Bundesverfassungsgericht und Regierung treffen sich – trotz nahendem Grundsatzurteil
Als sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und die Bundesregierung das letzte Mal zum Abendessen hinter verschlossenen Türen trafen, stand wenige Monate danach eine richtungweisende Grundsatzentscheidung über die rückwirkende Rechtmäßigkeit der Coronamaßnahmen an. Das BVerfG entschied am Ende auf Regierungslinie.
Wenn sich das Bundesverfassungsgericht und die Spitzen des Kabinetts Olaf Scholz am Abend des 8. November erneut zu Tisch setzen, hat das Gericht noch genau eine Woche Zeit, um abermals über eine bereits erfolgte Regierungshandlung zu urteilen: Nach Informationen der „Welt“ hat der Zweite Senat des BVerfG unter der Leitung von Prof. Doris König bis zum 15. November darüber zu befinden, ob die Ampelregierung „so einfach 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen, die ursprünglich für Corona eingeplant waren, in den Klimafonds verschieben“ durfte.
Sommertreffen 2021 im Zeichen der Coronakrise
Wird es sich auch diesmal so verhalten, dass das höchste deutsche Gericht im Sinne jener Exekutivrepräsentanten entscheidet, die andernfalls ein größeres Problem hätten? Andernfalls handelt es sich womöglich um einen verfassungswidrigen Verstoß gegen die Schuldenbremse. Wird es wieder einen „Blankoscheck“ für das Regierungshandeln geben, wie ihn das Nachrichtenmagazin „Apollo“ im BVerfG-Corona-Urteil vom Herbst 2021 sieht?
Wir erinnern uns: Als in der ersten Jahreshälfte 2021 bereits „Hunderte Verfassungsbeschwerden“ zur deutschen Coronapolitik auf den Schreibtischen der Karlsruher Richter gelegen hatten, trafen sich nach Informationen der „Welt“ die beiden Parteimitglieder und „Duz-Freunde“ Angela Merkel (CDU) und Stephan Harbarth (CDU), Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Ex-MdB, „zu einem viertelstündigen ‚Vorgespräch‘ allein“. Kurz darauf, am 30. Juni 2021, ging’s dann zu einem mittlerweile legendären Dinner: Merkel, die Chefin der Exekutive, und Harbarth, der Chef der Judikative, trafen sich im Beisein der übrigen Spitzenvertreter ihrer jeweiligen Gewalt bei Antipasti, Geschnetzeltem vom Rinderfilet, Schokoladenmousse und Käseplatte im Bundeskanzleramt. Das hatte eine Kleine Anfrage der AfD im Bundestag ans Licht gebracht (BT-Drucksache 19/31887, PDF).
Viel mehr ist seitdem nicht über die genussreiche Plauderstunde herausgekommen, abgesehen davon, dass sowohl die Verfassungsrichterin Prof. Susanne Baer als auch die damalige Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) das Wort ergriffen haben sollen, um über die Coronapolitik zu sprechen. Nach Angaben der „Welt“ sind über Baers Auftritt bis heute keine Einzelheiten bekannt. Ministerin Lambrecht soll einen „Impulsvortrag“ (PDF) gehalten haben, „in dem sie um Verständnis für Entscheidungen ‚unter Unsicherheiten‘ warb“, wie die „Welt“ es ausdrückte.
Und dieses Werben der studierten Juristin Lambrecht traf bei den Juristen aus Karlsruhe vernehmbar auf offene Ohren: Ende November 2021 entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts unter dem Vorsitz von Stephan Harbarth in einem Hauptsacheverfahren, dass die zum 24. April 2021 eingeführte „Bundesnotbremse“ mit ihren Schulschließungen, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen seien (Az. 1 BvR 781/21 u. a.).
Großer Vertrauensverlust
Waren bereits vor dem BVerfG-Entscheid Zweifel darüber aufgekommen, ob das Gericht nach dem Juni-Treffen im Kanzleramt noch unvoreingenommen würde urteilen können, so wurde das Misstrauen gegen Regierung und Verfassungsgericht nun besonders deutlich. Denn in der Zwischenzeit waren BVerfG-Präsident Harbarth und das gesamte Gericht höchstselbst zu dem Schluss gekommen, dass keinerlei Befangenheit vorliege und die Gewaltenteilung gewahrt bleibe.
