Bundeswehrsoldaten werfen Regierung Verantwortungslosigkeit vor
Der Vorsitzende des Patenschaftsnetzwerks afghanischer Ortskräfte, Marcus Grotian, kritisiert die Bundesregierung. „Wir sind überwältigt von Fassungslosigkeit, weil die Regierungsparteien die Warnungen missachten, die Lösungsmöglichkeiten ignorieren, die Verantwortungslosigkeiten abgeschoben haben“, sagte der Bundeswehrsoldat am Dienstag in Berlin. „Wir sind von der eigenen Regierung moralisch verletzt, und das ist beschämend.“ Bis heute würden sie das eigene Handeln loben.
Die Informationen zu Visa-Verfahren seien im Vorfeld gar nicht oder nicht eindeutig an die Ortskräfte weitergegeben worden. Zudem sei die Zahl der anerkannten Ortskräfte durch bürokratische Hürden fast halbiert worden. Alle anderen Länder würden alle Ortskräfte evakuieren, Deutschland nur solche die vorab ausgewählt wurden, so Grotian. Er bezeichnet die Versäumnisse vor der Evakuierung als „unterlassene Hilfeleistung“.
Grotians Verein setzt sich seit Jahren für einheimische Ortskräfte der Bundeswehr und anderer deutscher Stellen in Afghanistan ein. Der Offizier richtete eine Reihe von Vorwürfen an deutsche Regierungsstellen: Sie hätten Warnungen vor der drohenden Machtübernahme der Taliban zu lange ignoriert. Sie hätten durch übermäßige Bürokratie gezielt versucht, die Zahl der nach Deutschland ausreisenden Ortskräfte möglichst niedrig zu halten. Zudem gäben sie die Zahl der ausreiseberechtigten Ortskräfte viel zu niedrig an.
Grotian: „Mit bürokratischen Tricks die Zahl herunterreduziert“
Grotian warf den Regierungsstellen vor, „mit bürokratischen Tricks“ die Zahl der ausreiseberechtigten Afghanen „herunterreduziert“ zu haben. Die von der Bundesregierung genannten Zahlen von 2.500 ausreiseberechtigten Afghanen, von denen 1.900 schon in Deutschland seien, seien „mitnichten richtig“, sagte Grotian. Sein Verein gehe von 8.000 Ausreiseberechtigten aus – ehemalige Ortskräfte mitsamt Kernfamilien.
Zu den bürokratischen Hürden, die Grotian besonders kritisierte, zählt die Zwei-Jahres-Frist für Ortskräfte: Die Ausreiseberechtigung war zunächst nur solchen Ortskräften erteilt worden, die in den vorangegangenen zwei Jahren für deutsche Stellen in Afghanistan gearbeitet haben. Im Juni wurde die Regelung gelockert – die Befristung wurde gestrichen für Ortskräfte, die für die Bundeswehr oder andere deutsche Sicherheitsbehörden gearbeitet haben.
Damit seien aber jene Ortskräfte ignoriert worden, die für andere Stellen gearbeitet haben, monierte Grotian. Er berichtete von einer Afghanin, die noch 2017 für die Entwicklungshilfeorganisation GIZ gearbeitet habe. Sie schaffte es in den vergangenen Tagen am Flughafen Kabul „bis zu deutschen Soldaten – und wurde dort abgewiesen“, weil sie nicht auf einer Ausreiseliste verzeichnet gewesen sei.
„Ortskräfte wurden abgelehnt, weil sie zur falschen Zeit fürs falsche Ministerium gearbeitet haben“, beklagte Grotian. Seine Forderung sei, „alle, die für uns beschäftigt waren, nicht zurückzuweisen, sondern mitzunehmen“.
„Wir tragen diese Verantwortung den Menschen gegenüber“
Das von Grotian geleitete Patenschaftsnetzwerk verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel, die Ortskräfte bei ihrem Start in Deutschland zu unterstützen. „Wir tragen diese Verantwortung den Menschen gegenüber, die für uns und für unsere Ziele ihr Leben riskiert haben“, heißt es auf der Internetseite. Grotian war als Bundeswehroffizier selbst in Afghanistan stationiert.
Das Patenschaftsnetzwerk afghanische Ortskräfte wurde von Bundeswehrsoldaten gegründet und unterstützt die Ortskräfte sowohl bei ihrem Start in Deutschland, als auf dem Weg nach Deutschland. So hat die Organisation vor den Evakuierungen Helfer der Bundeswehr aus ganz Afghanistan in sogenannten „Safe Houses“ in Kabul untergebracht. (dts/afp)
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