CDU – Der heilsame Weg in die Opposition?
Epoch Times: Herr Patzelt, so wie es um die CDU momentan steht, könnte sie ihren Status als Volkspartei verlieren. Das sagte zumindest der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer. Sehen Sie das auch so?
Prof. Werner J. Patzelt: Ja; und davor warne ich die Union seit Jahren. Die aber wollte viel lieber auf politische Laufkundschaft als auf ihre Stammkundschaft setzen. Vor allem die CDU, doch später auch die CSU, gab sich der Hoffnung hin, sie könne durch Sozialdemokratisierung und Vergrünung dauerhaft die Stimmen von Wählern der Grünen oder Sozialdemokraten an sich binden; und zugleich wären ihr die Stimmen von Konservativen oder gar Rechten mangels einer Wahlalternative ohnehin sicher.
Attraktiv für Grüne und Sozialdemokraten war allerdings nur Angela Merkel als Person, doch nicht die CDU als Partei. Beim Abgang Merkels erlebt die Union in diesen Wochen, dass sie von der allein auf Merkel fixierten Laufkundschaft verlassen wird – und zugleich aber jene anderen kaum rückholbar an die AfD verloren hat, denen der sozialdemokratisierende und vergrünende Kurs Merkels zu links war. Diese Leute wieder an die Union zu binden, wird wohl unmöglich sein. Die CDU hat nämlich zwischen sich und die vergraulten Unionswähler nicht nur einen dicken Trennstrich gezogen, sondern diese auch noch oft persönlich beschimpft. Auf diese Weise hat sie sich in eine wirklich üble Lage gebracht. Mitleid verdient sie durchaus nicht, denn wer nicht hören will, muss eben fühlen.
ET: In den Umfragen ist der Vorsprung der SPD gegenüber der CDU so groß wie schon sehr lange nicht mehr. Momentan liegt die SPD bei rund 25 Prozent, die CDU bei rund 20 Prozent. Hat man mit sowas rechnen können?
Patzelt: Nein. Diese Entwicklung war auch gar nicht zwingend, selbst wenn sie sich nun gut erklären lässt. Lange Zeit galt nämlich die meinungsprägende Sympathie der meisten Journalisten den Grünen und deren Kanzlerkandidatin. Seit deren Fehler und Unzulänglichkeiten bekannt sind, sank sie in den Augen vieler Journalisten. Und weil die mehrheitlich die CDU nicht mögen, die AfD freilich noch weniger, hat die Journalistensympathie nun in Olaf Scholz eine neue Projektionsfläche gefunden.
ET: Aber das allein kann es ja nicht sein. Hat er vielleicht etwas besser gemacht als die beiden anderen?
Patzelt: Vor allem hat er Fehler vermieden. Auch versteht er es, unterstützt durch die derzeit eiserne Kommunikationsdisziplin seiner Partei, die sehr linke Ausrichtung der heutigen SPD zu verdecken. Es ist etwa gar kein Wahlkampfthema, dass ihn die SPD aus politisch-inhaltlichen Gründen durchaus nicht als Parteivorsitzenden wollte. Also glauben nun viele Leute, die Stimme für Scholz wäre nicht zugleich eine Stimme für Kevin Kühnert und Saskia Esken.
Obendrein inszeniert sich Scholz seit einiger Zeit als legitimer Erbe Merkels. Er tut einfach so, als würde er deren Politik auch in einer klar linken Koalition einfach fortsetzen, nur eben sozialdemokratischer und grüner als bislang. Das wünschen sich viele Deutsche tatsächlich. Ein Teil von ihnen wählte deshalb die CDU nur solange, wie diese Partei Merkels Plattform war und man den Eindruck hatte, man müsse den Kurs der Kanzlerin gegen die Kritiker in deren eigener Partei verteidigen. Diese Lage endet nun, und deshalb geht die Laufkundschaft.
ET: Das heißt also, mit Scholz gebe es ein Weiter so?
Patzelt: So wird es in Aussicht gestellt. Weil aber Scholz von einer im Vergleich zu ihm viel linkeren SPD abhängig ist, wird er ab einem siegreichen Wahlabend den Parteilinken viele Zugeständnisse machen müssen. Deshalb wird eine von Scholz geführten Mitte-Links-Regierung eine klar linkere Politik machen, als viele sie derzeit erwarten. Sie wird viel mehr Neues bringen als nur eine klar links-grüne Akzentuierung jener Politikprojekte, welche noch die Merkel-CDU mit der SPD auf den Weg gebracht hat. Zumindest bei diesen muss die Union dann entweder mitziehen oder im Nachhinein von ihrer so lange innerparteilich unangefochtenen Kanzlerin abrücken. Beides schadet der Union und nutzt der AfD als entweder endgültig einziger Alternative zur Regierungspolitik – oder als jener Partei, die nun auch von der Union politisch Recht bekommt.
ET: CDU, FDP und AfD könnten sich auch zu einer starken Opposition formieren, oder?
Patzelt: Unter den gewiss fortbestehenden medialen Umständen wird sich auch eine opponierende Union keine Zusammenarbeit mit der AfD leisten können. Also könnte sie zwischen einer sich staatspolitisch mäßigenden AfD und einer bald unpopulär werdenden Mitte-Links-Koalition sogar zerrieben werden. Und ob die FDP opponieren oder regieren wird, ist ohnehin noch unbekannt.
ET: Scholz hat angekündigt, mit den Grünen in eine Koalition gehen zu wollen. Sollte es nicht reichen, will er die FDP mit ins Boot holen, berichten Medien. Eine Ampelkoalition, wie könnte das überhaupt funktionieren? Und meinen Sie, die FDP wäre bereit dazu?
