Bundeswehr stimmt Unternehmen auf Kriegsfall ein

„Was tun, wenn die Straßen von Militärkolonnen genutzt werden. Was tun, wenn das Wasser nicht mehr aus dem Hahn fließt? Was tun, wenn die Elbe gesperrt ist, das Schienennetz angegriffen wird?“ Mit Fragen wie diesen konfrontierte die Bundeswehr Unternehmer. Ziel ist es, die Privatwirtschaft auf einen möglichen Kriegsfall vorzubereiten.
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Ein gepanzertes Fahrzeug der Bundeswehr am 30. Juli 2021 bei Räumungsarbeiten.Foto: Bernd Lauter/AFP über Getty Images
Von 20. November 2024

In Deutschland haben die Vorbereitungen für den Fall begonnen, dass die Bundesrepublik direkt von einem Krieg betroffen ist. Die Bundeswehr schult daher seit Kurzem Unternehmen, berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (F.A.Z.).

Grundlage ist dabei das militärische Strategiepapier „Operationsplan Deutschland“. Es soll 1.000 Seiten umfassen und ist bisher nur in Grundzügen bekannt.

Im Kern ist es ein Plan, wie im Falle einer Zuspitzung der sicherheitspolitischen Lage zügig große Truppenkontingente der NATO an die Ostflanke des Bündnisses verlegt und dort versorgt werden können. Denn Deutschlands wesentliche Aufgabe innerhalb der NATO besteht darin, als Drehscheibe für verbündete und eigene Streitkräfte zu dienen.

Tschechische, norwegische und deutsche Soldaten nehmen an einem städtischen Kampftrainingsszenario während der Militärübung Wettiner Schwert 2024 am 8. April 2024 auf dem Truppenübungsplatz Schnöggersburg bei Gardelegen, Deutschland, teil. Foto: Omer Messinger/Getty Images

Dazu müssen mehrere hunderttausend Soldaten transportiert und durchgängig logistisch und medizinisch versorgt werden, erklärt die Bundeswehr. Das heißt Waffen, Munition, Verpflegung, Medikamente, das alles muss an die NATO-Ostflanke gebracht werden.

Der Operationsplan führt dabei genau aus, welche Anforderungen im Kriegsfall innerhalb des NATO-Bündnisses an die Bundeswehr gestellt werden und welche an andere staatliche und zivile Akteure. Dabei spielt auch die Privatwirtschaft eine wichtige Rolle.

Bundeswehr spricht Unternehmer an

Aufgrund dessen fand in der Handelskammer Hamburg nun eine erste Veranstaltung statt, bei der Unternehmen von der Bundeswehr direkt angesprochen wurden.

Jörn Plischke, Oberstleutnant und Chef des Landeskommandos Hamburg, gab dabei konkrete Ratschläge an die Unternehmer, berichtet F.A.Z.

„Bilden Sie auf hundert Mitarbeiter mindestens fünf zusätzliche Lkw-Fahrer aus, die Sie nicht benötigen.“ Denn 70 Prozent aller Lastwagen auf Deutschlands Straßen würden von Osteuropäern bewegt werden. „Wenn dort Krieg ist, wo werden dann diese Leute sein?“, zitiert ihn das Medium.

Unternehmen sollten daher einen konkreten Plan machen, was von welchen Beschäftigten in Krisenfällen erwartet werde.

Zum Selbstschutz sei es wichtig, dass die ganze Belegschaft ein Gefühl für Sicherheitsfragen bekomme. Auch um Unabhängigkeit könne man sich bemühen, sagt der Oberstleutnant und nennt dabei einen Dieselgenerator oder ein eigenes Windrad zur Stromerzeugung.

Er versuche, Unternehmen in Handel, Industrie und Landwirtschaft „aufzurütteln“. Der Oberstleutnant ist nicht der Einzige, der in Deutschland unterwegs ist, um Unternehmen vorzubereiten. „Alle Landeskommandos sind beauftragt mit der Umsetzung“, teilt die Bundeswehr auf Nachfrage der F.A.Z. mit.

Drohnenüberflüge, Ausspähversuche, Waffenlagerfunde

Laut der Zeitung wies Plischke bei der Veranstaltung auf „Drohnenüberflüge und Ausspähversuche, Waffenlagerfunde und Attentatsplanungen auf Topmanager, Sabotage und Cyberangriffe, die ‚täglich und in steigender Frequenz‘ zu beobachten seien“, hin.

Und: Russland habe angefangen, einen Krieg mit der NATO vorzubereiten. In vier bis fünf Jahren werde Russland willens und in der Lage sein, weiter nach Westen anzugreifen, gibt Plischke den BND-Chef Bruno Kahl und seine Warnung wieder. Dieser schlug im Oktober Alarm und erklärte, dass Russland spätestens im Jahr 2030 in der Lage sei, die NATO anzugreifen. „Russland produziert im Moment 25 Kampfpanzer pro Monat, Deutschland drei im Jahr.“

Plischke konfrontiert die Unternehmer laut F.A.Z. mit Fragen wie: „Was tun, wenn verbündete Truppen durch unsere Stadt müssen? Was tun, wenn die Elbe gesperrt ist, das Schienennetz angegriffen wird? Was tun, wenn REWE und Aldi wegen Strommangel nicht öffnen können, die Straßen von Militärkolonnen genutzt werden und Wasser nicht mehr aus dem Hahn fließt?“

Soldaten stehen Wache vor einem IRIS-T SLM-Luftverteidigungssystem der Luftwaffe beim operativen Start des Abwehrsystems der Bundeswehr auf dem Militärstützpunkt Todendorf, Schleswig-Holstein, am 4. September 2024. Foto: Gregor Fischer/Getty Images

Bewusstsein schärfen

Einer seiner Vorschläge lautet, dass Unternehmen unterstützen sollten, dass ihre Angestellten im Heimatschutz als Bundeswehrreservist tätig seien oder sich beim THW oder der Feuerwehr engagieren. Denn dann seien ihre Unternehmen in Krisenfällen im Vorteil, weil diese Leute direkt vernetzt wären mit denjenigen, die Hamburg schützen würden, so der Soldat.

Malte Heyne, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, unterstützt das Vorgehen. „Wir müssen das Bewusstsein schärfen, wie wichtig eine gut vorbereitete und widerstandsfähige Wirtschaft für die zivile und militärische Verteidigung Deutschlands ist“, teilte Heyne der F.A.Z. mit.

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher unterstützt die Vorbereitung in der freien Hansestadt auf Krisenfälle. Erst kürzlich nahm er an der Indienststellung der 3. Heimatschutzkompanie Hamburg teil.

Sie wird im Rahmen des Heimatschutzkonzepts vorrangig für Aufgaben der inneren Sicherheit und im Katastrophenschutz eingesetzt, so die Universität der Bundeswehr Hamburg. Die Soldaten dieser Einheit hätten die Aufgabe, in Krisenfällen die zivilen Behörden zu unterstützen, insbesondere bei Naturkatastrophen, Großschadenslagen oder Bedrohungen der öffentlichen Ordnung.

Hamburg schafft 40 Zusatzstellen

Auch der Hamburger Senat bereitet sich auf verschiedene Bedrohungsszenarien vor. Laut F.A.Z. wurden mehr als 40 Stellen eingerichtet, um den Bevölkerungsschutz und die Krisenbewältigung zu verbessern.

Zudem habe es bereits eine erste gemeinsame Übung mit der Bundeswehr gegeben. Dabei sei im Rahmen der Übung „Red Storm Alpha“ der Schutz von Kaianlagen im Hafen geprobt worden, um Sabotageakte zu verhindern und Ausspähversuche abzuwehren.

Die Erfahrungen aus solchen Übungen würden wiederum in den Operationsplan Deutschland einfließen.

Wie weit die staatlichen Befugnisse im Krisenfall gehen können und wie die Rolle der Wirtschaft im Verteidigungsfall aussehen könnte, erläutert ein Papier der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) – veröffentlicht im September 2024.

Darin erklärt Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt, dass im Verteidigungsfall sogenannte Generalklauseln den staatlichen Einfluss auf die Privatwirtschaft bestimmen. „Das heißt, in den meisten Fällen regeln die Gesetze keine konkreten Einzelmaßnahmen, sondern ermöglichen grundsätzlich alle Arten von Eingriffen durch öffentliche Stellen“, heißt es dort im Vorwort.

Und: Begrenzt würden diese Befugnisse im Wesentlichen durch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Notwendigkeit.

Umstellung auf Planwirtschaft möglich

„Wenn es zur Abwendung schwerwiegender Gefahren unerlässlich sein sollte, würden die Regelungen sogar eine Umstellung der gesamten Wirtschaft auf Planwirtschaft durch den Staat ermöglichen“, so Brossardt weiter.

Das könne auch eine Beschränkung oder das Verbot des Bezugs, der Verteilung und der Abgabe von Lebensmitteln sein, die dann möglicherweise nur noch per Lebensmittelmarken erworben werden können, heißt es in dem Papier.

Auch könnten Arbeitnehmer über das Arbeitssicherstellungsgesetz, zu Tätigkeit in bestimmten Bereichen gezwungen werden – je nach Bedarf.

Mitarbeiter arbeiten an einer Produktionslinie des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall in Uelzen, Niedersachsen, im Jahr 2024. Foto: Fabian Bimmer – Pool/Getty Images

Zudem wird in dem Papier verdeutlicht, dass das für den Verteidigungsfall laut Grundgesetz vorgesehene verkürzte Gesetzgebungsverfahren kurzfristige Ausweitungen des Rechtsrahmens möglich machen. „Man sollte also bedenken, dass es im Ernstfall sehr schnell zu Änderungen kommen kann, die jetzt noch gar nicht absehbar sind“, so Brossardt.



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