Bundestag beschließt 156 Milliarden-Euro-Paket gegen Corona-Krise
Update 16:55 Uhr
Die Bundestagsabgeordneten sind dem Vorschlag des Bundesrates zur Aussetzung der Schuldenbremse gefolgt. Damit ermöglichte das Parlament der Bundesregierung, hohe neue Schulden zur Bewältigung der Corona-Krise aufzunehmen. Für die Vorlage votierten in namentlicher Abstimmung 469 Abgeordnete. Es gab drei Gegenstimmen. 55 Abgeordnete enthielten sich. Die im Grundgesetz vorgeschriebene Kanzlermehrheit wurde damit erreicht. Hierfür muss die Mehrheit aller Abgeordneten mit Ja stimmen.
Im Nachtragshaushalt des Bundesfinanzministeriums, dem die Abgeordneten am Nachmittag bereits zugestimmt hatten, ist eine Neuverschuldung von rund 156 Milliarden Euro vorgesehen. Der Nachtragshaushalt soll zum einen die neuen Unterstützungsleistungen für Bürger und Unternehmen in der Corona-Krise finanzieren und zum anderen die erwarteten Steuerausfälle kompensieren.
Das Votum des Bundestags ermöglicht eine Abkehr von dem jahrelang durch die Bundesregierung vertretenen Prinzip der „schwarzen Null“. Seit 2014 war der Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung ausgekommen. Der nun verabschiedete Nachtragshaushalt wird komplett durch Schulden finanziert. Dafür musste die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse ausgesetzt werden.
Für die Aussetzung der Schuldenbremse nutzten die Abgeordneten eine Notfallregelung im Grundgesetz. Darin heißt es: „Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“, kann der Bund die vorgegebenen Kreditgrenzen überschreiten.
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Italien, Spanien, Frankreich, Österreich. Längst hat das Coronavirus Europa erreicht. Nun gilt es, das Virus auch in Deutschland zu bekämpfen. „Ja, wir schränken die Bewegungsfreiheit ein“, sagte Finanzminister Olaf Scholz während der heutigen Bundestagsdebatte, die mit einem großen Applaus der Abgeordneten eröffnet wurde. Ihr Dank galt dem Engagement aller Gesundheits- und Sicherheitskräfte sowie anderen Menschen, die ihren Dienst während der Corona-Krise leisten.
Für die derzeitigen Beschränkungen setze man auf das Verständnis der Bürger, betonte Scholz. Und die meisten von ihnen würden sich daran halten. Das öffentliche und soziale Leben sei eingeschränkt, damit die Ausbreitung des Virus verlangsamt werde.
Viele Mails, Briefe und Anrufe würden derzeit bei den Abgeordneten eingehen. Sie berichten über die Sorgen und Nöte von Bürgern und Unternehmen. Es werde alles Nötige und Mögliche unternommen, um die Krise abzuwenden, sagte Scholz. Aktuell gehe es um gute Gesundheit, den Lebensunterhalt der Deutschen und darum, die Wirtschaft zu stabilisieren.
Mit erneuten 3,5 Milliarden Euro werden – bei Verabschiedung des Rettungspaketes – Krankenhäuser unterstützt. Unter anderem sollen die bestehenden 28.000 Intensivbetten in den Kliniken verdoppelt werden.
Als Gesetzgeber sei die Regierung verpflichtet, den Bürgern beizustehen. Für Kleinunternehmen soll es Zuschüsse bis zu 15.000 Euro geben. Auch eine vereinfachte Regelung zur Beantragung von Kinderzuschlägen sei geplant. Zur Bewältigung der Krise will die Regierung einen Nachtragshaushalt von 156 Milliarden Euro netto verabschieden. Das sei „eine gigantische Summe“, so Scholz. Er fügte hinzu: „Wir können uns das leisten.“ Denn Deutschland genieße höchste Bonität an den Finanzmärkten und habe einen niedrigen Schuldenstand.
Keine Abdankung des Parlaments
„Die Regierungspolitik enthält viele Einsichten, die wir teilen“, sagte Alexander Gauland (AfD) in seiner Rede. „Zusammenstehen ist jetzt erste Bürgerpflicht.“ Soweit temporäre Beschränkungen gelten, werde die Partei diese befürworten. „Eine Abdankung des Parlaments“ werde die AfD jedoch nicht unterstützen.
Gleichzeitig wies Gauland auf die Missverhältnisse hin. Denn die derzeitige Situation sei bereits im Jahr 2012 analysiert worden. „Das Krisenszenario war 2012 bekannt“, sagte Gauland. Insoweit sei unverständlich, warum es keine ausreichenden Vorsorgemaßnahmen geben würde. Zudem vermisse die Partei einen Plan für die Zeit nach den drei Monaten, die mit dem derzeitigen Rettungsschirm abgedeckt werden.
Die Bevölkerung habe Angst und um diese Angst zu beseitigen, bräuchte es mehr als Geld, sagte Gauland. Es bräuchte eine Strategie. Insoweit fragte er nach Alternativen für den jetzigen Kurs und wann diese bekanntgegeben würden.
Nachbarschaftshilfen im Aufwärtstrend
„Die Menschen wachsen über sich hinaus“, erklärte Ralph Brinkmann (CDU/CSU). Die Nachbarschaftshilfen, von denen man erfahre, machten ihn sehr stolz. Gleichzeitig seien es auch „dunkle Tage“ für die Menschen, die Angehörige verloren haben und für diejenigen, die sich Sorgen um ihre Existenz machen.
Die Situation sei eine „einmalige Herausforderung“, von den ganz Kleinen bis zu den Großen, von den Schwachen bis zu den Starken. Keiner könne sich dieser Lage entziehen. „Wir werden kämpfen“, sagte Brinkmann, und zwar um den Zusammenhalt in dieser Krise und auch in Europa, damit „nicht jeder sein eigenes Ding macht“.
„Wir wissen nicht, ob wir jetzt alles richtig entscheiden“, betonte Brinkmann. Den Mut zu haben, Fehler zu machen, sei politische Führung. Und das sei besser, als nichts zu tun. Wichtig sei es, die Maßnahmen zu befristen, weil ein Eingriff in vielerlei Rechte durch das Gesetz beschlossen würde. „Gesetze und Geld“ seien das eine. Doch auch die Umsetzung müsse ohne Bürokratie möglich sein.
„Wir beginnen langsam wieder zu begreifen, was die wirklich wichtigen Dinge sind“ – vom Besuch der Großeltern, über die Arbeit und die Freiheit, sich mit Freunden zu treffen. Wie lange diese Krise dauere, könne nicht abgesehen werden.
Nach Corona wird Deutschland ein besseres Land sein“, hob Brinkmann hervor.
Schnellstmöglich zurück in die Freiheit
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner erinnerte daran, dass die Regierungserklärung zur Corona-Krise erst drei Wochen zurückliege. Seitdem habe sich die Lage dramatisch verändert. „Das öffentliche Leben ist runtergefahren“. Manche hätten Zweifel an den Maßnahmen, aber nach jetzigem Informationsstand wäre alles andere „riskant“, so Linder. Daher seien die derzeit geltenden Freiheitseinschränkungen verhältnismäßig. Gleichzeitig müssten Behörden und Regierung alles dafür tun, damit die Menschen schnellstmöglich in Freiheit zurückkehren können.
Mit Blick auf das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn beabsichtigte Handytracking, betonte Lindner: Das Auslesen von Mobilfunkdaten solle zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden, dafür habe die FDP gesorgt. Die Partei hätte sich zudem ein Sonderwohngeld gewünscht. Dies wurde aber nicht in das Hilfspaket aufgenommen. Da es darum gehe, Schaden vom deutschen Volk und der Bevölkerung abzuwenden, werde die FDP den Regierungsvorlagen zustimmen.
Alles was ein Staat fiskalisch in die Waagschale werfen könne, müsse man nutzen, so Lindner. Aber auf Dauer werde der Staat für das, was er jetzt auf den Weg bringt, zahlen müssen. Dabei dürfe die derzeitige wirtschaftliche Krise nicht einseitig zu Lasten der Bürger in der Zukunft gehen. Insoweit korrigierte der FDP-Chef seinen Vorredner:
Es war nicht der Staat, der gut gewirtschaftet hat. Es waren die Menschen, es war der Mittelstand.“
Linke fordert Sonderabgabe für Reiche
Amira Mohamed Ali (Linke) betonte, dass das Hilfspaket „viele gute Regelungen“ enthalte, mit dem die Partei einverstanden sei. Dennoch würden viele Regelungen fehlen. Der Dank für die erhöhte Arbeitsbelastung und das Engagement des medizinischen Personals sei mit einer monatlichen Wertschätzung von 500 Euro angebracht gewesen. Aber diese Regelung habe es nicht in das Paket geschafft.
Die Politikerin betonte, dass es „ein fataler Fehler“ gewesen war, viele Produktionen auszulagern. Dies zeige sich jetzt in der Krise. Sie bemängelte: „Gesundheit ist keine Ware.“ Insoweit seien die Einsparung der vergangenen Jahre falsch gewesen.
Die Linken plädierten dafür, Hartz IV-Empfänger und Rentner mit dem von den Linken eingebrachten Antrag zu unterstützen. Sie sollen eine Aufstockung von 200 Euro erhalten
Die Schuldenbremse habe die Linke schon immer für einen Fehler gehalten, führte die Abgeordnete an. Gleichzeitig dürfe die Rückzahlung der Schulden nicht zum Sozialabbau führen. Daher fordert die Linke eine Sonderabgabe für Multimillionäre und Milliardäre, damit diese ihren Beitrag leisten. Eine dauerhafte Einschränkung der Freiheitsrechte werde die Partei hingegen nicht unterstützen.
Fehler sind unvermeidbar
„Menschen rücken auseinander und zusammen wie nie“, sagte Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Grüne). Es gäbe unzählige Beispiele für Gemeinsamkeit und Hilfe.
Bereits jetzt gab die Grünen-Politiker zu verstehen: „Wir werden Fehler machen“. Aber sie hoffe, dass diese Fehler auch korrigiert werden. Es gehe um Vertrauen in einen Staat, der „keinen vergisst“ und der europäisch handelt.
Die Krise würde bereits dunkle Schatten zeichnen. Die Autoindustrie stehe still. Kurzarbeit, geschlossene Kinos, Kulturbetriebe ohne Aufträge und Landwirte, die um ihre Aussaat und Ernten bangen. Dass eine Bonuszahlung für medizinisches Personal nicht in das Rettungspaket aufgenommen wurde, bedauere Göring-Eckardt.
„Wir sorgen uns um unsere grundlegenden Rechte und Freiheiten“, betonte sie in ihrer Rede. Aber auch, wenn Polizisten wieder nach dem Woher und Wohin fragen würden, sei die demokratische Kontrolle nicht ausgesetzt. Daher werde das Parlament den Epidemiefall ausrufen und nicht die Regierung.
25 Jahre bis zu Pest, aber 25 Tage bis zum Coronavirus
25 Jahre habe es im Mittelalter gedauert, bis die Pest nach Europa gekommen sei. Jetzt habe es 25 Tage gedauert, bis das Coronavirus Deutschland erreicht habe, sagte Dr. Rolf Müzenich (SPD). „Nur gemeinsam können wir die Herausforderung meistern – im Land und im deutschen Bundestag.“ Das Coronavirus treffe jeden. Das müsse jeder Einzelne begreifen. Vorrangiges Ziel sei es, Leben zu retten.
„In der Tat werden wir Fehler machen.“ Darin stimmte der SPD-Abgeordnete seinen Kollegen zu. Aber ein Schutzschirm müsse über alle ausgebreitet werden, damit die Krise bewältigt werden kann.
„Nicht jeden Preis der Globalisierung dürfen wir zahlen“, sagte Müzenich mit Blick auf die Lieferengpässe im Schutzmaßnahmen und Medikamente. Es gelte, Lieferketten neu zu überdenken.
AfD kritisierte schlechte Vorbereitung
„Die Gesundheit der Menschen haben immer Priorität.“ Die Maßnahmen gegen eine Ausbreitung der Pandemie und für die Ausrüstung der Krankenhäuser werden von der Partei unterstützt, sagte AfD-Politiker Peter Boehringer.
Aber schon nach wenigen Wochen seien die Maßnahmen der Regierung existenzgefährdend. Dabei ginge es nicht um das völlig unbestrittene Unterbinden von Corona-Partys oder die Minimierung von Sozialkontakten.
Ein ganzes Land in den Stillstand zu versetzen, führe schon nach kurzer Zeit zu „irreversiblen Folgewirkungen“, psychischen Beschränkungen und finanziellen Belastungen. Es sei eine „Illusion“, dass Steuergelder ausreichend könnten, die derzeitig fast vollständig unterbundene Wertschöpfung des Privatsektors zu ersetzen.
„Die deutschen Unternehmen erwirtschaften Werte in Höhe 3,5 Billionen Euro pro Jahr, also jeden Monat 300 Milliarden.“ Der Staat könne mit der geplanten „gewaltigen Maßnahme“ nicht einmal die Hälfe davon für sechs Monate ersetzen.
Antrag auf zeitliche Befristung der Maßnahmen
Heute müsse sich alles der medizinischen Notwendigkeit unterordnen, so Boehringer. Aber eine zeitliche Überprüfung der Maßnahmen sei immer wieder notwendig. Daher habe die AfD einen Generalantrag zur engen zeitlichen Befristung der Maßnahmen eingereicht.
In drei bis vier Wochen könnte die erste Spitze der Coronavirus-Krise vorüber sein. Im April werde dann bei einem wirtschaftlichen Schaden, einem Ausfall von 50 Milliarden Euro pro Woche, ein langsames „Wiederhochfahren“ des Landes unumgänglich sein.
Je nach der Änderung der Lage sollen die Maßnahmen überprüft werden. Insoweit fordert die AfD auch einen Ausstiegsplan aus der Corona-Krise von der Regierung. „Von nichts kommt nichts“, der Strom komme auch nicht aus der Steckdose. Und staatliche Hilfsgelder kämen nicht aus einem KfW-Kreditschöpfungsprozess.
„Man kann sich nicht dauerhaft aus einer Krise drucken“, so Boehringer. Das Land müsse nach drei Monaten wieder selbst zum Wirtschaften kommen. Auf Dauer sei nur eine halbwegs vermögende und freie Gesellschaft eine gesunde Gesellschaft. Die Kolleteralschäden des Shutdowns würden schon in wenigen Wochen untragbar für die Wirtschaft und unerträglich für die Bevölkerung werden.
Hilfspaket von 156 Milliarden Euro unter „außergewöhnlichen Umständen“
Der Bundestag will bereits am Nachmittag die vom Bundeskabinett beschlossenen Maßnahmen verabschieden, unter anderem einen Schutzschirm für Unternehmen sowie Hilfen für Selbstständige und Kleinunternehmer.
Weitere Hilfen gehen an Krankenhäuser, Mieter, Hartz-IV-Anwärter und sozial schwache Familien mit Kindern. Die Abgeordneten sollen es dem Bund ermöglichen, neue Kredite in Höhe von rund 156 Milliarden Euro aufzunehmen.
Die Abgeordneten saßen im Plenum weit auseinander, auf vielen Sitzen lagen Schilder mit der Aufschrift „Bitte freilassen“. „Jeder sieht es: Wir tagen unter außergewöhnlichen Umständen“, sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). „Niemand darf leichtfertig seine oder die Gesundheit Anderer aufs Spiel setzen.“ Gleichzeitig seien die Abgeordneten aber verpflichtet, ihre Verantwortung wahrzunehmen.
Vize-Kanzler Scholz vertrat Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich in häuslicher Quarantäne befindet. (afp/sua)
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