Patzelt: Das hängt von den Sondierungen ab – und davon, wie klar der FDP vor Augen steht, dass sie als Teil einer Mitte-Links-Koalition für viele jener Leute künftig unwählbar wird, die jetzt von der Union zur FDP wechseln und ihr ein sehr gutes Wahlergebnis bescheren.
ET: Dann wäre auch noch eine Minderheitsregierung möglich.
Patzelt: Eine von Scholz geführte Minderheitsregierung von SPD und Grünen kann leicht ins Amt gebracht werden. Der Bundespräsident muss ja nur auf die Auflösung eines Bundestages verzichten, der auch zwei Wochen nach dem ersten Wahlgang einen Kanzler nur mit einer relativen Mehrheit seiner Stimmen gewählt hat. Steinmeier hat aber schon vor vier Jahren die SPD in eine von ihr unerwünschte Regierung nachgerade hineingezwungen. Und wenn die SPD stärkste Fraktion ist, wäre es ohnehin die Aufgabe des Bundespräsidenten, ihr den Weg ins Kanzleramt zu öffnen.
ET: Wie kann dann eine Minderheitsregierung gegen eine starke Opposition bestehen, falls es die dann geben sollte?
Patzelt: Natürlich muss sich eine solche Regierung auf Verhandlungen mit Oppositionsfraktionen einlassen. Dann beginnt auch im Bundestag jenes Geben und Nehmen, das für den Bundesrat immer schon typisch war, weil dort meist die Bundestagsopposition die Mehrheit hat. Jedenfalls endet das langjährige Durchregieren und der Parlamentarismus wird revitalisiert. Das aber wäre wirklich wünschenswert.
ET: Wer wäre denn in Ihren Augen der fähigste der drei Kanzlerkandidaten? Wem trauen Sie die Kanzlerschaft am meisten zu?
Patzelt: Als CDU-Chef wäre Scholz ein tüchtiger Kanzler. Doch als SPD-Kanzler wird er – wie einst Helmut Schmidt – von der Parteilinken ausgebremst werden. Laschet seinerseits wurde in Nordrhein-Westfalen nur aufgrund der Schwäche seiner linken Konkurrenz Ministerpräsident, hat sich freilich in der Union hartnäckig gegen Merz und Söder durchgebissen. Doch seine strategischen Fehler im Wahlkampf, vom Vermeiden klarer Positionen bis hin zur Berufung eines nichtssagenden „Zukunftsteams“, stimmen hinsichtlich einer Kanzlerschaft nicht zuversichtlich. Und über Frau Baerbock muss man in diesem Zusammenhang ohnehin nichts mehr sagen.
ET: Welches Wahlergebnis wünschen Sie sich für Deutschland?
Patzelt: Am liebsten hätte ich eine schwarz-gelbe Koalition. Doch eine CDU, die im Herbst wieder an die Regierungsmacht käme, stemmte sich weiterhin gegen die Einsicht, dass sie selbst an ihrem Niedergang schuld war, würde sich nicht neu aufstellen und dann binnen weniger Jahre das traurige Schicksal der italienischen Democrazia Cristiana teilen. Am sichersten wird sie also der Gang in die Opposition zu einer ihr Überleben sichernden Kurskorrektur bringen.
Und womöglich tut eine SPD-geführte Mitte-Links-Regierung unserem Land sogar gut. Dabei zähle ich durchaus nicht darauf, dass die eine zukunftsträchtige Politik machen würde. Vielmehr würde sich der politische Streit endlich wieder dorthin verlagern, wo er fruchtbar ist. Das ist die Grenzmark zwischen der linken Mitte und der rechten Mitte, nicht aber die jetzige Frontstellung zwischen jenen, die sich einen Platz in der Mitte zuschreiben und deshalb Streit über Grundsatzfragen vermeiden, sowie sämtlichen Andersdenkenden, die man – oft auch unfair-tatsachenwidrig – als Rechtsradikale ausgrenzt.
ET: Sie meinen also, wenn Deutschland jetzt mal so richtig nach links rückt, dann könnte das der Auslöser dafür sein, langfristig zu einer vernünftigen Politik zurückzukehren?
Patzelt: Ja – und zwar einesteils deshalb, weil dann der politische Streit um Themen geführt würde, die wirklich der Klärung bedürfen. Es stünden sich dann klar gegenüber die eher Linken und die eher Rechten, die eher Staatsgläubigen und die eher Marktgläubigen, die globalisierungsfreudigen „Anywheres“ sowie die auf einen funktionierenden Sozial- und Nationalstaat angewiesenen „Somewheres“. Eine Mitte-Links-Regierung verträte stets die jeweils erstgenannte Position, die Opposition vielfach die jeweils letztgenannte.
Andernteils belehrt eine Partei nichts besser über die tatsächliche Beschaffenheit der zu gestaltenden Wirklichkeit als die von ihr getragene Last des Regierens. Genau die treibt nämlich unter den Bedingungen einer funktionierenden Demokratie viele ideologische Flausen aus.
Beispielsweise führte jene rot-grüne Koalition mit der Agenda 2010 dann doch jene für unser Land erforderlichen Arbeitsmarktreformen herbei, welche die rot-grüne Bundesratsmehrheit zur Zeit Helmut Kohls voller Überzeugung verhindert hatte. Also wird es wohl auch eine linke Regierung sein, die unter dem Druck schmerzlicher Stimmenverluste bei Landtagswahlen endlich unsere Probleme mit Migration und Integration sowie die Widersprüche unserer stark ideologiegetriebenen Energiepolitik anpackt – und das, wie einst bei der Agenda 2010, dann auch unterstützt von der parlamentarischen Opposition.
Vielen Dank für das Gespräch.
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