheinschätzungen zur Lage in Afghanistan am Donnerstag im Bundestag auch damit verteidigt haben, dass es von den Geheimdiensten der USA und auch Großbritanniens vor dem Fall Kabuls ebenfalls keine neuen Informationen oder Warnungen gegeben habe, die vor einer bevorstehenden Offensive der Taliban gewarnt hätten.
Grünen-Außenpolitiker: „Ich glaube den Taliban kein Wort“
Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour warnte unterdessen davor, sich auf Versprechungen der radikalislamischen Taliban in Afghanistan zu verlassen. „Ich glaube den Taliban kein Wort“, sagte er der Zeitung „Welt“ (Samstagsausgabe). Die Grausamkeit der Taliban könne „man doch jetzt schon sehr konkret am Flughafen beobachten“, warnte er. „Ich befürchte sogar, dass die neue Generation der Taliban heute noch sehr viel radikaler ist als die vor 20 Jahren.“
Der Grünen-Politiker plädierte dafür, nun „diejenigen zu retten, die man noch retten kann“. „Wenn man mit den Taliban über die Evakuierung von Ortskräften verhandelt, ist davon auszugehen, dass die sich jeden einzelnen teuer bezahlen lassen werden“, sagte er. „Entweder finanziell oder politisch.“
Besorgt äußerte sich Nouripour vor allem über die Lage außerhalb Kabuls. „Ich hatte auch viele Kontakte im Rest des Landes, in Herat, Masar-i-Scharif oder Kundus. Dass sich von dort niemand mehr meldet, beunruhigt mich sehr“, sagte er der „Welt“. Es gebe „schreckliche Nachrichten aus den Provinzstädten“, es gebe dort offensichtlich wieder öffentliche Hinrichtungen.
Nato warnt Taliban vor Behinderung von Evakuierungsmaßnahmen
Unterdessen hat das westliche Militärbündnis Nato die radikalislamischen Taliban aufgefordert, die laufenden Evakuierungen aus Afghanistan nicht zu behindern. „Wir erwarten von den Taliban, dass sie allen ausländischen Staatsangehörigen und Afghanen, die das Land verlassen wollen, die sichere Ausreise ermöglichen“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag nach einer Sondersitzung der Außenminister der Nato-Staaten. Es sei die „höchste Priorität“ des Bündnisses, Menschen in Sicherheit zu bringen.
Maßgeblich dafür sei die Sicherheit am Kabuler Flughafen. Stoltenberg dankte insbesondere der Türkei, den USA und Großbritannien dafür, dass sie mit ihren Streitkräften den Betrieb des Flughafens aufrechterhalten. „Die größte Herausforderung besteht jedoch darin, sicherzustellen, dass die Menschen den Flughafen Kabul erreichen und betreten können.“
Nach der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan am Sonntag hatten westliche Staaten in einer dramatischen Evakuierungsaktion begonnen, Menschen vom Flughafen Kabul aus auszufliegen. Vor Ort spielten sich teils dramatische Szenen ab, tausende Menschen versuchten, einen Platz in einem Flieger zu ergattern. Die Taliban kontrollieren mittlerweile den Zugang zum Flughafen.
„Solange die Evakuierungsmaßnahmen andauern“, würden Nato-Truppen weiterhin am Flughafen im Einsatz sein, sagte Stoltenberg weiter. Wegen der derzeitigen Schwierigkeiten stehe auch eine Verlängerung des Einsatzes über den 31. August hinaus zur Debatte. Die Vertreter mehrerer Mitgliedstaaten hätten dies bei den Beratungen angesprochen, „damit mehr Menschen ausreisen können“.
Berichte, dass die Nato die Entsendung der Eingreiftruppe Nato Response Force (NRF) ab dem 1. September nach Afghanistan plane, bestätigte Stoltenberg zunächst nicht. Das Magazin „Business Insider“ hatte unter Verweis auf interne Nato-Unterlagen berichtet, die NRF solle bei weiteren Evakuierungen helfen.
Dem Magazin zufolge geht aus den internen Unterlagen zudem hervor, dass die Nato die Einrichtung eines zentralen Sammelcamps für Ortskräfte aus Afghanistan plane. Im Gespräch sei dafür die US-Militärbasis Bondsteel im Kosovo oder ein Lager in Polen. (afp/dts)
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