Bundesregierung gestattet sich beim Energiesparen tiefe Eingriffe in private Bereiche

Die Ampel-Koalition bringt kurz vor Sitzungsbeginn eines Ausschusses ein Gesetz ein. Die Diskussion im Bundestag findet dazu nicht statt. Staatsrechtler sehen verfassungsrechtliche Probleme.
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Die Regierung kann künftig bestimmen, wann das Licht auszugehen hat.Foto: iStock/Ralf Geithe
Von 1. Januar 2023

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Die Bundesregierung hat sich durch eine Ergänzung im Energiesicherungsgesetz weitreichende Befugnisse zu Eingriffen in private Lebensbereiche geschaffen. Konkret ist es Paragraf 30, den Staatsrechtler allerdings für verfassungswidrig halten.

14 Minuten Zeit für 43 Seiten

Vor allem die Art und Weise, wie dieser neue Paragraf durch die parlamentarischen Gremien gelaufen ist, lässt aufhorchen. Wie die „Welt“ berichtet, erhalten die Mitglieder des Bundestagsausschusses für Klimaschutz und Energie am 5. Juli 2022 eine E-Mail der Ampel-Koalition.

14 Minuten vor Sitzungsbeginn des Gremiums präsentieren SPD, Grüne und FDP auf 43 Seiten „Präventive Maßnahmen zur Vermeidung eines Krisenfalls in der Energieversorgung“.

Dazu gehört auch der neue Paragraf 30. Wird er verabschiedet, ermächtigt er die Bundesregierung zu Zwangsmaßnahmen, wenn es knapp werden könnte bei Strom, Gas oder Öl. Der Text des Antrags ist kompliziert, die Zeit im Ausschuss kurz.

Dennoch winken SPD, Grüne, FDP und Linke den Gesetzentwurf durch. Nur zwei Tage später verabschiedet ihn auch der Bundestag. Der Paragraf 30 kam dabei gar nicht zur Diskussion, wie das Plenarprotokoll belegt.

Habeck wollte gesetzliche Regelungen

Die Bundesregierung hat sich nun die Legitimation geschaffen, auch private Haushalte zum Sparen zu zwingen. Damit wollen die Regierenden per Verordnung eine „unmittelbare Gefährdung oder Störung der Energieversorgung, insbesondere im Fall einer drohenden Knappheit von Kohle, Erdgas oder Erdöl“ vermeiden.

Der Sparzwang bezieht sich dann auf „feste, flüssige und gasförmigen Energieträger, von elektrischer Energie und sonstigen Energien“. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte bereits geäußert, dass weitere Maßnahmen zum Energiesparen nötig seien, reichten die Speichermengen nicht aus. Dies müsse „zur Not auch gesetzlich“ erfolgen. Mit dem abgesegneten Paragrafen 30 hat er nun die dazu nötigen Instrumente an der Hand.

Arbeit von Bäckern könnte zeitlich begrenzt werden

Die Inhalte sind juristisch sehr umstritten. Der Paragraf 30 gestatte es der Regierung, in jeden energierelevanten Bereich einzugreifen, sagt der Staatsrechtler Volker Boehme-Neßler. Der Professor lehrt Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg.

Beispielsweise könnten Behörden Großbäckereien anweisen, nur noch wenige Stunden am Tag Backwaren herzustellen. Für energieaufwändige Bereich wie die Glasindustrie könnte gar ein Produktionsstopp angeordnet werden.

Beleuchtungs- oder Heizverbote, geschlossene Saunen oder Temperaturvorgaben für Räume könnte die Regierung ebenfalls anweisen. Darauf weist Boehme-Neßlers Kollege Josef Franz Lindner, Professor an der Universität Augsburg, hin.

Zu viel Spielraum für Regierung

Die Staatsrechtler halten diese massiven Maßnahmen für verfassungswidrig. „Wie im Infektionsschutzrecht muss der Bundestag schon selbst entscheiden, welche Grundrechtseingriffe er den Bürgern zumuten will“, meint Lindner. Genau wie bei Corona müsste er einen „Instrumentenkasten“ bereitstellen, mit einer Liste von Maßnahmenbeispielen. Der Paragraf 30 gewähre der Regierung zu viel Spielraum.

Auch sein Kollege Boehme-Neßler beklagt eine Entmachtung des Parlaments: „Dahinter steht dieselbe Idee wie bei Corona: Die Krise ist angeblich die Stunde der Exekutive. Sie müsse dann schnell handeln können, ohne vom Parlament behindert zu werden. Das halte ich für undemokratisch. Das Parlament kann schnell handeln, wenn es sein muss. Auch das haben wir manchmal in der Corona-Krise gesehen.“

Regelung greift bereits bei drohender Knappheit

Zudem gilt das Gesetz nicht erst bei einer akuten Notlage. Es greift bereits, wenn die Bundesregierung eine „drohende Knappheit von Kohle, Erdgas oder Erdöl“ feststellt.  Amtlich ist das bereits: Seit 30. März gilt in Deutschland die Frühwarnstufe im „Notfallplan Gas“, seit 23. Juni sogar die Alarmstufe.

So konnte die Bundesregierung auch Ende August, als die Gasspeicher schon wieder zu 82 Prozent gefüllt waren, auf die Verordnungsermächtigung in Paragraf 30 erst zurück- und dann durchgreifen.

Seitdem ist es untersagt, private Pools und Gemeinschaftsflächen in öffentlichen Gebäuden zu beheizen. Auch das nächtliche Beleuchten öffentlicher Gebäude und Werbeanlagen ist verboten. Türen von Geschäften dürfen auch nicht mehr dauerhaft offenstehen.

Ausschließlich kaltes Wasser zum Händewaschen gibt es in „öffentlichen Nichtwohngebäuden“. In Arbeitsräumen wird die Höchsttemperatur beim Heizen – je nach Tätigkeit – festgelegt. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen zur Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen. Hausbesitzer müssen ihre Heizungsanlagen energetisch optimieren.

Bislang sind keine Strafen vorgesehen

Verstöße werden zurzeit aber noch nicht geahndet. Das sorgt jedoch bei Verbänden für Irritationen. „Wir haben zahlreiche Anfragen von Verbänden und Unternehmen bekommen, die Verunsicherung ist groß. Auch wir können nicht eindeutig sagen, ob es überhaupt kontrolliert und sanktioniert wird“, teilt die CDU-Fraktion im Bundestag mit.

AfD spricht von „parlamentarischer Unsitte“

Dass der Paragraf 30 kurzfristig eingebracht und ohne große Diskussion durch den Ausschuss lief, scheint keine Besonderheit zu sein. „Die kurzfristige Einreichung von umfangreichen Änderungsanträgen ist eine parlamentarische Unsitte. Es bleibt keine Zeit für eine sorgfältige Prüfung“, kritisiert Steffen Kotré, energiepolitischer Sprecher der AfD-Fraktion. In der Kürze der Zeit sei es nicht möglich gewesen, sich mit den neuen Regelungen zu beschäftigen.

Dem Vernehmen nach wollte Habeck ursprünglich Verordnungen nach Paragraf 30 im Alleingang erlassen können, doch die FDP sorgte dafür, dass darüber zunächst das ganze Kabinett entscheiden muss. Haushalte waren laut Bundesnetzagentur im Oktober für rund 33 Prozent des Gasverbrauchs verantwortlich. Bei ihnen gibt es viel Einsparpotenzial, dort ist die Verlockung zu weiteren verpflichtenden Energiesparmaßnahmen am größten.

 



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