Bundesregierung erkennt Kolonialverbrechen in Namibia als Völkermord an – und zahlt Milliardenbetrag
Nach über fünf Jahren Verhandlungen hat sich die deutsche Bundesregierung mit Namibia auf einen Umgang mit der kolonialen Vergangenheit geeinigt – insbesondere mit den Gräueltaten an den Herero und Nama in der Zeit von 1904 bis 1908. „Wir werden diese Ereignisse jetzt auch offiziell als das bezeichnen, was sie aus heutiger Perspektive waren: ein Völkermord“, sagte Außenminister Maas am Freitag.
Bis jetzt hatte die Bundesregierung das Wort aus juristischen Gründen vermieden, selbst die Bundeszentrale für politische Bildung sprach lieber von einem „Vernichtungsfeldzug“. Bis zu 60.000 Herero und etwa 10.000 Nama wurden getötet, viele von ihnen ließen deutsche Militärs absichtlich in der Wüste verdursten.
Teil des für Deutschland von Ruprecht Polenz mit Namibia ausgehandelten Deals: Das Land und die Nachkommen der Opfer sollen mit einem Programm in Höhe von 1,1 Milliarden Euro zum Wiederaufbau und zur Entwicklung unterstützt werden – allerdings verteilt auf die nächsten 30 Jahre. „Bei den von Deutschland finanzierten Vorhaben geht es auf Wunsch der namibischen Seite um die Bereiche Landreform, einschließlich Landkauf und Landentwicklung, Landwirtschaft, ländliche Infrastruktur und Wasserversorgung sowie Berufsbildung“, sagte Maas. „Rechtliche Ansprüche auf Entschädigung lassen sich daraus nicht ableiten“, so der Minister.
Vertreter der Gemeinschaften der Herero und Nama waren nach Ansicht der Bundesregierung auf namibischer Seite in die Verhandlungen „eng eingebunden“, was die aber zum Teil anders sehen.
Keine Wiedergutmachungspflicht
Der Begriff Völkermord ist auch unter der Bezeichnung „Genozid“ geläufig. „Genozid“ ist aus dem griechischen „genos“ (Herkunft, Stamm) und dem lateinischen „caedere“ (töten) zusammengesetzt. Der polnisch-jüdische Jurist Raphael Lemkin prägte den Begriff zwischen 1943 und 1944, um eine Grundlage für die Bestrafung der von den Nazis begangenen Verbrechen zu legen.
Völkermord umfasst nach Artikel 2 der UN-Konvention 260 aus dem Jahr 1948 Handlungen gegen Mitglieder einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe, die in der Absicht begangen werden, die Gruppe ganz oder zum Teil auszulöschen. Mit der Konvention 260 wurde der Völkermord international geächtet. In Deutschland trat die Konvention 1955 in Kraft. Sie gilt nicht rückwirkend. Aus der historischen Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama ergibt sich für Deutschland daher keine Wiedergutmachungspflicht.
Zu den Straftatbeständen in der Völkermordkonvention gehören das Töten, das Zufügen ernsthafter körperlicher oder geistiger Schäden, das Auferlegen von Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung einer Gruppe abzielen, sowie die Anordnung von Maßnahmen zur Geburtenverhinderung und Verschleppung von Kindern.
Historiker bewerten die Massaker an den Herero und Nama im heutigen Namibia durch deutsche Kolonialtruppen als ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Nach jahrelangen Verhandlungen mit Windhoek will dies nun auch die Bundesregierung anerkennen – und für die Gräueltaten der Jahre 1904 bis 1908 um Entschuldigung bitten. Trotz finanzieller Unterstützungsleistungen für die Herero und Nama in Milliardenhöhe ist der Akt vor allem symbolisch.
Er sei „froh und dankbar“, dass es gelungen sei, mit Namibia eine „Einigung über einen gemeinsamen Umgang mit dem dunkelsten Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte zu erzielen“, erklärte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Freitag. „Wir werden diese Ereignisse jetzt auch offiziell als das bezeichnen, was sie aus heutiger Perspektive waren: ein Völkermord.“
Keine Reparationen
Über die Bezeichnung der finanziellen Leistungen Deutschlands war in den Verhandlungen heftig gerungen worden. Um Reparationen handelt es sich dabei nun ausdrücklich nicht. Grund ist, dass die UN-Völkermordkonvention von 1948, die in Deutschland 1955 in Kraft trat, nicht rückwirkend gilt.
Deutschland zählte das heutige Namibia von 1884 bis zum Ersten Weltkrieg unter dem Namen Deutsch-Südwestafrika zu seinen Kolonien. Im Jahr 1904 kam es zum Aufstand der Herero, nachdem deutsche Siedler ihre Frauen, ihr Land und ihr Vieh geraubt hatten. In wenigen Tagen töteten die Aufständischen 123 deutsche Zivilisten.
Die Kolonialtruppen des deutschen Kaiserreichs reagierten brutal. Nach der Niederlage der Herero in der Schlacht am Waterberg trieben die deutschen Soldaten die überlebenden Männer, Frauen und Kinder in die Omaheke-Wüste und versperrten ihnen dort den Zugang zu den Wasserstellen. Der damalige deutsche Gouverneur der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, Lothar von Trotha, hatte die planmäßige Vernichtung der Volksgruppe der Herero angeordnet.
„Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen“, erklärte von Trotha. Mindestens 60.000 Herero wurden daraufhin getötet. Überlebende wurden in Konzentrationslager gebracht. Anfang des 20. Jahrhunderts betrug der Bevölkerungsanteil der Herero im Gebiet des heutigen Namibia etwa 40 Prozent. Heute sind es nur noch sieben Prozent.
Auch die Volksgruppe der Nama erhob sich 1904 gegen die deutschen Kolonialherren. Bei deren brutaler Verfolgung starben etwa 10.000 Menschen. Opferverbände sprechen von 70 Prozent der Gesamtbevölkerung der Nama.
Sammelklage in New York
Die Verhandlungen Deutschlands und Namibias über die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen hatten 2015 begonnen. Im Zuge dieses Prozesses gab Deutschland auch menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit an Namibia zurück. Bei einer Rückgabe-Zeremonie bat bereits 2018 Staatsministerin Michelle Müntefering (SPD) die namibische Regierung um Verzeihung für das „schreckliche Unrecht“ der deutschen Kolonialzeit.
Ins Stocken gerieten die Verhandlungen, als einige traditionelle Vertreter der Herero und Nama 2017 eine Sammelklage gegen Deutschland in New York einreichten, mit der sie direkte Verhandlungen mit der Bundesregierung über Wiedergutmachung erzwingen wollten. Die Klage scheiterte – die Kritik von Opferverbänden, nicht ausreichend an den deutsch-namibischen Verhandlungen beteiligt worden zu sein, aber bleibt.
Zwar ist der namibische Sondervermittler Zed Ngavirue ein prominenter Herero – regierungsunabhängige Opferverbände in Namibia seien jedoch von den Gesprächen ausgeschlossen gewesen, beklagt das Bündnis „Völkermord verjährt nicht!“, dem unter anderem der Verein Berlin Postkolonial angehört.
In einer von Berlin Postkolonial verbreiteten Mitteilung der traditionellen Führer der Herero und Nama, Vekuii Rukoro und Gaob Johannes Isaack, wird die deutsch-namibische Aussöhnungsvereinbarung als „PR-Coup“ Deutschlands gegeißelt. Rukoro und Isaack fordern, deutsche „Reparationen wegen des Genozids“ an Namibia – und damit die Anerkennung des Völkermords auch im völkerrechtlichen Sinne. (dts/afp)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion