Cannabis-Legalisierung: Bayerns Gesundheitsminister warnt vor Zunahme von Psychosen
Alarmierende Meldungen zu Gesundheitsschäden durch Cannabis-Konsum sind viel älter, als die aktuellen Einwände des bayerischen Gesundheitsministers Klaus Holetschek (CSU). Der hat jetzt eine bald parteiübergreifende Begeisterung für eine Cannabis-Legalisierung torpediert und auf die Gefahr von schweren behandlungsbedürftigen Psychosen bei Konsumenten von Produkten mit THC-Gehalt hingewiesen – hier insbesondere unter Jugendlichen.
Der Hinweis auf Psychosen kommt hier nicht als Einzelfallinfo aus Spezialkliniken, die solche Fälle behandeln, sondern war schon 2007 Thema im renommierten Medizinjournal „The Lancet“.
Die dort publizierte Studie hieß „Cannabis use and risk of psychotic or affective mental health outcomes: a systematic review“ und wurde von der britischen Universität Bristol durchgeführt, die damals aufgrund einer Meta-Analyse feststellte, dass Cannabiskonsumenten mit einer Wahrscheinlichkeit von 41 Prozent eher an einer Psychose erkranken als abstinente Personen.
Berichtet wurde dazu auch auf „Drugcom“, einer Publikation der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Und die Forscher aus Großbritannien rechneten noch weiter: Sie nahmen sogar an, dass Cannabiskonsum bei rund 14 Prozent der psychotischen Erkrankungen eine Rolle spielt. Das war 2007. Seitdem sind Cannabis-Produkte deutlich wirkmächtiger gezüchtet worden, was ihre THC-Inhaltsstoffe betrifft. Das Problem dürfte demnach eher größer denn geringer geworden sein.
Die Debatte um die Legalisierung von Cannabis in Deutschland kann rückblickend durchaus als Teil einer linken Gegenkultur in Deutschland verstanden werden.
Ein Magazin aus dem Umfeld der Berliner Präventions- und Suchthilfeprojekte schreibt dazu:
„Aktuell geben 70-80 Prozent der Jugendlichen an, schon einmal Hanf-Produkte konsumiert zu haben. Das Unrechtsbewusstsein, bei Konzerten, in Parks oder vor dem Kinobesuch in Gesellschaft den einen oder anderen Joint zu rauchen, schwindet. „Legalize it“ hat sich von einer radikalen Forderung zur demokratisch legitimierten Sachdiskussion entwickelt.“
Seit Gründung der Grünen passierte Jahrzehnte lang dahingehend nichts. Wenn aber der ehemalige grüne Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer 2019 in das Cannabisgeschäft einsteigt, dann kann man davon ausgehen, dass der Unternehmer Fischer eine Idee davon hat, wie es mit dem Verkauf von Cannabis weitergeht. Die „Morgenpost“ kommentierte:
„Jahrelang kämpfte er in der Politik für den legalen Cannabiskonsum, jetzt steigt er ins Geschäft mit der Droge ein: Wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtet, wird der ehemalige Bundesaußenminister und Vizekanzler Joschka Fischer Mitglied im internationalen Beirat der Firma Tilray. Das kanadische Unternehmen bezeichnet sich selbst als führend in der Cannabis-Herstellung.“
Nach dem Eckpunktepapier soll das Gesetz folgen
Etwa zwei Jahre später vereinbaren SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag, „die kontrollierte Abgabe der Droge an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ einzuführen. Im Herbst 2022 präsentierte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erste konkrete Ideen zur Umsetzung in einem „Eckpunktepapier“, der nächste Schritt wäre ein fertiger Gesetzentwurf.
An der Stelle macht dann die Gewerkschaft der Polizei ihr Blaulicht an und meldet sich kritisch zu Wort:
„Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte sich in der Diskussion dafür stark gemacht, dass es – statt der Entkriminalisierung einer weiteren Droge – ein Hauptanliegen der Politik sein sollte, die Prävention zu verbessern. Die psychosozialen Risiken von regelmäßigem Cannabiskonsum wie vorzeitige Schulabbrüche und geringerer Bildungserfolg seien inzwischen empirisch belegt.“
Eine Freigabe von Haschisch sei ein falsches Signal. Gerade bei Jugendlichen könne der Konsum, so heißt es weiter, zu erheblichen Gesundheitsproblemen und sozialen Konflikten führen, weil heute häufiger deutlich höhere Wirkstoffgehalte vorlägen. Zudem lasse ein legaler Erwerb jegliche Hemmschwellen sinken, so die Polizeigewerkschaft.
Der bayerische Gesundheitsminister Holetschek steht mit seiner Kritik demnach nicht allein da. Der Minister verweist mit Mitteilung vom 8. Januar 2023 darauf, dass immer mehr Menschen wegen der Folgen von Cannabiskonsum behandelt werden, er befürchtet eine Belastung des Gesundheitssystems.
Und Klaus Holetschek nennt Zahlen, so hätten sich in Bayern die Fälle von stationär behandelten Psychosen in Verbindung mit Cannabis zwischen 2008 und 2020 mehr als verzehnfacht, von 56 auf 631 Fälle. Im ambulanten Bereich sei die Zahl der Psychosen im selben Zeitraum von 1.513 auf 2.007 Fälle gestiegen. Das zeige deutlich, „dass wir mehr Kraft in Prävention und Aufklärung stecken müssen, anstatt Cannabis legal zu machen.“
Die Befürworter einer Freigabe führen demgegenüber immer wieder ins Feld, es hätte in Ländern mit Freigabe keine negativen Entwicklungen gegeben. Der Minister verweist demgegenüber auf Beispielzahlen aus den USA: In Staaten, in denen Cannabis legalisiert worden sei, hätten sich die Fallzahlen bei den Behandlungen drastisch erhöht. Man dürfe diesen Fehler in Deutschland nicht wiederholen.
Aber Holetscheck belässt es nicht dabei zu warnen. Der Minister gab kraft seines Amtes Mitte Dezember 2022 ein Rechtsgutachten zum Thema Cannabis-Legalisierung bei der Universität Erlangen in Auftrag. Damit will er die völker- und europarechtlichen Grenzen einer Cannabis-Legalisierung in Deutschland klären.
Vor wenigen Stunden kommentierte der Bundesgesundheitsminister die Einwände seiner bayerischen Kollegen, Karl Lauterbach twitterte:
„Die Aussage von Klaus Holetschek zeigt doch, dass es in Bayern nicht läuft. Immer mehr Psychosen und trotzdem immer die gleichen Fehler weiter machen klingt nicht nach einem Plan. Kontrollierte Legalisierung stoppt Drogenkriminalität und schützt Kinder und Jugendliche.“
Schon am Vortag hatte bereits ein Tweet Lauterbachs ein Emotionalisierungspotenzial und das latente Politikum hinter dieser Debatte deutlich gezeigt:
„‚Kinder statt Cannabis‘. So ein Stuss. Es geht ja gerade um den besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen bei der kontrollierten Legalisierung, die jetzt schutzlos der Drogenkriminalität ausgesetzt sind. Auch in Bayern, wo besonders Crystal Meth ein Problem ist.“
Die Deutschen sind sich weiter uneins
Aber wie denkt der Bürger eigentlich darüber? Eine aktuelle, nicht repräsentative Umfrage auf „Focus-Online“ vom 9. Januar, Stand 13:00 Uhr ergab ein ambivalentes Bild: Weit über 60.000 Leser hatten sich zu gleichen Teilen für beziehungsweise dagegen entschieden, Cannabis zu legalisieren.
Die ältere Studie aus England ist im Übrigen nicht die einzige Quelle, welche die Haltung des bayerischen Ministers stützt. Ende 2020 zeigte auch eine Studie aus Ulm eine verheerende Entwicklung:
„Seit 2011 hat sich am Universitätsklinikum Ulm die Zahl der Psychiatriepatienten mit Cannabis-Psychose vervielfacht. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III. Mögliche Ursache ist der hohe THC-Wert von hochpotenten Neuzüchtungen sowie von synthetischen Cannabis-Produkten. Ein weiterer Grund könnte die ab 2017 geltende gesetzliche Zulassung von medizinischem Cannabis sein, vermuten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse im Journal of Clinical Psychopharmacology.“
Das Bild, welches sich den Ärzten bietet, scheint dabei auf besondere Weise geeignet, die Problematik weit über ein Politikum oder eine reine Spaßdebatte rund um das Thema zu heben:
„Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Zerfahrenheit und Verhaltensstörungen: Diese Symptome können bei einer Cannabis induzierten Psychose auftreten.“ „Für die Betroffenen ist diese Erfahrung schockierend, denn sie verlieren nicht nur den Bezug zur realen Welt, sondern auch ihr innerstes Selbst“, erklärt Professor Carlos Schönfeldt-Lecuona von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III am Universitätsklinikum Ulm.“
Die Studie aus Ulm spricht von einer Verachtfachung der Erkrankungen seit 2011. „Es spricht alles dafür, dass wir es hier mit einer allgemeinen Entwicklung zu tun haben, daher halten wir es für angeraten, hier mit weiteren und umfassenderen Untersuchungen nachzuhaken“, so die Ulmer Forschenden.
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