Hauchdünne eigene Mehrheit für Union und SPD – AfD und Linke jubeln

Nach der Bundestagswahl vom Sonntag, 23.2., steht die Union unter Friedrich Merz vor einer schwierigen Regierungsbildung. Zwar hat die SPD, die mit 16,4 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielte, schon früh am Abend den Regierungsauftrag für die Union anerkannt. Merz rief dazu auf, schnell eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Ungewiss ist aber, welche Akteure für die Sozialdemokraten in die Sondierungsgespräche gehen werden – und, wer der neuen Regierung überhaupt angehören wird.
Immerhin ist es den Parteien gelungen, Wähler zu mobilisieren. Die Wahlbeteiligung von 83,1 Prozent entspricht nicht nur einem Plus von 6,3 Prozentpunkten gegenüber 2021. Es war auch der höchste Anteil seit 1998, als 82,2 Prozent ihre Stimme abgaben.
CSU schließt grüne Regierungsbeteiligung weiterhin aus
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat angekündigt, bis Ostern – das in diesem Jahr auf 20./21.4. fällt – eine Regierung bilden zu wollen. Bis weit in die Nacht hinein stand jedoch nicht fest, welche möglichen Regierungskonstellationen infrage kämen. Vom Einzug von FDP und BSW war es abhängig, ob ein schwarz-rotes Regierungsbündnis gemeinsam eine parlamentarische Mehrheit erreichen würde.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärte, die Grünen würden „für die Regierungsbildung nicht gebraucht“. Zu diesem Zeitpunkt war noch von einem Scheitern des BSW an der Fünf-Prozent-Hürde auszugehen. Um etwa 00:30 am Montagmorgen wies die Seite der Bundeswahlleiterin die Wagenknecht-Partei kurzzeitig mit einem Ergebnis von 5,0 Prozent aus. Eine halbe Stunde später lag das BSW wieder bei 4,987. Die letzten noch nicht ausgezählten Stimmbezirke aus Westdeutschland ließen erahnen, dass es für einen Einzug nicht mehr reichen würde. Am Ende fehlten knapp 14.000 Zweitstimmen.
Dem vorläufigen Ergebnis zufolge kommen Union und SPD zusammen auf 329 Sitze. Für die Mehrheit sind 316 erforderlich. Mit dem SSW hat zudem eine Partei ein Mandat errungen, die in den meisten Fällen mit den Sozialdemokraten stimmt. Hätte es das BSW in den Bundestag geschafft, wären Union und SPD auf einen weiteren Koalitionspartner angewiesen gewesen, um eine stabile Mehrheit gewährleisten zu können.
Nur Wähler eigener Parteien mit Leistung von Scholz und Merz zufrieden
Die Motivanalysen bei den Wählern machten deutlich, dass der SPD und Bundeskanzler Olaf Scholz vor allem keine ausreichende Kompetenz zugesonnen wurde, das Land durch Krisen zu führen. Zwar hatte Scholz gegenüber Merz bezüglich Sympathie (41 zu 24 Prozent) und persönlicher Vertrauenswürdigkeit (35 zu 29) die Nase vorn. Allerdings sehen mit 43 zu 30 Prozent deutlich mehr Wähler Merz als „dem Amt gewachsen“ und 39 Prozent trauen Merz Führungsstärke in Krisen zu – gegenüber 27 Prozent bei Scholz.
Bezüglich der Zufriedenheit mit der politischen Arbeit schnitten jedoch beide durchwachsen ab. Mit der Arbeit von Olaf Scholz waren nur 26 Prozent der Bundesbürger zufrieden – Gegenteiliges sagten 72 Prozent über ihn. Aber auch bei Friedrich Merz war die Bilanz negativ: Während 35 Prozent ihm eine gute Arbeit attestierten, äußerten sich 59 Prozent unzufrieden. In beiden Fällen waren es lediglich die Wähler der eigenen Partei, die sich mehrheitlich positiv über ihren Spitzenkandidaten äußerten.
Auch weitere Daten machen deutlich, dass die Enttäuschung über die SPD nicht mit einer Begeisterung über die Union einherging. Nur 32 Prozent der von Infratest dimap befragten Wähler trauen CDU und CSU am ehesten zu, die Probleme in Deutschland zu lösen. Der SPD trauten dies jedoch nur 15 und der AfD 14 Prozent zu – also nicht einmal alle eigenen Wähler.
Welche Motive für die Wahlentscheidung relevant waren
Interessantes Detail: Insgesamt machten 24 Prozent der Wähler die SPD für die Probleme im Land verantwortlich, 21 die Union und 20 die Grünen. Bezüglich der für eine Vielzahl an Wählern entscheidenden Frage der Migration machten jedoch 54 Prozent die Union für die „hohe Zahl an Flüchtlingen und Asylbewerbern“ verantwortlich.
Während für Unionswähler vor allem die Verringerung der Zuwanderung und die Verschärfungen beim Bürgergeld zu den wesentlichen Gründen für die Wahlentscheidung zählten, nannten SPD-Wähler hauptsächlich Vertrauen in Olaf Scholz und sozialen Ausgleich als Wahlmotive. Für Wähler der AfD waren Themen wie Zuwanderung, aber auch Teuerung und Angst um die eigene wirtschaftliche Existenz relevant. Dies geht aus den Wahltagsanalysen von Infratest dimap hervor.
Grünen-Wähler waren bezüglich beider Aspekte am wenigsten besorgt. Sie interessierten sich primär für den Klimaschutz und eine stärkere Unterstützung für die Ukraine. Wer die Linke wählte, wollte in den meisten Fällen ein Zeichen für sozialen Ausgleich und gegen eine Verschärfung bei der Asylpolitik setzen. BSW-Wähler würdigten an ihrer Partei, dass sie sich um ein gutes Verhältnis zu Russland bemühe – und in ihrem Programm die Interessen Ostdeutscher und wirtschaftlich Schwächerer betone. FDP-Anhänger wollten vor allem die Schuldenbremse beibehalten und eine marktwirtschaftliche Ausrichtung der Bundespolitik anmahnen.
Union gewann vor allem ehemalige Wähler aus SPD und FDP für sich
Besonders aufschlussreich bezüglich der Veränderungen in der politischen Großwetterlage ist die Wählerwanderung. So verlor die SPD 1,81 Millionen Wähler an die Union. Eine so massive Bewegung in Richtung von CDU und CSU hatte es zuvor nicht einmal in der Merkel-Ära gegeben.
Auch an die AfD verloren die Sozialdemokraten weitere 680.000 Stimmen. Zur Linken wanderten 540.000 SPD-Wähler ab, zum BSW 410.000. Zu den Grünen wanderten in Summe 300.000 frühere SPD-Wähler, nur von der FDP gab es Nettozuwächse (80.000 Stimmen) und die SPD konnte netto 340.000 Nichtwähler mobilisieren.
Die Union konnte neben SPD-Wählern auch 1,3 Millionen frühere Unterstützer der FDP, 1,04 Millionen Nichtwähler und 390.000 Grünen-Wähler netto für sich gewinnen. Demgegenüber verloren CDU und CSU 910.000 Stimmen netto an die AfD und 200.000 an das BSW. Etwa 60.000 Stimmen gingen auch in Richtung der Linken verloren.
AfD und BSW mobilisierten mehr als zwei Millionen Nichtwähler
Bei den Grünen, die mit 11,6 Prozent unter ihren Umfrageergebnissen blieben, fielen die Netto-Wählerwanderungen erwartungsgemäß am geringsten aus. Die Partei konnte auf ihre Stammwähler zählen, die sie wegen ihrer Klimaschutz- und Ukrainepolitik wählten. Netto-Zugewinne konnten sie von SPD (300.000 Stimmen), Nichtwählern (190.000) und FDP (170.000) verbuchen. Demgegenüber gaben sie 600.000 Nettostimmen an die Linke, 390.000 an die Union, 130.000 an das BSW und sogar 90.000 an die AfD ab.
Die FDP verlor an alle anderen Parteien stark – neben der Union auch an AfD (800.000 Stimmen) und BSW (240.000). Die AfD konnte 1,86 Millionen Nichtwähler zurück an die Urne holen. Auch der Linken nahm sie netto 100.000 Stimmen ab. Allerdings wanderten auch 60.000 frühere AfD-Wähler zum BSW.
Die Linke konnte allen anderen politischen Kräften Stimmen abjagen, mit Ausnahme von BSW (minus 340.000) und AfD. Die Wagenknecht-Partei profitierte am stärksten von ehemaligen Nichtwählern und der SPD mit jeweils 410.000.
Grüne nur noch bei jungen Frauen in Städten überdurchschnittlich erfolgreich
CDU/CSU und SPD verdanken ihre Ergebnisse vor allem Wählern aus der älteren Generation. In der Altersgruppe von 60 aufwärts kam die Union auf 37 Prozent, auch die SPD schnitt mit 23 Prozent überdurchschnittlich ab. Den dritten Platz belegte dort die AfD mit 15 Prozent. FDP, Linke und BSW landeten mit jeweils vier Prozent dort unter der Fünf-Prozent-Hürde.
Demgegenüber wurde die Linkspartei erstmals zur stärksten Kraft in der Gruppe bis 25 Jahre. Mit 25 Prozent hat sie dort offenbar vor allem den Grünen den Rang abgelaufen. Diese landeten in der Altersgruppe bei elf Prozent, noch hinter Union und SPD. Die AfD kam unter den jungen Wählern auf 21 Prozent. Nur bei jüngeren Frauen in Städten konnten die Grünen mit 20 Prozent an ihre früheren Erfolge anschließen.
Eine weitere auffällige Entwicklung war, dass sich das Wahlverhalten in Ost- und Westdeutschland noch weiter auseinanderentwickelt hat. Das betrifft vor allem die Ergebnisse der AfD, die in manchen Stimmkreisen des Ostens sogar nahe an die 50-Prozent-Marke herankam.
AfD in allen ostdeutschen Bundesländern stärkste Kraft
In Sachsen-Anhalt hat die AfD ihr Ergebnis von 2021 um knapp 20 Prozentpunkte verbessert und liegt bei 37,1 Prozent. In Thüringen kommt sie auf 38,6 Prozent, in Sachsen auf 37,7. Die CDU gewinnt in den ostdeutschen Ländern nur geringfügig dazu, die SPD verliert noch deutlicher als im Bundesdurchschnitt. Nur noch in großen Städten können sich Vertreter anderer Parteien gegen Kandidaten der AfD behaupten – wie etwa der frühere thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow, der in Erfurt und Weimar knapp das Direktmandat holt.
In Brandenburg liegt die AfD mit 32,5 Prozent der Zweitstimmen ebenfalls voran, die SPD stürzt dort von 29,5 auf 14,8 Prozent ab. Die CDU legt leicht um 2,8 Prozent auf 18,1 Prozent zu. Zweistellige Ergebnisse erzielen dort auch BSW und Linkspartei. Die Grünen können sich vor allem dank des Berliner Umlandes bei 6,6 Prozent halten.
Mit 35 Prozent setzte sich die AfD auch in Mecklenburg-Vorpommern an die Spitze. Die SPD, die seit 1994 den Ministerpräsidenten im Land stellt, fiel mit 12 Prozent hinter die CDU zurück.
Liberale an Position zum Ukrainekrieg gescheitert?
Die FDP hat ihre Chance auf den Wiedereinzug in den Bundestag vor allem in den ostdeutschen Bundesländern vergeben. Dort blieben die Liberalen in allen Flächenländern deutlich unter vier Prozent. Die deutlichen Verluste an das BSW legen den Schluss nahe, dass es vor allem die Unterstützung der Ukraine und das auch im Wahlkampf offensiv vorgetragene Bekenntnis zu Taurus-Lieferungen war, die den entscheidenden Prozentanteil zum Wiedereinzug gekostet hatten.
Das BSW hingegen konnte in den westdeutschen Bundesländern kaum Fuß fassen und bleibt auch in den Stadtstaaten unter den Erwartungen. Eine Ausnahme bildet Berlin, wo die Wagenknecht-Partei mit rund sieben Prozent über dem Bundesdurchschnitt blieb. Die Linke wurde in der Bundeshauptstadt mit 19,9 Prozent stimmenstärkste Kraft. Die Union landete dort vor den Grünen auf Platz zwei.
Die CDU konnte vor allem in westdeutschen Bundesländern wie Baden-Württemberg, NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz überdurchschnittlich zulegen, in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, aber auch im Saarland und Berlin blieben die Zugewinne unter dem Bundesschnitt. Das Saarland war auch das einzige westdeutsche Bundesland, in dem das BSW über fünf Prozent kam. Die AfD kam dort auf ihr bestes West-Ergebnis mit 21,6 Prozent. Die CSU in Bayern verbesserte sich um sechs Prozentpunkte auf 37,2 Prozent. Mit 19 Prozent liegt die AfD dort auf Platz zwei.
Wulff: AfD und Linke schicken Merz „wahrscheinlich einen Blumenstrauß“
In überraschend deutlicher Weise hat der frühere Bundespräsident Christian Wulff Kritik am Wahlkampf der Union geübt. Gegenüber dem NDR äußerte Wulff, die Polarisierung der letzten Wahlkampfwochen war „offenkundig falsch, denn die Ränder sind stärker geworden“. Er gehe davon aus, dass AfD und Linkspartei „wahrscheinlich Friedrich Merz einen Blumenstrauß schicken“ werden.
Tatsächlich hatte Infratest dimap die Union unmittelbar nach dem Zerbrechen der Ampelkoalition bei 34 Prozent gesehen. Demgegenüber lag die AfD noch bei 18 und die Linke bei drei Prozent. Am Wahlabend kamen CDU und CSU zusammen nur auf 28,5 Prozent, die AfD auf 20,8 und die Linke auf 8,8 Prozent.
Bereits jetzt zeichnen sich zwei einschneidende Veränderungen in der politischen Landschaft ab. Der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz hat noch am Wahlabend angekündigt, er werde in die bevorstehenden Koalitionsgespräche mit der Union nicht involviert sein. Außerdem hat auch FDP-Chef Christian Lindner angekündigt, er werde bei einem Ausscheiden seiner Partei aus dem Bundestag seinen Rücktritt als Parteichef erklären. Lindner hatte die FDP 2013 übernommen, als sie ebenfalls unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben war.
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