Genau das hatte unter anderen der Berliner Rechtsanwalt Niko Härting speziell beim Thema „Bundesnotbremse“ anders gesehen und deshalb einen Befangenheitsantrag gegen Harbarth und Baer eingereicht. Wie sich nun herausstellte, erfolglos.
Sechs Minister nicht dabei
Am Abend des 8. November 2023, nach gut zwei Jahren „Dinner-Pause“, findet in Karlsruhe also der nächste lockere „Gedanken- und Erfahrungsaustausch“ zwischen den Spitzenrepräsentanten von Judikative und Exekutive statt. 2022 hatte man das Treffen wegen der Coronalage ausfallen lassen. Traditionsgemäß unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Nicht dabei sein werden nach Informationen der „Welt“ auch Finanzminister Christian Lindner (FDP), Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), Bauministerin Klara Geywitz (SPD), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Umweltschutzministerin Steffi Lemke (Grüne).
Wie die „Welt“ berichtet, soll es allerdings am Vormittag nach dem Treffen eine Pressemitteilung vom Bundesverfassungsgericht geben. Das BVerfG hatte sich nach Angaben der „Welt“ selbst zu mehr Transparenz bekannt, nachdem die Behörde im Sommer 2022 „zwei peinliche juristische Schlappen“ durch das Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe hinnehmen musste.
„Krise als Motor der Staatsmodernisierung“
Diesmal soll es auch kein Rätselraten über die Frage geben, wer zu welchem Thema referieren wird. Nach Informationen der „Welt“ kündigten Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und die Verfassungsrichterin Prof. Astrid Wallrabenstein Vorträge zum Thema „Krise als Motor der Staatsmodernisierung“ an.
Außerdem sollen Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und der Verfassungsrichter Prof. Martin Eifert über „Generationengerechtigkeit“ als „Politisches Leitbild und Verfassungsprinzip“ sprechen. Eifert hatte laut „Legal Tribune Online“ (LTO) erst im Februar des laufenden Jahres die Stelle von Rechtsprofessorin Susanne Baer übernommen, nachdem er von den Grünen nominiert worden war. Dienstlich habe Eifert „federführend“ vor allem mit verfassungsrechtlichen Streitfragen zum Thema Klimaschutz zu tun. Auch Baer und Wallrabenstein waren laut „LTO“ einst von den Grünen nominiert worden.
Reden und Aufgaben im Einklang?
Wenn Begriffe wie „Staatsmodernisierung“, „Generationengerechtigkeit“ oder der Slogan „Krise als Motor“ schon im Titel einer Rede auftauchen, ist kaum anzunehmen, dass es in den Dinner-Referaten nicht auch um die Transformationsvisionen der Ampel beziehungsweise der Kanzlerpartei SPD, um Klimapolitik und natürlich um viel Steuergeld gehen wird. Genau die Themen also, mit denen das Bundesverfassungsgericht sich bereits in den vergangenen Monaten beschäftigen musste, um am 15. November sein Urteil über das „Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021“ verkünden zu können.
Welche Auswirkungen das BVerfG-Urteil auf die „Schuldenbremse“ gemäß Artikel 109 GG haben wird, die Teile der Ampel am liebsten lockern würden, bleibt abzuwarten. Das BVerfG jedenfalls stellte bereits in seiner Pressemitteilung vom 12. April 2023 fest, dass sein Urteil richtungweisend sein könnte:
Das Verfahren gibt dem Bundesverfassungsgericht Anlass, sich mit bisher nicht geklärten grundsätzlichen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der notlagenbedingten Kreditaufnahme gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG sowie den allgemeinen Grundsätzen des Haushaltsverfassungsrechts auseinanderzusetzen.“
Schuldenbremse erstmals Thema beim BVerfG
Hintergrund des Verfahrens zur verfassungsrechtlichen Prüfung des „Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021“ (BVerfG, Az: 2 BvF 1/22) ist nach einem „Welt“-Artikel vom 27. Juni die Frage, ob die Ampelregierung legal gehandelt hatte, als sie 60 Milliarden aus einem 240-Milliarden-Euro-Kreditrahmen per Nachtragshaushalt rückwirkend in den Energie- und Klimafonds einstellen ließ, obwohl das Geld ursprünglich fest an Coronazwecke gebunden war. „Aus Corona-Hilfen wurden Klima-Hilfen“, fasst die „Welt“ die Sachlage zusammen.
Es sei das erste Mal überhaupt, „dass sich die obersten deutschen Verfassungsrichter mit der nach der Finanzkrise 2009 beschlossenen Schuldenbremse“ beschäftigen müssten.
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